# taz.de -- Kannibalenfilm "Rohtenburg": Zerlegen ohne Motiv | |
> Nach einem dreijährigem Rechtsstreit ist "Rohtenburg" seit Donnerstag in | |
> den Kinos zu sehen und enttäuscht - der Kannibalenfilm verrennt sich in | |
> Plattitüden. | |
Bild: Nicht mehr als solides Horrorkino: "Rohtenburg"-Protagonist Hartwin in Ak… | |
Ein Film kommt mit einiger Verspätung in die Kinos. Nichts Ungewöhnliches, | |
schließlich liegen auch teure Hollywood-Produktionen aus den seltsamsten | |
Gründen auf Eis. Bei "Rohtenburg" ist das jedoch anders, denn an diesem | |
Film über den "Kannibalen von Rotenburg" hat sich vor drei Jahren ein | |
juristischer Streit über die Frage nach dem Gewicht von | |
Persönlichkeitsrecht versus Recht auf künstlerische Freiheit entzündet. | |
Im März 2001 hatte Armin Meiwes aus Rotenburg einen anderen Mann, den er | |
übers Internet kennengelernt hatte, bei lebendigem Leib kastriert. | |
Daraufhin verblutete sein Opfer, das, nebenbei, in den Deal eingewilligt | |
hatte. Anschließend hatte Meiwes dessen Penis verspeist. Der Film | |
"Rohtenburg" - der eingefügte Buchstabe h im Titel suggeriert: ganz nah an | |
der Realität, aber dennoch Fiktion - greift diese Tat auf und bemüht sich | |
in 90 quälend langen Minuten darum, die Ereignisse vor, während und nach | |
der Tat zu rekonstruieren. Dafür wurde der Story eine Rahmenhandlung | |
hinzugefügt, in der sich die Psychologiestudentin Katie auf die Spuren des | |
Täters, der hier Oliver Hartwin heißt, begibt. | |
Pikanterweise sollte "Rohtenburg" damals, welch grandioser Marketinggag, | |
just in der Woche der Urteilsverkündung im Meiwes-Prozess anlaufen. Dies | |
wurde jedoch vom Oberlandesgericht Frankfurt per einstweilige Verfügung mit | |
der Begründung untersagt, der Film unterlaufe Meiwes Persönlichkeitsrechte. | |
Armin Meiwes Anwalt behauptete damals, das Leben seines Klienten werde im | |
Film "sklavisch nachgestellt". | |
Abgesehen von der sich hier stellenden Frage, was man sich unter dieser im | |
Kontext der Ereignisse zumindest unglücklich gewählten Redewendung | |
überhaupt vorzustellen hat, hatte Armin Meiwes seine diesbezügliche | |
Glaubwürdigkeit Monate zuvor selbst unterminiert, indem er seine Geschichte | |
an den Stern abgetreten hatte. | |
Am 26. Mai jetzt hat der Bundesgerichtshof den Film zum Kinostart | |
freigegeben. Auch das Bundesverfassungsgericht hat es gestern abgelehnt, | |
die Premiere zu stoppen und lehnten einen Eilantrag des Täters ab. Das | |
"Informationsinteresse der Öffentlichkeit" wurde jetzt über Meiwes | |
Persönlichkeitsrechte gestellt. Schaut man sich den Film an, erkennt man, | |
dass die ganze Debatte ins Leere läuft, da in "Rohtenburg" keine konkreten | |
Aussagen über mögliche Motive des Täters getroffen werden. | |
Denn obwohl sich der Plot am Tathergang orientiert - vom ersten | |
Internetkontakt zwischen Täter und Opfer bis zu dessen Kastration, | |
Schlachtung und Verzehr wird alles minutiös wiedergegeben -, wird einem das | |
Wesentliche, nämlich eine Bewertung der Ereignisse, komplett vorenthalten. | |
Weder wird nahegelegt, Meiwes sei ein bewusst handelndes Monster, das für | |
seine Taten büßen müsse, noch wird die These aufgestellt, er sei derart in | |
seiner Persönlichkeit gestört, dass er unmöglich für seine Tat zur | |
Verantwortung gezogen werden könne. | |
Stattdessen verrennt sich "Rohtenburg" in Plattitüden: Hartwin als kleiner | |
Junge, der von der verdrehten Zuneigung seiner Mutter erdrückt wird, | |
Hartwin, der unter Gewaltfantasien leidet und seltsame Fernsehgewohnheiten | |
pflegt. Das Ganze garniert mit Anleihen bei Thomas Harris, "Psycho" und | |
"The Wall" - fertig ist der Filmkannibale. | |
Letztendlich bleibt ein doppelt ungutes Gefühl. Nämlich jenes, dass die | |
wichtige und wohl nie gänzlich zu klärende Frage, wie die Ansprüche auf | |
Schutz der eigenen Persönlichkeit und die auf Freiheit der Kunst einander | |
gegenüberzustellen sind, hier auf einem Terrain ausgetragen wird, das sich | |
dieser Debatte als gänzlich unwürdig erweist. Beide Seiten - Verleiher und | |
Kannibale - spielten damals mit gezinkten Karten. Den Kinostart eines Films | |
an die ihm zugrunde liegenden realen Ereignisse zu koppeln, um die | |
Zuschauerzahlen in die Höhe zu treiben, ist ein ebenso unwürdiger Schachzug | |
wie Meiwes Versuch, die Außendarstellung seiner öffentlich gewordenen Tat | |
mit dem Hinweis auf seine Persönlichkeitsrechte zu kontrollieren. | |
Insofern gilt: Wer sich einfach nur einen soliden Horrorfilm im Kino | |
anschauen möchte, möge sich "Rohtenburg" guten Gewissens ansehen. Eine | |
Entscheidung, welches Recht man über das andere stellt, trifft man dadurch | |
noch lange nicht. | |
19 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Andreas Resch | |
## TAGS | |
Kannibalismus | |
Gerichtsurteil | |
Kannibalismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Yves Petry über Kannibalismus-Roman: „Sie wollen etwas voneinander“ | |
Für „In Paradisum“ ließ sich der flämische Schriftsteller von der | |
Geschichte des Kannibalen von Rotenburg inspirieren. Es geht ihm nicht um | |
die Sensation. | |
Revisionsprozess Kannibalismus: Kommissar Carnivore | |
„Ich will in deinen Magen“, schrieb Wojciech S. – und traf sich mit dem | |
LKA-Beamten G. Wenig später ist er tot. War es Mord? | |
Kannibalismus-Prozess in Dresden: Der Schlachter vom LKA | |
Das Dresdener Landgericht verurteilt einen 57-Jährigen zu achteinhalb | |
Jahren Haft. Sein Opfer wollte getötet und aufgegessen werden. | |
Bizarrer Kriminalfall: Ermordeter wollte verspeist werden | |
Trefpunkt „Zambian Meat“: Ein Unternehmensberater lernt über das Internet | |
einen Polizeibeamten kennen und lässt sich von diesem erstechen und | |
zerstückeln. |