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# taz.de -- Zehn Jahre Kosovokrieg: Es musste sein
> Wer die Zustände im Kosovo aus eigener Anschauung kannte, musste den
> Krieg gutheißen. Denn unter Milosevic entstand ein Apartheidsystem -
> mitten in Europa.
Bild: März 1998: Die serbische Polizei beendet gewaltsam den friedlichen Prote…
Als ich zum ersten Mal 1987 ins Kosovo kam, hatte ich keine Ahnung von dem
komplizierten und weit in die Geschichte reichenden Konflikt, der
schließlich den Krieg in Jugoslawien und die erste militärische
Intervention Deutschlands nach 1945 auslösen sollte. In Belgrad hatte ich
von den Klagen gehört, albanische Männer vergewaltigten massenhaft
serbische Frauen. Doch dies stellte sich bald als Propagandalüge heraus.
In Wirklichkeit hatten die serbischen nationalen Kreise die Befürchtung,
angesichts des albanischen Bevölkerungszuwachses zur Minderheit zu werden.
Der Vorgang war eingebettet in eine Kampagne, die im sozialistischen
Jugoslawien eingeschlafenen nationalen Gefühle wiederzuerwecken. Die
antialbanische Kampagne sicherte zudem Slobodan Milosevic den Aufstieg zur
Macht.
Für die Serben, auch das war zu lernen, hat das Kosovo eine besondere
Bedeutung. Der Mythos um die verlorene Schlacht von 1389 gegen die Türken
verpflichtet nach Auffassung der serbisch-orthodoxen Kirche und der
Nationalisten alle Serben dazu, mit allen Mitteln das Kosovo zu
verteidigen.
Weil die albanischen Bevölkerungsmehrheit das Kosovo ebenfalls als ihr Land
ansieht und behauptet, ihre illyrischen Vorfahren hätten längst vor der
serbischen Einwanderung dort gelebt, führte der mit historischen Argumenten
geführte Streit der Nationalisten beider Seiten geradewegs in einen
unlösbaren Konflikt. Die Quadratur des Kreises hätte nur mit gegenseitigem
Respekt und der Achtung der Menschenrechte aller geschaffen werden können.
Im sozialistischen Jugoslawien hatte dies noch Staatschef Tito versucht,
indem er nach dem Terror der Fünfzigerjahre mit der Verfassung von 1974 dem
Kosovo Autonomie gewährte.
Als ich 1988 und 1989 wieder ins Kosovo kam, konnte ich beobachten, wie
sich die Lage änderte: Milosevic ließ Autonomie abschaffen, die albanische
Sprache wurde im öffentlichen Leben verboten, und rund 130.000 Albaner
wurden aus Schulen, den Staatsbetrieben und der Verwaltung herausgedrängt,
so dass Anfang der Neunzigerjahre 400.000 junge Albaner in die Emigration
gezwungen wurden. Kurz: Ich war Zeuge, wie in Europa ein Apartheidsystem
entstand.
Unfassbar war für mich, wie so etwas Ende des 20. Jahrhunderts in Europa
passieren konnte und dass zu Hause die Öffentlichkeit kaum Notiz davon
nahm. Als die Albaner als Antwort auf Rechtlosigkeit und Unterdrückung
einen friedlichen, pazifistischen Widerstand entwickelten, zeigten nur
wenige Solidarität. Auch nicht innerhalb der Linken, die sich ja selbst als
pazifistisch bezeichnete. Der albanische Pazifismus wurde dagegen in
Serbien als Schwäche der Albaner interpretiert. Und nicht nur dort: Bei den
Friedensverhandlungen in Dayton, die 1995 den Bosnienkrieg beendeten, waren
die Albaner nicht einmal an den Katzentisch gebeten. Mit friedlichen
Mitteln allein kann man nichts erreichen, lautete die Lehre, die die
Albaner daraus zogen. Nur so ist der Aufstieg der Befreiungsarmee des
Kosovo, der UÇK, zu verstehen.
In vielen Punkten sollte ein großer Teil der deutschen Linken der
serbischen Propaganda auf den Leim gehen. Die serbischen Massaker an der
Zivilbevölkerung, so am Jashari-Clan im März 1998, die Zerstörung und
ethnische Säuberung der Stadt Decani im Juni, das In-Brand-Stecken von
hunderten Dörfern im Sommer 1998, das mindestens 300.000 Menschen zur
Flucht in die Wälder zwang, das Massaker von Orahovac im Juli 1998 - es gab
dort zwar keine Massengräber, aber ein Massaker an hunderten Menschen -,
später das Massaker von Racak, wurden heruntergespielt. Bei einigen führten
diese Ereignisse jedoch zum Umdenken.
Wer sich etwas in die Geschichte vertiefte, konnte erfahren, dass es schon
Anfang des 20. Jahrhunderts in Serbien Bestrebungen gab, die albanische
Bevölkerung aus dem Kosovo zu vertreiben. Die Denkschrift von Vasa
Cubrilovic, der ein systematischeres Vorgehen der Behörden im Kosovo zur
Vertreibung der Albaner eingeklagt hatte, setzte sich bis 1939 tatsächlich
durch. Zehntausende muslimische Albaner wurden in die Türkei und nach
Albanien abgeschoben, hunderttausende hätten es sein sollen. In den
Fünfzigerjahren war Cubrilovic Ratgeber des berüchtigten jugoslawischen
Innenministers Jovan Rankovic. Und wieder wurden zehntausende Albaner aus
dem Kosovo vertrieben, um die ethnische Zusammensetzung des Kosovo
zugunsten der Serben zu verändern.
Das serbische Militär baute 1998 systematisch seine Stellungen so auf, dass
es das gesamte Territorium mit seiner Artillerie erreichen konnte. Und so
waren die militärischen Grundlagen geschaffen, diesen Traum zu erfüllen und
die systematische Vertreibung der Albaner durchzuführen.
Kein Zweifel, es war im Interesse Europas und der USA, dem Treiben im
Kosovo ein Ende bereiten. Ob bei den handelnden Politikern der Kampf gegen
Menschenrechtsverletzungen im Vordergrund stand, oder die Angst vor neuen
Flüchtlingsströmen, sei dahingestellt. Im Sommer 1998 begann die Nato mit
dem Aufbau militärischer Strukturen, die eine Intervention und einen Krieg
gegen Serbien ermöglichen sollten. Denn ein halbes Jahr ist mindestens
notwendig, um die erforderliche Infrastruktur zu erstellen. Damit wurde ein
Drohszenario aufgebaut, um den Forderungen nach einer politischen Lösung
bei den Verhandlungen, die in Rambouillet bei Paris stattfinden sollten,
militärisch Nachdruck zu verleihen.
Hätte Milosevic damals dem Vertrag zugestimmt, Serbien hätte sich viel
Ungemach ersparen können. Das Kosovo wäre immer noch Teil Serbiens, hätte
lediglich eine erweiterte Autonomie unter internationaler Kontrolle, nicht
jedoch die Unabhängigkeit erreicht. So aber kam es zum Bombenkrieg der Nato
und der Loslösung des Kosovo.
War der Krieg ein Bruch des Völkerrechts? Vielleicht. Aber dass die
Verteidigung der Menschenrechte im UN-Sicherheitsrat mit zwei Vetomächten
wie Russland und China gut aufgehoben ist, darf bezweifelt werden.
Völkerrecht schreibt sich fort. Und die UN, auch Russland und China, haben
mit ihrer Mission im Kosovo das Vorgehen der Nato stillschweigend
akzeptiert.
Die internationale Intervention im Kosovo, die UN-Mission und jetzt die
EU-Mission, hat immerhin erreicht, dass sich das Leben im Kosovo langsam
entspannt hat. Und dass wieder Hoffnung aufkommt, obwohl Serbien noch immer
versucht, ins Kosovo hineinzuregieren.
Als am 17. Februar 2008 die Unabhängigkeit des Landes ausgerufen wurde,
feierten nur die Albaner. Beim letzten Besuch vor wenigen Wochen im Kosovo
war zu bemerken, dass die serbische Ablehnungsfront in den südlichen
Enklaven bröckelt. Vielleicht wird es ja doch noch was mit einem
multiethnischen Kosovo, in dem alle, Albaner und die Minderheiten, sich
gegenseitig und die Menschenrechte respektieren.
23 Mar 2009
## AUTOREN
Erich Rathfelder
Erich Rathfelder
## TAGS
Serbien
Kosovo
Kosovokrieg
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