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# taz.de -- Autor Liao Yiwu darf nicht ausreisen: Der manische Chronist
> Liao Yiwu ist einer der bedeutendsten Autoren der chinesischen Gegenwart.
> So bedeutend, dass ihn China nicht ausreisen lässt. Zur Frankfurter
> Buchmesse darf er nicht kommen.
Bild: Die Frankfurter Buchmesse wird Liao Yiwu nicht sehen.
BERLIN taz | Es wäre eine echte Geste gewesen, ein großes und wunderbares
Zeichen für Lockerung und Einsicht, wenn Liao Yiwu hätte nach Deutschland
reisen dürfen. Bei genauer Lektüre seines soeben auf Deutsch erschienenen
Buches "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser" wird allerdings glasklar,
warum es so gekommen ist.
Eine Regierung wie diese, die zu diesem Buch stünde, müsste trotz aller
lobenswerter Fortschritte der letzten Jahre nicht nur auf der Stelle die
balsamierte Leiche Maos auf den Mond schießen und die chinesischen
"Umerziehungslager" auflösen, sie müsste sich selbst abschaffen. Sie hätte
sich ad absurdum geführt. "Menschen vom Bodensatz der Gesellschaft" hieß
Liaos Buch auf Chinesisch. Es wurde in China bald nach Erscheinen verboten
und ist unter dem Titel "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser" auf Deutsch
herausgekommen.
Outcasts also sind es, die Liao Yiwu zehn Jahre lang gesucht, gefunden und
gesprochen hat: Klomänner, Prostituierte und Straßenmusiker - aber auch
Leute, die während der politischen Kampagnen der 1950er- und 1960er-Jahre
gewaltsam an den Rand gedrängt wurden, Kader, Künstler, Intellektuelle, die
zu Rechtsabweichlern oder Konterrevolutionären abgestempelt wurden.
Herausgekommen ist ein Buch, das aufregender ist als das meiste, das man in
letzter Zeit aus China zu lesen bekommen hat - aufregender auch als das
meiste, das jetzt, anlässlich des China-Auftrittes auf der Frankfurter
Buchmesse, erscheint.
Die Subjekte, die in Liao Yiwus großartigem Buch zur Sprache kommen, sind
anders als das noch immer verbreitete westliche Klischee vom konformen
China und trotz aller Anfechtungen, die sie persönlich ertragen mussten,
nicht nur urteilsfähig, selbstbewusst und schlagfertig. Sie erzählen ihre
kleinen, privaten Geschichten auch mit solch großer, jäher Wut, dass nichts
übrig bleibt von alten chinesischen Mythen wie Gleichheit und Gerechtigkeit
oder neuen Mythen wie mehr Wohlstand und Freiheit für alle.
Da ist zum Beispiel der Arbeitsgruppenleiter, der über die wahrscheinlich
größte Hungersnot der Menschheitsgeschichte in den frühen Sechzigern
spricht, die Mao verschuldet hat und in China immer noch offiziell als
"Naturkatastrophe" gilt. So grauenvoll war der Hunger, dass die Familien
ihre eigenen Kinder kochten. "An jeder Seite des Waschkessels, der ihnen
als Topf gedient hatte, war ein etwa faustgroßer Fleischbrocken, die Haut
über dem Fleisch eines Menschen ist dünn, wenn man es kocht, dann schnurrt
es richtig verlockend zusammen", heißt es da.
Da ist zum Beispiel die Angehörige der Sekte Falun Gong, die "belehrt"
wurde. "Ich war kaum in der Tür, als mich der stellvertretende
Parteisekretär an der Brust packte. Es prasselte Schläge. Ich brach
zusammen, da trat er mir immer wieder mit seiner Schuhspitze gegen den
Kopf." Geschichten wie diese bleiben ewig kleben, sie verfolgen ihre Leser
in die tiefsten Träume.
Die Oral History, eine Reportagenliteratur der Gesprächsprotokolle, hat in
China derzeit Auftrieb. Viele chinesische Autoren, aber auch Filmemacher
und Journalisten, wollen immer genauer wissen, was nicht in den
Geschichtsbüchern steht und was den Leuten wirklich in den letzten
Jahrzehnten passiert ist. Es geht um Erinnerungskultur - eine Disziplin,
für die es in China bislang nicht einmal ein Wort gibt.
Einer der radikalsten, manischsten und brillantesten dieser Archäologen und
Archivare ist Liao Yiwu. Er sagte selbst 1989, was er dachte, wurde dafür
vier Jahre lang eingesperrt und ist auch daher seinen Gesprächspartnern mit
frecher Neugier und auf Augenhöhe begegnet. Dass es Autoren wie er auf
unbestimmte Zeit nicht leicht haben werden, liegt leider auf der Hand.
25 Sep 2009
## AUTOREN
Susanne Messmer
Susanne Messmer
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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