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# taz.de -- Wie sich Magnus Gäfgen als Opfer stilisiert: Ein wehrhafter Mörder
> Kindermörder Gäfgen versuchte schon einiges um sich zu resozialisieren:
> Er schrieb ein Buch, wollte eine Stiftung gründen und klagte seine
> Menschenrechte ein - vergeblich.
Bild: Schlappe am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Magnus Gäfgen
Warum kann er nicht einfach Ruhe geben? Warum muss sich Magnus Gäfgen, der
Entführer und Mörder des 11-jährigen Jakob, in immer neuen Prozessen als
Opfer stilisieren? Diese Frage stellen nicht nur diejenigen, die glauben,
dass Verbrecher in Deutschland eh zu viel Rechte haben. Viele fürchten auch
bei jedem Gäfgen-Prozess, dass gleich wieder eine neue Debatte um die
Zulässigkeit von Folter aufflammen könnte. Zumindest das Verfahren beim
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hätte Gäfgen sich sparen
können. Es erbrachte zu Recht keinerlei Ansatzpunkte für eine Neuaufnahme
seines Verfahrens.
Geltungsbedürfnis, das wird Gäfgen gerne unterstellt. Und es liegt wohl
auch an der Tat, für die er verurteilt wurde. Der damals 27-jährige
Jurastudent stammte aus einfachen Verhältnissen, verkehrte aber gerne mit
jungen Snobs. Seine damals minderjährige Freundin Katharina hielt er aus,
lud sie ein, beschenkte sie - bis er so verschuldet war, dass der Schwindel
bald aufgeflogen wäre. Nur deshalb entführte er den Bankierssohn Jakob.
Die Furcht der Polizei
Doch es war mehr ein Mord als eine Entführung. Gäfgen lockt den 11-Jährigen
in seine Wohnung und erstickte ihn dort sofort, mit Klebestreifen über Mund
und Nase. Von den Eltern forderte er dennoch Lösegeld, eine Million Euro.
Bei der Übergabe folgte ihm die Polizei und wartete, dass er nun den Jungen
freigebe, doch nichts passierte. Also wurde Gäfgen verhaftet, doch er
verriet den Aufenthaltsort der Leiche nicht, stattdessen führte er die
Polizei in die Irre und beschuldigte unschuldige Dritte. Die Polizisten
wurden immer drängender, sie befürchteten, dass dem versteckten Jakob
Nahrung und Wasser ausgehen könnten.
Da trat ein anderer Geltungssüchtiger auf den Plan, der Frankfurter
Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner. Er ignorierte, dass seine
Ermittler noch Pfeile im Köcher hatten, etwa die Gegenüberstellung mit
Elena, der 16-jährigen Schwester des Entführungsopfers, von der bekannt
ist, wie sehr Gäfgen sie bewundert. Sie war bereit, dem Entführer das
Leiden ihrer Familie zu schildern, doch Daschner ließ sie stundenlang auf
dem Flur des Polizeireviers warten und schickte sie dann nach Hause.
Stattdessen bereitete er die Folterung von Gäfgen vor.
Er wies den Kriminalhauptkommissar Ortwin E. an, Gäfgen mit Schmerzen zu
drohen, wie er sie noch nie erlebt habe. Um die Drohung notfalls
wahrzumachen, wurde extra ein kampfsportgeübter Polizist aus dem Urlaub
zurückgeholt. Die Folter sollte gefilmt und von einem Arzt überwacht
werden. Doch letztlich blieb es bei der Drohung. Schon nach zehn Minuten
gab Gäfgen auf und führte die Beamten zur Leiche des Jungen.
Als das Vorgehen des Polizeivize drei Monate später bekannt wurde,
polarisierte es sofort die Öffentlichkeit. Daschner berief sich nämlich
nicht auf einen quälenden Gewissenskonflikt. Er behauptete vielmehr, dass
sein Vorgehen von geltendem Recht gedeckt gewesen sei. Die Verbote, eine
Aussage mit Gewalt oder Drohungen zu erzwingen - festgeschrieben im
Polizeigesetz, in der Strafprozessordnung, im Grundgesetz und im
Völkerrecht -, ignorierte er einfach. Es fehlte nur noch, dass er nach dem
Muster des Hamburger Richters Schill eine eigene Partei gründete. Populär
genug wäre er gewesen. In Umfragen forderten 69 Prozent der Deutschen einen
Freispruch für Daschner.
Bei Folter bröckelt die Fassade
Am Ende gab es eine Geldstrafe auf Bewährung. Eine mildere Strafe ist kaum
möglich. Aber immerhin wurde Daschner verurteilt und das Landgericht
billigte ihm keinen übergesetzlichen Notstand zu. Am meisten hat Daschner
vermutlich eh seine Versetzung in den Innendienst geschmerzt.
Angesichts dieser aufgewühlten Debatte, die zeigte, wie schnell auch in
Deutschland die rechtsstaatliche Fassade bröckeln kann, spielte Gäfgen
zunächst keine große Rolle mehr. Auch der Prozess gegen ihn verlief eher
unspektakulär. Denn er kooperierte mit dem Gericht und gestand die Tat
ausführlich. Doch die von ihm erhoffte Gegenleistung der Richter blieb aus.
Das Landgericht verurteilte ihn nicht nur zu lebenslänglicher Haft, sondern
stellte auch noch eine "besondere Schwere der Schuld" fest. Gäfgen kann
also nicht damit rechnen, bereits nach 15 Jahren wieder freizukommen.
Seither kämpft Jurist Gäfgen, der in der Haft sein Staatsexamen ablegte, um
einen neuen Prozess. Plötzlich war die Folterdrohung der Polizei wieder ein
Riesenthema. "In drei Jahren" sei Magnus Gäfgen wieder frei, prophezeite
sein damaliger Anwalt Hans Ulrich Endres und provozierte damit einen
gewaltigen Aufschrei der Öffentlichkeit. Doch weder der Bundesgerichtshof
noch das Bundesverfassungsgericht konnten in der Folterdrohung ein
generelles Verfahrenshindernis sehen, das jeden Prozess gegen Gäfgen
verhindert hätte.
Gäfgen sorgte sich nun auch um sein Bild in der Öffentlichkeit. Er schrieb
ein Buch "Allein mit Gott - der Weg zurück". Veröffentlicht wurde es im
Eigenverlag von seinem neuen Anwalt Michael Heuchemer. Kritische Leser
attestieren dem 215-Seiten-Werk vor allem ein Übermaß an Selbstmitleid.
Das nächste Projekt war die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung, die
Gäfgen zusammen mit Heuchemer und dem FDP-Politiker Joachim Schultz-Tornau
gründen wollte. Ziel war die Hilfe für jugendliche Opfer von Straftaten.
Als Name war "Magnus-Gäfgen-Stiftung" im Gespräch, doch die Öffentlichkeit
war erneut empört. Statt sich als Wohltäter aufzuführen, solle Gäfgen
lieber still seine Strafe abbüßen. Die Stiftungsverwaltung in
Rheinland-Pfalz sah sogar einen Verstoß gegen die "guten Sitten".
Kein weiteres Öl ins Feuer
Im Moment verfolgen Heuchemer und Gäfgen das Projekt nicht weiter, um nicht
noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Denn auch Anwalt Heuchemer musste sich
schnell Publicity-Sucht nachsagen lassen. Dass er sich auf seiner Homepage
als Rolls-Royce-Kenner und Sammler teurer Weine outete, tat noch ein
Übriges dazu.
Doch selbst nach der gestrigen Niederlage in Straßburg geht das
Prozessmarathon weiter. Gäfgen hat nämlich noch eine Schmerzensgeld-Klage
gegen das Land Hessen laufen. Er sei von der Folterdrohung traumatisiert,
sagt er. Im März hat das Bundesverfassungsgericht dafür gesorgt, dass der
mittellose Gäfgen Prozesskostenhilfe bekommt, um sein Recht verfolgen zu
können. Gäfgen geht es dabei, so sein Anwalt, weniger ums Geld. Vielmehr
will er herausfinden, ob und wer Daschners Vorgehen im hessischen
Innenministerium gedeckt hat. Eigentlich ist das wirklich interessant …
30 Jun 2008
## AUTOREN
Christian Rath
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