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# taz.de -- Portrait Frank-Walter Steinmeier: Der Schattenmann
> Kanzlerkandidat Steinmeier wirkt mehr wie ein politischer Beamter:
> pflichtbewusst, leise, sachlich. Den Wahlkampf absolviert er routiniert
> und gelassen. Hat er schon aufgegeben?
Bild: Glaubt er noch an den Sieg? Frank-Walter Steinmeier beim signieren.
Die Betriebsräte und der Chef der Firma Liqui Moly sitzen an einem Tisch
mit weißem Tischtuch und warten auf Frank-Walter Steinmeier. Es ist Ende
August, der Raum ein karger Funktionsbau im Gewerbegebiet von Ulm. Liqui
Moli ist ein mittelständischer Betrieb, der Motorenöl für den globalen
Markt produziert.
Gleich wird Steinmeier, gefolgt von einem Tross von Journalisten und
Bodyguards vorfahren. Er tourt ein paar Tage durch Deutschland und redet
mit Arbeitern und Unternehmern, mit Professoren und Altenpflegern. Diese
Reise soll zeigen, dass Steinmeier, der oft hölzern wirkt, Antennen für
alle Milieus hat.
Als Steinmeier kommt, stellt ihn der Firmenchef Ernst Prost kurz angebunden
vor. Und redet dann lange. "Ich würde lieber auf Gewinn verzichten als
Angestellte entlassen", sagt er. Prost ist so, wie sich die SPD einen
deutschen Unternehmer vorstellt: global erfolgreich, sozial verantwortlich.
Ernst Prost schimpft allerdings nicht nur auf Shareholder value, sondern
auch den überbordenden Sozialstaat und Arbeitslosenunterstützung. "Hören
Sie auf Schulden zu machen, hören Sie auf Subventionen zu verteilen. Hören
Sie auf, die Fleißigen zu schröpfen", ruft Prost, beseelt von dem Gefühl,
eine lange unterdrückte Wahrheit endlich auszusprechen. Er legt Steinmeier
dabei kurz die Hand aufs Knie. Der Kandidat lächelt dünn.
Der Termin, gedacht als Illustration für Steinmeiers Deutschland-Plan einer
innovativen Wirtschaft, droht aus dem Ruder zu laufen. Steinmeier bleibt
ruhig. Wie fast immer. Er verteidigt gleichmütig Bankenrettung und
Konjunkturprogramm und fragt freundlich, ob der Betriebsrat von dem Chef
auch so begeistert ist, wie der von sich selbst. Ja, sagt der Betriebsrat
brav.
Steinmeier stellt noch ein paar präzise Fragen, etwa ob die Firma für eine
Zukunft ohne Auto gerüstet ist. Es macht ihm nichts, dass Prost ihm die
Show stiehlt. Irgendwie behält er die Fäden in der Hand. Mit Fragen.
Diese Sommerreise ist eine Art inszenierte Authentizität: künstliche
Situationen, die echt aussehen sollen. Manchmal sind sie echter, manchmal
inszenierter. In einem Altenpflegeheim der AWO in München geht es eher echt
zu. Die Altenpflegerinnen sind aufgebracht. Über die neue Pflegerichtlinie
der Großen Koalition, die nur Kontrolle und Bürokratie bringt. "Die meisten
glauben, dass Altenpflege heißt, Alte aufs Klo zu bringen" sagt eine
erregt, dabei sei die Pflege von Demenzkranken "eine hoch spezialisierte
Arbeit". Krankenschwestern", sagt eine andere, "heilen Patienten. Wir
heilen niemanden. Wer unser Heim verlässt, ist tot."
Steinmeier nickt, hört zu, fragt nach Schichtdienst und Arbeitsbelastung.
Das Image der Altenpflege, sagt er aufmunternd, "ist doch besser geworden.
Aber das nutzt nichts, wenn Sie das anders sehen." Manchmal ist er so
vernünftig, dass man ihn schütteln will. Eine Altenpflegerin sagt nach dem
Treffen zu ihrer Kollegin: "Der wird nichts für uns tun. Aber er hat
immerhin zugehört."
Frank Walter Steinmeier ist niemand, der erst andere von der Bühne schubsen
muss, um in Form zu kommen. Er schikaniert seine Mitarbeiter auch nicht,
was im Berliner Regierungs- und Parlamentsbetrieb nicht die Regel ist. Er
hat kein raumgreifendes Ego. Er kann leise mit ein paar wohl gesetzten
Fragen die Diskussion lenken. Auch so kann man Macht ausüben.
Er wäre ein idealer Kanzler für eine große Koalition.
In einer TV-Dokumentation war neulich eine wackelige Videoaufnahme aus den
frühen 80er Jahren zu sehen. Steinmeier saß als braver Student, mit großer
Brille und maßvoll langen Haaren, in der WG-Küche und hielt sich die Hand
vor das Gesicht. Er wollte nicht gefilmt werden.
Jetzt steht er unter Beobachtung, immer. Damit tut er sich schwer. Lange
war er der Mann im Hintergrund, Schröders "graue Effizienz". Kein
Politiker, ein politischer Beamter. Dies ist sein erster Wahlkampf.
Vielleicht auch sein letzter.
Etwas von dem Studenten, der lieber nicht gefilmt werden will, hat er noch
immer. Vor einem Jahr hat er auf dem SPD-Parteitag eine lange Rede
gehalten. Danach stand er etwas ratlos im Scheinwerferlicht, die Genossen
jubelten, und Steinmeier wusste nicht wohin mit sich und dem Jubel. Aber er
hat gelernt, wendiger zu wirken. In der ARD-Wahlarena wurde er Anfang der
Woche neben ein hohes Glaspult platziert. Wer sich daran festklammert,
wirkt unsicher, wer sich anlehnt, souverän. Steinmeier legte locker den Arm
auf das Pult.
Am letzten Samstag redete er in Potsdam vor tausend Genossen. Als er mit
Matthias Platzeck in der Zuschauermenge versinkt, lächelt er und winkt. Die
Rede ist kürzer als früher, auch runder. Es ist die übliche Wahlkampfprosa,
aber für dieses Genre nicht übel. Er brüllt nicht mehr wie ein
Schröder-Imitator. Er warnt vor Schwarz-Gelb, ohne Merkel persönlich scharf
anzugreifen.
Steinmeiers Problem ist, dass er zwei Rollen zur Deckung bringen muss, die
nicht passen. Er muss als Merkel-Herausforderer angreifen, aber dabei der
sonore, korrekte, neutrale Außenminister bleiben. Steinmeiers Rollenproblem
spiegelt das grundsätzliche Dilemma der SPD. Die SPD kann keinen scharfen
Oppositionswahlkampf machen, weil sie seit elf Jahren regiert. Aber sie
kann auch nicht nur als Merkels netter Juniorpartner antreten.
2005, als er Außenminister wurde, war er für die Öffentlichkeit ein
unbeschriebenes Blatt. Um das zu ändern, hat er ein Buch über sein Leben
geschrieben, eine Biographie wurde veröffentlicht, WG-Genossen aus Gießen,
Fußballtrainer und Schulkameraden haben im TV beschrieben, wie Frank früher
war. Doch das Bild ist noch immer blass. Ein Aufsteiger in Schröders
Schatten. Ein Leben ohne Niederlagen, ohne rauschende Erfolge, ohne jähe
Wendungen. "Im Grunde ist er langweilig", hat Peter Struck, noch
SPD-Fraktionschef, über ihn gesagt.
In Potsdam reckt er am Ende der Rede die Arme in die Luft, er lässt sich
routiniert feiern. Dafür, dass er eigentlich kein Parteipolitiker ist,
macht Steinmeier das gut. Er macht immer alles so gut wie möglich.
Bei vielen Spitzenpolitikern hält das Narzißtische den Motor in Gang. Sie
werden abhängig von der Aufmerksamkeit, von den TV-Kameras, von der eigenen
Bedeutung und Unentbehrlichkeit. "Wenn mich auf fünf Schritte keiner
erkennt, werde ich depressiv", hat Heide Simonis mal gesagt. Steinmeier,
der Unauffällige, tickt anders. Ihn hält ein ungeheuer mächtiger Anspruch
an sich selbst in Gang, sagt einer, der ihn lange kennt. Ein
protestantisches Ethos.
Manchmal, wenn es ihm zu viel wird, lacht er. Es ist ein unverkennbares,
meckerndes Lachen. Er lacht auch, wenn es eigentlich nichts zu lachen gibt.
Dieses Lachen ist auch ein Mittel, um sich das alles vom Leib zu halten:
die immer gleichen Fragen der Journalisten nach miesen Umfragen, die
drängelnden Fotografen, den Stress.
Wenn es mies läuft, wird Steinmeier ein katastrophales Ergebnis einfahren,
weniger als 28 Prozent 1953. 2002 und 2005 fiel in den letzten zwei Wochen
ein Thema vom Himmel, das die SPD in letzter Sekunde rettete. Dass dies
noch mal passiert, wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Doch Steinmeier,
berichten Mitarbeiter halb verwundert, ist völlig gelassen. Vielleicht,
sagt einer, hat er sich mit der Niederlage innerlich schon abgefunden. Er
weiß, dass er alles getan hat, deshalb ist er so ausgeglichen, sagt ein
anderer.
Es gibt allerdings ein Wort, das den Kandidaten wie auf Knopfdruck aus der
Fassung bringen kann: Kurnaz. Noch immer.
2002 hat Steinmeier, damals Kanzleramtschef, entschieden, dass Murat Kurnaz
nicht nach Deutschland einreisen darf. Kurnaz stammt aus Bremen, geriet
zufällig in die Fänge des US-Antiterrorkampfes und wurde in Guatanamo
inhaftiert, gefoltert. 2002 hätten die US-Behörden ihn vielleicht
freigelassen, hätte Deutschland ihn aufgenommen. Doch Steinmeier schien das
Riskio zu groß, dass er doch ein Extremist sein könnte.
Das war ein Fehler, Kurnaz unschuldig. Es war Ausdruck eines übersteigerten
Sicherheitsdenkens, aber, ein Jahr nach dem 11.9., nachvollziehbar. Nicht
nachvollziehbar ist, was Steinmeier 2007 tat. Angela Merkel hatte Kurnaz
inzwischen nach Deutschland geholt. Am 29. März 2007 sagte er, dass Kurnaz
an "der Seite der Taliban kämpfen wollte" und verglich ihn mit Mohammed
Atta, dem Attentäter des 11. September. "Blaming the victim" nennt Kurnaz'
Anwalt Bernhard Docke diese Strategie.
Bis heute verändert sich Steinmeiers Tonfall bei dem Thema Kurnaz. Er
bedauert gepresst, dass "Herr Kurnaz viele Jahre in Guantanamo gesessen
hat" und erklärt, dass "er mit ihm nicht persönlich reden will". Punkt.
Eigentlich passt diese halsstarrige Uneinsichtigkeit nicht zu ihm.
Eigentlich wäre die Steinmeier-Art, das Thema kühl und besonnen zu
betrachten und dann das einzig Vernünftige zu tun: sich bei Kurnaz in aller
Form zu entschuldigen. "Ich verstehe nicht", sagt einer seiner Vertrauten,
"warum es bei ihm diese Verhärtung gibt."
Doch Steinmeier glaubt felsenfest, 2002 seine Pflicht getan zu haben. Das
ist seine Verteidigungslinie, darin hat er sich eingegraben. Manchmal
klingt es bei ihm so, als wäre eigentlich ihm Unrecht geschehen, nicht
Kurnaz. Steinmeier, der nüchterne, kühle Analytiker, glaubt wirklich an
diese bizarre Verdrehung.
Kurnaz ist wie ein Schatten in der Biographie des freundlichen, dezenten
Frank-Walter Steinmeier. Es ist das Rätsel in einem Leben ohne Geheimnis.
12 Sep 2009
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Frank-Walter Steinmeier
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