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# taz.de -- Neuigkeiten aus Klagenfurt: Öl im Getriebe
> Beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb haben sich die
> Schriftsteller, die Jury und das Publikum auf die Bedingungen des
> Fernsehens eingelassen.
Bild: Die Schriftsteller Markus Orths, Tilman Rammstedt und Patrick Findeis und…
Bislang hat Ernst A. Grandits das Klagenfurter Wettlesen moderiert, mit
gravitätischem Minimalismus. Mal bewegte er seinen Kopf huldvoll nach
links, mal huldvoll nach rechts, mit voller Theaterstimme las er die Namen
der Teilnehmer und Jurymitglieder vor, das war es schon. Auch das war bis
zu diesem Jahr der Bachmannpreis: eine Veranstaltung, die um den heiligen
Ernst der Textzentriertheit herumgebaut war - nur der vorgelesene Text
sollte sprechen, nur über ihn sollte dann in den Diskussionen gesprochen
werden. Ein hehrer Anspruch, inklusive der dabei üblichen
Umsetzungsprobleme. Dass viele Texte unter der Bedeutungsschwere der
Inszenierung einknickten, dass das Gravitätische längst von Ironien und
Selbstparodien durchsetzt war - Höhepunkt: der Künstlermythen
dekonstruierende Vorstellungsfilm von Kathrin Passig vor zwei Jahren -,
kann man inzwischen in den Archiven nachlesen.
Nun moderiert also Dieter Moor. Deutliche Gesichtszüge, wie die Kamera sie
liebt, manchmal etwas Lausbübisches im Blick, man kennt ihn von "Titel,
Thesen, Temperamente". Moor fragt treuherzig in die Jurorenrunde: "Wer will
als Erster?" Er fasst Debatten kurz zusammen und kommentiert manche
Beiträge mit "schön gesagt" oder "eine deutliche Aussage". Bei zerrupften
Autoren erkundigt er sich: "Geht es Ihnen gut?" Er strahlt Lockerheit aus,
betont höchstens einmal zu oft, dass er in dieser Runde literarischer
Experten nur der Laie sei. Und er lädt - große Neuigkeit! - die während der
Lesung am Rand postierten Autoren mit großer Geste dazu ein, während der
Debatte in der Mitte der Jurorenrunde Platz zu nehmen. Niemand soll sich
ausgeschlossen fühlen.
Das alles ist immer noch weit entfernt von Tschingderassabum und
Entertainment. Gerüchte machten in Klagenfurt die Runde, ein
Deutschland-sucht-den-Superautor-Szenario sei im Gespräch gewesen. So ist
es nicht gekommen. Aber zusammen mit vielen anderen größeren und kleineren
Änderungen bedeutet das alles doch ein vollkommenen verändertes
Klagenfurt-Gefühl. Am Ort des Geschehens, dem ORF-Aufnahmestudio in der
Kärntner Hauptstadt, fühlt man sich plötzlich nicht mehr so wohl, weil man
als Zuschauer erkennbar nur Staffage für die Kamera ist. Dagegen
funktioniert die Übertragung viel besser. Statt einer leicht verschwitzten
Seminaratmosphäre sieht man im Fernseher nun eine dezent loungige
Talkshowrunde. Ein klein wenig zugespitzt kann man sagen: Während bislang
die Live-Situation das Klagenfurt-Ereignis war, findet nun das eigentliche
Klagenfurt im Fernsehen statt. Darauf ist alles ausgerichtet,
Preisentscheidungen zur Prime Time am Samstagabend um 20.15 Uhr
eingeschlossen. Und wer sich wirklich körperlich an den Wörthersee begibt,
hilft damit nur bei der Produktion dieser Bilder.
Ist Klagenfurt nun nicht mehr Klagenfurt? Wahrscheinlich war es eher schon
immer so gewesen, dass das tatsächlich verwirklichte Ereignis des
jeweiligen Jahres nur den etwas müden Abklatsch einer zuvor erträumten
Feier aus literarischen Entdeckungen und pfingstlichen Geisterscheinungen
darstellte. Außerdem, wer weiß schon, was die Neuerungen wirklich zu
bedeuten haben? Bedeuten sie, dass der Literaturbetrieb die Diskurshoheit
von der Literatur an das Fernsehen abgibt? Ein Jahr ist zu wenig, um sich
da eine fundierte Meinung zu bilden.
Die Rahmenbedingungen haben sich jedenfalls geändert. Der Literaturbetrieb
hat nicht mehr das Selbstbewusstsein - oder die Chuzpe? -, Sand im Getriebe
des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu sein. Als Maschine zur Entdeckung
junger Talente hat der "Bewerb", wie der Wettbewerb neuerdings
österreichisch heißt, schon länger ausgedient; sehr viele der antretenden
Autoren hatten vorher schon Buchverträge. Nun schickt sich die
Veranstaltung also an, sich in Richtung eines weiteren Instruments zur
Erzeugung medialer Aufmerksamkeit für die deutschsprachige Literatur zu
wandeln, neben Buchpreis, Elke Heidenreich und Preis der Leipziger
Buchmesse. Beim Buchpreis kann der Leser das gute Buch für den nächsten
Urlaub abgreifen, bei Heidenreich die leicht peinlichen Schmöker fürs
verregnete Wochenende, und bei Klagenfurt kann er sich in Sachen
Up-to-date-Sein einen Überblick verschaffen, was alles noch zu lesen
möglich wäre.
Wenn man direkt auf die Autoren guckt, kann man diese Veränderungen auch
ganz anders erzählen: Vielleicht bedeuten sie nur eine notwendig gewordene
Anpassung an den von ihnen längst erreichten Stand der
Professionalisierung. In Klagenfurt lesen keine verhuschten jungen Frauen
mehr, keine Möchtegern-Junggenies und auch keine irgendwie lichtscheuen
Gestalten, die man deshalb dafür bestaunt, dass sie zehn Meter von ihrem
Schreibtisch entfernt sofort lebensuntüchtig wirken. Stattdessen wird in
Klagenfurt perfekt intoniert, durch Präsenz überzeugt und vor allem vorher
sorgfältig überlegt, wie man auftreten will. Vorlesen können die Autoren
durch die Bank erstaunlich gut - es hat sich eben herumgesprochen, dass man
mit Auftrittsverweigerungen inzwischen keine Schnitte mehr machen kann und
Lesungshonorare zu den wichtigsten Einkünften im Schriftstellerberuf
gehören.
Wenn das mit der Selbstinszenierung too much wirkt, stört es. So wie bei
der Autorin Dagrun Hintze, deren Auftritt leicht ins
Sabinechristiansenhafte verrutschte. Allzu selbstbewusst sollte man als
Autor auch nicht Hoheit über die Lesesituation reklamieren, das musste Ulf
Erdmann Ziegler erfahren, der erst mal den Tisch verschob und das Publikum
ermahnte, doch den verteilten Text beiseite zu legen und einfach der
Erzählung zuzuhören. Aus dem Rahmen zu fallen kommt nicht mehr gut an. Ulf
Erdmann Ziegler ist dieses Jahr der Autor, der, obwohl sein Text bei
genauerer Betrachtung eigentlich über allen Preisen stand, am Schluss ganz
leer ausgeht (im vergangenen Jahr war das Jochen Schmidt).
Honoriert wurden dagegen dieses Jahr gut vorbereitete, aber zurückhaltend
durchgeführte Auftritte junger Männer, die mit sorgfältig gearbeiteten,
originellen Geschichten antraten. Konsensfähig ist derzeit offenbar der
unanstrengend intellektuelle Autor, der sich fürs Untragische entschieden
hat, nicht mit Programmatiken auftrumpft und dafür heimlich, still und
leise gut durchdachte Texte produziert. Warum dagegen solche Erzählerinnen
wie Heike Geißler, Sudabeh Mohafez oder Anette Selg durchs Preisraster
fallen, ist nicht ganz klar. Vielleicht sind sie zu nah dran an ihren
Figuren.
Die Aufgabe der Jury ist bei diesen Veränderungen nicht leichter geworden.
In die vom Moderator, den Kamerabewegungen, aber auch von den Autoren gut
geölte Maschinerie des Ablaufs müssen die Juroren die Störungen
hineintragen, die Außenperspektiven, die Momente von Geistesgegenwart.
Einmal, beim späteren Preisträger Tilman Rammstedt, ist das geglückt - als
die Jurorin Ursula März klarmachte, dass ein mit Pointen gespickter Text
nicht per se minderwertig sein müsse; Rammstedt (1975 geboren, Mitbegründer
der Lesebühne Visch & Fers, Musiker bei der Gruppe Fön) erzählt darin von
der tragikomischen Trauerarbeit eines Enkels nach dem Tod eines Großvaters.
Das war von der Jury gut gegen Vorstellungen gesetzt, nach denen
preiswürdige Texte irgendwie raunend sein müssen.
In vielen anderen Fällen verpasste die stets sehr textimmanent
argumentierende Jury aber die Chance, einmal etwas grundsätzlicher über den
gegenwärtigen Stand von Literatur zu debattieren. Das betraf vor allem den
Schweizer Autor Pedro Lenz, dessen Schriftstellermodell sich so erkennbar
an den Typus des sprachmanischen Suadavorträgers anlehnte, den man noch vor
wenigen Jahren mit dem Namen Thomas Bernhard gut umrissen fand. Was an
diesem Typus noch Spaß bringt, wo er überholt erscheint, weil er aus seinen
Lebensverletzungen eine Sprachshow macht, das wäre gut zu diskutieren
gewesen. Und sowohl bei Thorsten Palzhoff als auch bei Ulf Erdmann Ziegler
hätte man das literarische Arsenal von Möglichkeiten einmal durchleuchten
können, historische Erfahrungen zu verarbeiten; Palzhoff schrieb über die
postkommunistischen Mythenproduktionen in Bulgarien, Ziegler über die so
nah-ferne Vergangenheit des bundesrepublikanischen Einfamilienhausbaus in
den Sechzigerjahren. Die Debatten waren aber immer so immanent! Texte in
außerliterarische Kontexte einzuordnen scheint unter den Klagenfurter
Bedingungen nicht leicht möglich zu sein. Bei Ziegler verstieg sich die
Jury stattdessen zu hanebüchenen Generation-Golf-Vergleichen.
Der Moderator Dieter Moor bezeichnete die Jury um ihren neuen Vorsitzenden
Burkhard Spinnen einmal als Ensemble. Vielleicht ist es das. Die Juroren
veranstalteten ein Kammerkonzert aus Einzelstimmen. Die gegenwärtigen
Kontroversen in der Literaturkritik repräsentierten sie nicht. Aber auch in
den Feuilletons muss man nach ihnen ja eher suchen. Möglicherweise ist es
also unfair, ausgerechnet bei den Live-Bedingungen von Klagenfurt Debatten
zu fordern, die die deutschsprachige Literaturkritik selbst aus ihren
geschützten Redaktionsräumen heraus derzeit nicht hinkriegt.
Einen wunderbar schön bescheuerten Moment gab es dieses Jahr in Klagenfurt
auch noch: die Ermittlung der Preise. Auf dem neuesten technischen Stand -
mit Touch Screens und Computerunterstützung - wurde das altehrwürdige
Schacherspiel des Literaturbetriebs als Spannungsevent dargeboten. Falls
jemand gedacht haben sollte, dass das ziemlich schräg und der hehren
Literatur unangemessen sei: Das ist bei allen Jurys so! Nur eben nicht
öffentlich. In dieser Hinsicht leistet Klagenfurt weiterhin geradezu
Aufklärungsarbeit.
30 Jun 2008
## AUTOREN
Dirk Knipphals
Dirk Knipphals
## TAGS
Lyrik
Schriftsteller
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