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# taz.de -- Regierungskrise in der "kleinen DDR": Thomas Nords Dreifrontenkampf
> Der Landeschef der Linken war überzeugter IM. Doch Thomas Nord hat
> bereits 1990 alles gestanden Jetzt wird seine Partei von der Geschichte
> eingeholt.
Bild: Seinen Stasi-Verstrickungen hat sich Nord stets gestellt, seine Partei ni…
Thomas Nord war kein Mitläufer. Er wurde nicht durch einen bösen Zufall IM.
Er war Überzeugungstäter. Anfang der 80er-Jahre denunzierte er als Leiter
eines Jugendclubs friedensbewegte Teenager. "Revolutionäre Wachsamkeit",
sagt er, "war für mich keine Parole." Das Ministerium für Staatssicherheit
stand für ihn in der Tradition von antifaschistischen Agenten wie Richard
Sorge. Der Antifaschismus imprägnierte sein Weltbild wie eine Wachsschicht
gegen alle Zweifel. IM, sagt Nord, klingt geheim. Es war etwas anders. "Im
Jugendclub bin ich mit FDJ-Blauhemd und Parteiabzeichen erschienen. Jeder
wusste, wer ich war."
Nord ist 52 Jahre alt und hat graue, kurze Haare. Ein gut aussehender Mann,
ein eloquenter Erzähler. Er sucht keine hübschen, neutralen Worte, wo
nichts aufzuhellen ist. Als Anfang 1989 in der DDR sogar die sowjetische
Zeitschrift Sputnik wegen Stalin-Kritik verboten wurde, fand Nord das
hundertprozentig richtig. Kritik an der KPdSU war Verrat, auch wenn sie aus
der Sowjetunion kam. "Ich war bis zum Ende der DDR gläubig", sagt er.
Im Frühjahr 1990 kandidierte er für die Bezirksversammlung in
Berlin-Prenzlauer Berg für die PDS und offenbarte den Genossen seine
IM-Geschichte. Nicht alles, aber einiges. Bürgerbewegten wie Reinhard
Schult vom Neuen Forum gab er seine Stasi-Akte zu lesen. Vielleicht trieb
ihn die Angst, enttarnt zu werden, vielleicht war dies seine Art, auf den
totalen Zusammenbruch des Lügengebäudes DDR zu reagieren. Sicher ist: Dies
taten 1990 nur ganz wenige IM.
Reinhard Schult, der in der DDR acht Monate im Knast saß und heute bei der
Berliner Stasiunterlagen-Behörde arbeitet, sagt: "Nord hat sich damals
anders verhalten. Er ist auf uns DDR-Oppositionelle zugekommen und hat
zugegeben, was er getan hat." In den Neunzigerjahren arbeitete Nord zwei
Jahre in einem Copyshop und trieb sich in der linksradikalen Szene herum,
ehe er Karriere in der PDS machte. Er hatte psychische Krisen, und
besorgniserregend wäre wohl, wenn er all das ohne Krisen überstanden hätte.
Seit ein paar Wochen ist Nord Bundestagsabgeordneter der Linkspartei. Er
ist Landesvorsitzender der Linken in Brandenburg, die dort mit der SPD
regiert. Die rot-rote Koalition ist ein Symbol, dass die Ex-SEDler
endgültig in der Demokratie angekommen sind. Das ist, gerade für Realos wie
Thomas Nord und Kerstin Kaiser, eine Erfolgsgeschichte. So war es geplant.
Aber so ist es nicht. Mindestens zwei Landtagsabgeordnete haben ihre
Stasi-Kontakte verschwiegen, vielleicht auch drei. Rot-Rot steht unter
Druck. Ministerpräsident Matthias Platzeck muss sich an diesem Freitag im
Landtag gegen eine wütende Opposition wehren. Platzeck, sagt ein
SPD-Abgeordneter in Potsdam, hätte Rot-Rot nie riskiert, wenn er geahnt
hätte, welche Zeitbomben da ticken. Rot-Rot ist in der Krise, weil die
Linkspartei von ihrer Geschichte eingeholt wird. Und Thomas Nord versteht
nicht wirklich, warum.
Auf dem Tisch im Bundestagsrestaurant liegt sein Handy und klingelt. Es ist
Mittwochvormittag und Nord nimmt den Anruf mit der Miene eines Mannes
entgegen, der auf schlechte Nachrichten gefasst ist. Es gibt einen weiteren
Stasi-Fall, möglicherweise. Der Abgeordnete Michael Egidius Luthardt war
beim Wachregiment des MfS. Aber je mehr Details bekannt werden, desto
kleiner wird der Fall. Verschwiegen hat Luthardt das nicht, und
Wachregiment ist etwas anderes als IM. "In dubio pro reo gilt auch bei
Stasi-Vorwürfen", sagt Nord, "auch wenn es für mich mit meiner Biografie
nicht einfach ist, das glaubhaft zu machen."
In seinem Selbstbild kämpft Nord an drei Fronten: gegen eine vorschnell
urteilende Öffentlichkeit, gegen einen Teil der eigenen Partei, der nichts
mehr von den alten Geschichten wissen will. Und gegen sich selbst, gegen
das Ich, das er vor 20 Jahren war. "Wir Linke in der Tradition des
Realsozialismus", sagt er, "haben ein dickes Schuldkonto." Die Linkspartei
in Brandenburg, so Nord, hat das Stasi-Thema nicht verdrängt. Es gab immer
wieder Debatten über ihn und Kerstin Kaiser, die Fraktionschefin, die als
19-Jährige IM war. Nord versteht die der Stasi-Mitarbeit Beschuldigten, die
in Panik ausbrechen, weil sie sich anonymen Mächten ausgeliefert fühlen,
die Akten haben, die ihnen vorenthalten werden. "Das ist wie in der DDR",
sagt er bitter. Und er versteht, wie übel es Stasi-Opfern geht, wenn die
Täter immer nur zugeben, was bekannt ist und ihre Konspiration nie
aufgeben. Thomas Nord versteht viel. Aber welche Fehler die Linkspartei
gemacht hat, das weiß er nicht.
Nord sei "offen mit seiner Geschichte umgegangen, seine Partei nicht", sagt
Reinhard Schult. Die PDS hat in der Tat nie mit DDR-Nostalgikern gebrochen.
Brandenburg schaffte 1995 die Regelanfrage bei der Stasiunterlagen-Behörde
ab. Offenbar hat das als Ermunterung gewirkt, dass Stasi-Informanten auch
ohne Offenlegung ihrer Verstrickung durchkommen können. "Die
Linkspartei/PDS hat fast überall Stasi-Überprüfungen blockiert. Das ist
jetzt die Quittung", meint Schult. Manche in der SPD halten Kaiser und Nord
für einen Teil des Problems. Leute mit solchen IM-Akten, sagen sie, müssen
doch nicht unbedingt Politiker werden.
Und nun? "Die Grenze der Belastbarkeit ist fast erreicht", meint der
SPD-Abgeordnete Reinhold Dellmann, der Rot-Rot skeptisch gegenübersteht.
Aber ernsthaften Widerstand gegen Platzeck gibt es in der SPD nicht, schon
mangels Alternative. Neuwahlen will in der SPD auch keiner. Augen zu und
durch.
So wird der FDP-Fraktionschef Hans-Peter Goetz im Landtag vehement und
erfolglos Neuwahlen fordern und giften, die Linkspartei habe sich des
Wählerbetrugs schuldig gemacht. Bis zum Mauerfall war Goetz SED-Mitglied
und studierte an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in
Potsdam, einer Kaderschmiede. Von der SED-Mitgliedschaft steht auf seiner
Homepage kein Wort.
4 Dec 2009
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
DDR
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