# taz.de -- Literaturfestival in Berlin: Leise Auftritte | |
> Das 8. Internationale Literaturfestival Berlin zeigt weniger Eventkultur, | |
> ist aber inhaltlich sehr konzentriert. Hochkarätige Podien vor | |
> überschaubaren Besucherzahlen. | |
Bild: Las auf dem Literaturfestival: Schauspielerin Angela Winkler. | |
Pointiert und pauschal das Internationale Literaturfestival in Berlin zu | |
kommentieren, ist vermutlich nicht viel sinnvoller, als nach zwei Stunden, | |
die man ohne Straßenverzeichnis in einer fremden Stadt verbracht hat, auf | |
deren Charakter schließen zu wollen. Denn möglich ist ja immerhin, dass man | |
sich die ganze Zeit auf mehr oder weniger unbedeutenden Nebenstraßen | |
herumgetrieben hat. | |
Zwölf Tage dauerte das [1][Internationale Literaturfestival], das in diesem | |
Jahr zum achten Mal stattfindet, 130 Autoren aus 63 Ländern wurden | |
eingeladen, insgesamt 200 Veranstaltungen werden, wenn das Festival am | |
Sonntag endet, zu sehen gewesen sein. Was schon im vergangenen Jahr | |
aufgefallen ist, setzte sich dabei auch in diesem Jahr fort: Das Programm | |
erscheint deutlich verschlankt und inhaltlich konzentrierter als in den | |
Anfangsjahren des Festivals, als man es mit einem wild wuchernden, bis zur | |
Blödsinnigkeit auf Masse setzenden Event zu tun hatte. | |
Nun wäre es natürlich die größte Frechheit, plötzlich behaupten zu wollen, | |
dass das Festival in diesem Jahr durch seine gemäßigtere Programmstruktur | |
an Charme verloren hätte - war doch das Überbordende und Ungeordnete der | |
gebetsmühlenartige Vorwurf, den man Festivalleiter Ulrich Schreiber gemacht | |
hat, seit er vor acht Jahren das erste Mal an den Start ging. | |
Tatsächlich aber hat sich in diesem Jahr der ganz große Festivalrausch | |
nicht recht herstellen wollen. Das mag zum einen daran liegen, dass auch | |
hochkarätig besetzte Veranstaltungen wie etwa ein Podium mit Nuruddin | |
Farah, Geert Mak, Eliot Weinberger und Tzvetan Todorov eher überschaubare | |
Besucherzahlen zu verzeichnen hatten. Es fehlte aber ganz einfach auch das | |
bisweilen anregend nervöse Gefühl, sich beständig aus parallel laufenden | |
Veranstaltungen die reizvollere aussuchen zu müssen. | |
Am diesjährigen Schwerpunkt, der afrikanischen Literatur, kann es nicht | |
gelegen haben. Der war sorgfältig konzipiert. Der jüngst für seinen Roman | |
"Das Herz der Leopardenkinder" gefeierte Wilfried NSondé war ebenso dabei | |
wie eben Nuruddin Farah oder Alaa al-Aswani, der in seinen Büchern auf | |
unterhaltsame Weise kritische Physiognomien der autokratisch regierten | |
Gesellschaft Ägyptens entwirft. | |
Ob es nun unbedingt notwendig war, dass Uwe Timm anlässlich des | |
Afrika-Schwerpunkts in aller Ausführlichkeit aus seinem dreißig Jahre alten | |
Roman "Morenga" las, weil er sich darin mit einem der ersten afrikanischen | |
Guerillakämpfers auseinandersetzt, darüber lässt sich streiten. Etwas | |
unbefriedigend war dann aber schon, dass Timm genauso wie Moderator | |
Wilfried F. Schoeller in der begleitenden Diskussion nicht eben auf dem | |
neuesten Stand war, wenn es darum ging, etwas über die seit den | |
1970er-Jahren veränderte Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents zu sagen. | |
Klar ist, dass afrikanische Literatur immer noch ein Nischendasein in | |
Europa fristet. Aber dass beispielsweise in den Politik- und | |
Geschichtswissenschaften in den letzten Jahren ein deutlicher Trend hin zur | |
Afrikanistik zu verzeichnen ist, wäre zumindest einer Erwähnung wert | |
gewesen. | |
Überhaupt war es die politische Perspektive, die beim Literaturfestival | |
traditionell großgeschrieben wird, die oft zu wünschen übrig ließ. Während | |
das Gespräch von Alice Schwarzer mit der Soziologin Necla Kelek sich vor | |
allem durch kollektive Heiterkeit auszeichnete, war die Diskussion mit dem | |
reichlich unspezifischen Titel "Über Barack Obama" das reine Desaster. | |
Wer sich durch so etwas nicht die Laune verderben ließ, der konnte sich das | |
in diesem Jahr nicht so flirrende Tempo des Festivals zu eigen machen und | |
während dem Wandern zwischen den verschiedenen Bühnen darüber nachdenken, | |
was für verschiedene Konzepte und Ansprüche an Literatur es eigentlich | |
sind, denen man hier begegnet. | |
Emphatische Literaturbejahung zum Beispiel bei der gewohnt verhuschten | |
Angela Winkler, die auf einer im guten alten Schaubühnen-Stil | |
hergerichteten Bühne inmitten von Gartenbänken und Tschechow-Laubbergen | |
Lieder und Gedichte vortrug. Ganz im Gegensatz dazu die abgeklärte, etwas | |
zu smarte Geste eines Uwe Timm, der mit aller Eleganz seine Texte vortrug | |
und treffsicher wusste, an welchen Stellen er dem Moderator neben sich die | |
Hand auf die Schulter legen muss, um dem intellektuellen Tiefgang seiner | |
Worte Nachdruck zu verleihen. | |
Und dann gibt es eben auch das noch: dass man auf eine Lesung mit Péter | |
Esterházy gerät und nach zwei Minuten nicht mehr weiß, ob denn nun sein | |
Charme oder seine Scharfsicht das eigentlich Umwerfende an ihm ist. Das | |
sind die Momente, in denen man das unspezifische Glücksgefühl hat, dass es | |
so etwas wie große Literatur gibt. | |
Bis Sonntag ist noch Zeit, mehr solcher Glanzstücke auf dem | |
Literaturfestival zu entdecken. Vielleicht wird dann am Ende doch der | |
Eindruck bleiben, dass man sich, ohne es zu merken, Schritt für Schritt, | |
ins schillernde Zentrum der Literatur hineinflaniert hat. | |
4 Oct 2008 | |
## LINKS | |
[1] http://www.literaturfestival.com/index1_1_33.html | |
## AUTOREN | |
Wiebke Porombka | |
## TAGS | |
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