# taz.de -- Autor Liao über Zensur in China: "Nur auf sich selbst verlassen" | |
> Schriftsteller Liao Yiwu will die Lebensverhältnisse in China ehrlich | |
> beschreiben. Deshalb durfte keines seiner Bücher bisher dort erscheinen, | |
> "weil sie dem Ansehen Chinas schaden." | |
Bild: China lässt Liao Yiwu nicht gehen und hat seine Büche verboten. | |
taz: Herr Liao, warum lässt man Sie nicht zur Frankfurter Buchmesse fahren? | |
Liao Yiwu: Einen Grund hat man mir nicht genannt. Beamte der | |
Staatssicherheit in meiner Heimatstadt Chengdu haben zweimal mit mir | |
gesprochen und nur gesagt: "Sie dürfen nicht reisen." Vor einiger Zeit | |
wollte ich nach Australien fahren, da hat man mich auch gestoppt. Damals | |
hieß es, meine Ausreise würde dem Ansehen Chinas beträchtlichen Schaden | |
zufügen. | |
Was hatten Sie in Deutschland vor? | |
Mein Buch ist in einem großen deutschen Verlag erschienen. Dort versprach | |
man sich von meiner Anwesenheit Werbung für das Werk. Und ich wollte nach | |
Deutschland fahren, um den Lesern meine Geschichten aus China zu erklären. | |
Warum ist Ihr Buch in China verboten? | |
Das ist schon 2001 geschehen. Damals hatte die Zeitung Südliches Wochenende | |
gerade ein Gespräch mit mir über meine Arbeit veröffentlicht, als "Dialog | |
über Interviews mit Chinesen aus der Unterschicht". Das erregte in der | |
Öffentlichkeit Aufsehen, die Zeitung bekam großen Ärger, der Chefredakteur | |
wurde gefeuert, die Ressortleiter wurden ausgetauscht. Seitdem darf mein | |
Name in den Medien nicht mehr genannt werden. Trotzdem habe ich nicht | |
aufgehört, Chinesen aus den ärmsten Schichten zu interviewen. Bis heute | |
habe ich mit 300 Menschen gesprochen und ihre Geschichten aufgeschrieben. | |
Einige davon wurden in den USA veröffentlicht, in die deutsche Ausgabe sind | |
noch weitere Interviews aufgenommen worden. | |
Woher kennen die Chinesen Ihre Werke? | |
Kein einziges meiner Bücher ist bislang in China erlaubt worden. Aber ich | |
stelle sie ins Internet, und sie werden in Hongkong und in Taiwan gedruckt. | |
In China kursieren zudem Raubkopien, ohne die ursprünglichen Fotos und mit | |
vielen Druckfehlern. | |
Warum werden manche Bücher in China verboten und andere dürfen erscheinen, | |
obwohl die sich auch mit heiklen Themen wie Korruption und Armut | |
beschäftigen? Das ist im Ausland schwer zu verstehen. | |
Das müssen Sie nicht mich, sondern die Regierung fragen. Ich bin nur ein | |
Schriftsteller. Ich war nach 1989 im Gefängnis, aber das ist lange her. Ich | |
bin ja nicht der Einzige, der über unser Gesellschaftssystem schreibt. | |
Meine Geschichten haben gar nicht die Absicht, die Regierung schlecht | |
aussehen zu lassen. Ich will nur die Geschichte Chinas dokumentieren. Als | |
Schriftsteller habe ich die Pflicht, diese Ereignisse und Lebensgeschichten | |
aufzuzeichnen. Ich verstehe es wirklich nicht. Ich wollte doch nicht nach | |
Deutschland fahren, um Parolen zu rufen und zum Umsturz aufzuhetzen! Die | |
chinesische Regierung hat keinen Grund, sich Sorge zu machen. Ich laufe | |
nicht weg. Wenn ich in Deutschland bleiben würde, hätte ich nichts mehr, | |
worüber ich schreiben könnte. | |
Sie haben im Gefängnis gesessen, warum? | |
1989 war ich ein junger Poet. Nach dem 4. Juni verfasste ich ein Gedicht | |
unter dem Titel "Massaker", und es wurde über einen ausländischen | |
Radiosender ausgestrahlt. Dann machten wir einen Film über die Ereignisse - | |
und die ganze Filmcrew kam ins Gefängnis. Das war 1990. Die meisten | |
erhielten eine Haftstrafe von ein paar Monaten bis zwei Jahren, ich bekam | |
vier Jahre. Danach wurde ich noch ein paar Mal unter Hausarrest gestellt, | |
ohne Gerichtsurteil. | |
Die Vorsitzende des chinesischen Schriftstellerverbandes, Frau Tie Ning, | |
hat gerade erklärt, in China säße heutzutage kein Schriftsteller wegen | |
seiner Werke im Gefängnis. Wer inhaftiert sei, habe sich wohl etwas | |
zuschulden kommen lassen und gegen das Gesetz verstoßen. | |
Das ist Unsinn. Damals kam ich wegen meines Gedichts ins Gefängnis. Aber | |
ich kann verstehen, warum sie das sagt. Sie gehört zu jenen, die sich | |
innerhalb des Systems befinden. Diese Leute bekommen wenig davon mit, wie | |
es in China wirklich aussieht. Auch im Ausland gibt es Schriftsteller, die | |
in so einer Art System leben, man kann sie wohl regierungsnahe Autoren | |
nennen. Die werden gern nach China eingeladen, wo sie sich prächtig mit | |
ihren hiesigen Kollegen unterhalten. Das ist wie ein Interessensnetzwerk. | |
Aber ich hoffe, dass die Leute im Westen nicht vergessen, dass es unter den | |
chinesischen Schriftstellern und Dichtern eine Gruppe von Untergrundautoren | |
gibt, die Meinungsfreiheit brauchen, und die Wahrheit. Es ist wahr: Der | |
Kalte Krieg ist vorbei. Aber wir müssen weiterhin Zeitzeugen sein, das | |
Leiden der einfachen Menschen dokumentieren. | |
China feiert am 1. Oktober den 60. Jahrestag der Staatsgründung. Werden Sie | |
feiern? | |
Ich glaube, 60 Jahre sind nur ein winziger Moment in der langen Geschichte | |
Chinas. Die meisten Dynastien haben 200 bis 300 Jahre gedauert. Wenn die | |
Regierung glaubt, dass 60 Jahre wichtig sind, soll sie feiern. Mich berührt | |
das nicht. | |
Was wünschen Sie sich für die Zukunft? | |
Man soll seine Hoffnungen niemals von seinem Land oder von der Gesellschaft | |
abhängig machen, man kann sich nur auf sich selbst verlassen. Ich schreibe | |
und mache Untergrundmusik, das ist alles. Auch wenn das Internet | |
kontrolliert wird, auch wenn wir keine Redefreiheit haben: Solange es nur | |
ein oder zwei Leute gibt, die meine Arbeiten lesen, habe ich das Gefühl, | |
etwas geleistet zu haben. Aber für den Staat und die Gesellschaft habe ich | |
keine großen Hoffnungen. | |
Womit verdienen Sie ihr Geld? | |
Ich lebe vom Schreiben. Außerdem verdiene ich noch etwas mit meinen | |
Auftritten als Untergrundmusiker. Ich bin ziemlich bekannt in diesen | |
Kreisen. Ich spiele die Harmonika und singe Songs, von denen Sie sicher nie | |
gehört haben. Manchmal kann ich bei einem Auftritt ein paar Hundert Yuan | |
einnehmen (ein paar Dutzend Euro). Vergangenes Jahr wurde mein Buch in den | |
USA publiziert. Die Tantiemen habe ich mir mit dem Übersetzer halbe-halbe | |
geteilt. In China kann man mit wenig überleben, darin bin ich gut. | |
25 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
Jutta Lietsch | |
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Schwerpunkt Coronavirus | |
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