# taz.de -- Bremer Theater: Intendant stolpert über "Marie Antoinette" | |
> Mit einem Vier-Millionen-Euro-Defizit verlässt der Intendant Hans-Joachim | |
> Frey das Bremer Theater vorzeitig. Auslöser sind abermalige | |
> Kostensteigerungen bei der Musical-Produktion um die französische | |
> Königin. | |
Bild: Gibt auf: Intendant Hans-Joachim Frey. | |
Noch während der Pressekonferenz wurde um die richtigen Zahlen gerungen. | |
Als der Bremer Bürgermeister anhebt, die Ergebnisse eines | |
Untersuchungsberichts zum aktuellen Theaterdefizit zu zitieren, will | |
Theaterintendant Hans-Joachim Frey dazwischen gehen: Diese Details dürften | |
"hier nicht thematisiert werden", sagt der 44-Jährige, der eigentlich nur | |
seine vorzeitige Vertragsauflösung "aus persönlichen Gründen" bekannt geben | |
möchte. | |
Doch Jens Böhrnsen, SPD-Regierungschef und Kultursenator in Personalunion, | |
verweist kalt lächelnd auf das Informationsfreiheitsgesetz. Und listet alle | |
Defizite auf: In der Summe hat das Haus mit den vier Sparten Theater, | |
Tanztheater, Oper und Kindertheater ein Minus von fast vier Millionen Euro | |
erwirtschaftet. 2,5 davon wurden durch die Musical-Produktion "Marie | |
Antoinette" generiert. Bei deren Premiere im Februar hatte Böhrnsen noch | |
begeistert ausgerufen: "Wir sind wieder Musical-Stadt!" | |
Bislang war der Öffentlichkeit bekannt, dass das Musical um die | |
verschwendungssüchtige französische Königin 1,5 Millionen Miese gemacht | |
hat. Die weitere Million brachte eine Untersuchung der "Fides Treuhand" ans | |
Licht, die Böhrnsen vor kurzem mit einer Sonderprüfung beauftragt hatte. | |
Hintergrund war die "Tatsache, dass sich die Theaterleitung im Juni und | |
Juli gezwungen sah, in kurzen Abständen den Sachstand immer wieder zu | |
aktualisieren" - wie das Kulturressort so offiziell wie explizit mitteilte. | |
Der Ärger des Bürgermeisters über die Salami-Taktik des Theaters in Sachen | |
Kostensteigerungen hatte schon mehrfach zu Streitigkeiten hinter den | |
Kulissen geführt. Noch kurz vor der Pressekonferenz mit der Musical-Bilanz | |
Anfang Juni weigerte sich die Theaterleitung, wenigstens das damals als | |
"gültig" geltende 1,2 Millionen-Defizit bekannt zu geben. | |
Ebenso hielt sie mit den enttäuschenden Besucherzahlen hinter dem Berg - um | |
sich später mit den Worten zu entschuldigen, es sei bei einem derart von | |
Stimmungen abhängigen Geschäft "kontraproduktiv", vor dem letzten Vorhang | |
mit konkreten Angaben an die Öffentlichkeit zu treten. Zu "Marie | |
Antoinette" waren nur 90.000 Zuschauer statt der erwarteten 120.000 | |
gekommen. | |
Auch bei den anderen Ergebnissen der Wirtschaftsprüfer ist nachvollziehbar, | |
warum Frey sie nicht gern verlesen sieht. Der Bürgermeister fasst zusammen: | |
"Es gab Mängel im Controlling, kein Risikomanagement, das Bestellwesen war | |
nicht organisiert, gegen Beschlüsse des Aufsichtrats wurde verstoßen." In | |
Summa: "Es gab keine geordnete Geschäftsführung." | |
Selbstverständlich treffen diese Vorwürfe nicht Frey allein: Der | |
kaufmännische Geschäftsführer des Theaters, ein früherer | |
Automobil-Logistiker, verabschiedet sich in den Vorruhestand, der | |
Projektmanager des Musical wurde schon vor längerem geschasst - ist | |
mittlerweile aber wieder als Sprecher des Bremer Flughafens aktiv. Frey | |
selbst betont, seinen Vertragsrücktritt bereits während des Sommerurlaubs | |
auf Mallorca beschlossen zu haben - also vor Abschluss der | |
"Fides"-Untersuchung. | |
In jedem Fall ist sein Abgang gut abgefedert: Er muss erst in einem Jahr, | |
also nach Ablauf der ohnehin schon durchgeplanten, jetzt beginnenden | |
Spielzeit, seinen Stuhl räumen. Zudem behält er bis 2012 die Intendanz der | |
von ihm eingerichteten "Seebühne", einer nur im Sommer bespielten Open | |
Air-Oper - offenbar eine Alternative zu Freys Abfindung wegen der | |
vorzeitigen Vertragsauflösung, auf die er im Gegenzug verzichtet. | |
Die Folgen für das Bremer Theater sind eklatant. Zwar steht es nicht am | |
Rand einer Insolvenz, mit der ihm 2005 anlässlich eines Millionen-Defizits | |
das damals noch CDU-geführte Kulturressort drohte. Doch muss es den | |
kommenden fünf Jahren zwei Millionen Euro einsparen. Bis 2014 wird der | |
künstlerische Etat um 845.000 Euro abgeschmolzen, der Marketing-Etat um | |
100.000 Euro, gleichzeitig soll das Theater eine Million durch | |
Energiesparmaßnahmen, aber auch durch erhöhte Ticket- und Garderobenpreise | |
erwirtschaften. Dafür übernimmt die Stadt alte Schulden des Theaters aus | |
der Krise von 2005 in Höhe von 2,9 Millionen und trägt die | |
Tarifsteigerungen mit. Zur Behebung des aktuellen Liquiditätsengpasses gibt | |
es einen Kontokorrentkredit. | |
Inhaltlich soll die von Frey eingeführte Produktionsphilosophie gecancelt | |
werden: Statt vieler Gäste, unter ihnen gern auch teure Prominenz wie | |
Katharina Wagner und Maximilian Schell, soll wieder verstärkt auf das | |
eigene Ensemble gesetzt werden. Auch die übliche Repertoirespielweise, die | |
Frey zu Gunsten eines En-bloc-Systems eingeschränkt hatte, wird wieder | |
eingeführt. | |
Künstlerisch bedeutete Freys 2007 angetretene Intendanz keinen Einbruch: | |
Auch unter Vorgänger Klaus Pierwoß war das Schauspiel mitunter | |
durchwachsen, im Musiktheater, Freys Hauptanliegen, setzte er erfolgreich | |
auf diverse spannende Uraufführungen wie "Gegen die Wand" nach dem | |
gleichnamigen Kinofilm. Die Zuschauerzahlen zogen an, auch die langfristige | |
Kooperation des Bremer Tanztheaters mit der entsprechenden Compagnie des | |
Oldenburger Staatstheaters unter dem Label "Tanz Nordwest" ist ein Modell, | |
das durch die partielle Bündelung der Kräfte Vorteile hat - falls es nicht | |
langfristig zu einer Fusion beider Ensembles führen soll. | |
Viel Kritik zog Frey allerdings durch seinen explizit | |
Wirtschafts-orientierten Stil auf sich: Um sich von seinem als "links" | |
geltenden Vorgänger abzusetzen, betonte er bei jeder Gelegenheit die enge | |
Verwobenheit von Wirtschafts- und Kulturinteressen. Er gründete mit dem | |
"Internationalen Kulturforum Theater Bremen" einen penetrant mit | |
Goldbuchstaben beworbenen Honoratioren- und Sponsorenclub, wollte Bremen | |
mit einem Opernball beglücken und zeigte sich gern Zigarrenschmauchend vor | |
dem Theater mit Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. | |
Die Rauchkringel verpufften nicht wirkungslos: Porsche sponserte das "Marie | |
Antoinette"-Musical mit einer kleinen "Chayenne"-Flotte, die die | |
Premierengäste zur anschließenden Groß-Sause beförderte. Einen geldwerten | |
Vorteil von 2,5 Millionen stellte das allerdings nicht dar. | |
18 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
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