# taz.de -- Energetisches Bauen in Berlin: Leben im Ökolabor | |
> Wer wohnt, verbraucht Energie - zumindest normalerweise. Denn mit einer | |
> energetischen Bauweise sinkt der Verbrauch. Doch auch die Bewohner müssen | |
> dabei mitmachen. | |
Bild: Sparen beim Energieverbrauch | |
Es sind Kleinigkeiten, die die Wohnung von Dieter Jarchow zu etwas | |
Besonderem machen: der schmale, lang gezogene Kasten mit fünf Löchern an | |
der Decke über der Wohnzimmertür; die Fenster, die allerdings von | |
mindestens einer Lage Gardinen und einer Reihe Topfpflanzen verdeckt sind; | |
der Toilettenspülkasten, obwohl er aussieht, wie jeder andere. Weiß, | |
langweilig. | |
Dieter Jarchow wohnt in einem Gebäude, das als größtes Niedrigenergiehaus | |
Deutschlands gilt. Jarchow vermutet, dass es sogar das größte in ganz | |
Europa ist, aber der Eigentümer, die Wohnungsbaugesellschaft Howoge, will | |
da lieber nicht zu viel versprechen. 21 Stockwerke, 269 Wohnungen, 18.000 | |
Quadratmeter Wohnfläche, das sind die Zahlen. Ein Plattenbau in | |
Lichtenberg, ganz in der Nähe der Frankfurter Allee. | |
Jarchow hat Kaffee gekocht, Kuchen gebacken, früher war er Bäcker, jetzt | |
ist er in Rente. Seit 1974 wohnt er hier. Er ist einer der wenigen, den | |
weder die Wiedervereinigung noch die energetische Sanierung des Gebäudes | |
vertreiben konnten. "Würde ich hier wegwollen, wäre ich längst ausgezogen", | |
sagt er. Im Hintergrund blubbert das Aquarium, das in die Wand zwischen | |
Küche und Wohnzimmer eingelassen ist. | |
"Während der Sanierung war es schlimm", erinnert sich Jarchow. Ein Jahr und | |
sechs Tage hat er gezählt, in denen er Lärm und Dreck aushalten musste, dem | |
Klima zuliebe: 2006 hat die Howoge aus zwei heruntergekommen Plattenbauten | |
ein Niedrigenergiehaus gemacht mit allem Drum und Dran: gedämmte Wände, | |
dreifach verglaste Fenster, Belüftung samt Wärmetauscher, | |
Blockheizkraftwerk. In den Fluren gehen die Lampen nach Bewegungsmeldern | |
an, und in den Bereichen, wo ständig Licht brennen muss, haben die | |
Handwerker Energiesparlampen eingeschraubt. 30 bis 50 Prozent weniger | |
Energie als vor der Sanierung soll das Gebäude jetzt brauchen. Doch das | |
hängt auch von den Bewohnern ab. | |
Jarchow ist nicht in jeder Hinsicht der Musterbewohner. Er hat ein paar | |
Energiesparlampen gekauft und freut sich über eine wassersparende | |
Toilettenspülung. Doch er sagt auch: "Ich finde es gut, dass ich die | |
Fenster auf Kipp stellen kann, dann kommt immer frische Luft rein." | |
Das hören Gudrun Höfs, Projektleiterin der energetischen Sanierung, und | |
Angela Reute, Pressesprecherin der Howoge, gar nicht gern. Denn eigentlich | |
brauchen die Mieter die Fenster gar nicht mehr zu öffnen - das Lüften | |
erledigen die schmalen Kästen mit den Löchern. So soll möglichst wenig | |
Wärme das Haus verlassen. Am besten wäre es, wenn sämtliche Elektrogeräte | |
eine gute Energieeffizienzklasse hätten, Geräte nicht im Standby blieben | |
und die Wohnungen nicht auf 25 Grad hochgeheizt würden. "Wir haben die | |
Hardware gemacht, jetzt müssen die Mieter die Software machen", sagt Reute. | |
Doch die Software hat ihre Tücken. | |
Einige können das Licht von Energiesparlampen einfach nicht leiden. Andere | |
mögen es grundsätzlich wärmer. Und auf die neue Waschmaschine muss auch | |
erst einmal gespart sein. "Es gibt Mieter, die denken, wenn sie schon in | |
einem Niedrigenergiehaus wohnen, können sie ruhig viel heizen, weil es | |
nicht so viel kostet", erzählt Höfs. Für den allergrößten Teil jener, die | |
neu einziehen, zähle vor allem die Ersparnis bei den Nebenkosten im | |
Vergleich zu anderen Wohnungen. | |
Mehrere Kilometer weiter westlich, in Tiergarten Süd, direkt am | |
Landwehrkanal, liegt das erste Ökowohnhaus Berlins. Von außen wirkt es, als | |
hätte ein durchgedrehter Architekt willkürlich Einfamilienhäuser über- und | |
nebeneinandergestapelt. Solarpaneele glänzen zwischen bunten Flächen in der | |
Sonne, dazwischen ragt Grün hervor, rechte Winkel scheint es nicht zu | |
geben. Vor dem schmiedeeisernen Tor stehen Martin Küenzlen und Günter | |
Ludewig. Sie kennen das Gewirr in- und auswendig: Die beiden Architekten | |
waren - neben weiteren - für den Bau der einzelnen Häuser verantwortlich. | |
"Heute würde man das nicht mehr so bauen", stellt Küenzlen klar. 1986 | |
begann die Planung, zum Mauerfall zogen die ersten Eigentümer ein. Die Idee | |
des Gebäudes: Wer Häuser übereinanderstapelt, braucht weniger Fläche - bei | |
teurem Baugrund in der Innenstadt ein nicht unerheblicher Kostenfaktor. | |
"Schubladenprinzip" nennen es die beiden Architekten: Eine Art Basisbau aus | |
zwei Betonebenen war vorgegeben, die Gestaltung der Häuser lag in der Hand | |
des jeweiligen Eigentümers. Wie Schubladen in einem Schrank sollten sie auf | |
den Ebenen ruhen, ohne dass die unteren Häuser die oberen tragen müssen. | |
Und das alles sollte individuell und vor allem ökologisch werden. | |
"Wir wollten so bauen, dass die Häuser möglichst wenig Energie | |
verbrauchen", sagt Küenzlen. Eine gute Dämmung als Basis - doch wie weiter? | |
Was heute beim energieeffizienten Bauen Standard ist - etwa dreifach | |
verglaste Fenster -, gab es damals noch nicht. "Wir haben einfach | |
herumexperimentiert", berichtet Küenzlen. | |
Herausgekommen ist ein Labor unterschiedlichster Methoden zum Klimaschutz. | |
Zum Beispiel das Haus Nummer 18. Es thront ganz oben auf dem Gebäude, Wind | |
und Wetter haben ein leichtes Spiel. Küenzlen hat Solarpaneele an der | |
Sonnenseite angebracht und einen Regenwasserkollektor auf dem Dach. Die | |
Sonneneinstrahlung schafft zudem einen Luftkreislauf zwischen den zwei | |
Stockwerken: Warmluft steigt nach oben, kühlt sich im Dach ab und fällt auf | |
der anderen Seite wieder herunter. | |
Reiner Peters ist einer der Eigentümer der ersten Stunde. Mit Frau und | |
Kindern zog er damals in ein Haus, das vom Erdgeschoss bis in den ersten | |
Stock geht. Türen, Fensterrahmen, Treppe sind aus Holz, im Wintergarten, | |
der als Wärmepuffer dient, steht eine Grünpflanze, die sich mittlerweile | |
über beide Stockwerke erstreckt. Beim Einzug konnte Peters sie noch tragen. | |
"Ich bin in die ökologische Dimension hineingewachsen", sagt er. Habe bei | |
der Entscheidung für das Projekt noch der Gestaltungsfaktor eine große | |
Rolle gespielt, sei der Punkt Klimaschutz für ihn später immer wichtiger | |
geworden. | |
An einer Ecke von Peters Haus hat Architekt Ludewig anstelle von | |
Holzfenstern flache Glaskästen einbauen lassen. In den Zwischenraum können | |
nachts kleine Styroporkugeln geblasen werden. So verfliegt weniger Wärme | |
nach außen. Tagsüber können die Kugeln wieder abgelassen werden und die | |
Sonne den Raum wärmen. "Heute würde man das viel einfacher lösen: mit | |
Dreifachfenstern", sagt er. | |
Die beiden Architekten sehen ihre Arbeit daher als Pionierstück. In einer | |
Zeit, in der Solarkollektoren als exotisch galten und sie staatliche | |
Förderungen für ökologisches Bauen erst im Nachhinein und nur für kleine | |
Teile bekamen, bauten sie für damalige Begriffe ein Niedrigenergiehaus. | |
"Wir haben auch die Entwicklung und die Fördermöglichkeiten, die es heute | |
gibt, mit in Gang gebracht", sagt Küenzlen. So gesehen hat das kleine | |
Ökohaus in Tiergarten Deutschlands größtes Niedrigenergiehaus erst möglich | |
gemacht. | |
14 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
Svenja Bergt | |
## TAGS | |
Erneuerbare Energien | |
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