# taz.de -- Stadtplan für Ökoprojekte in Neukölln: Grüne Karte für Neuköl… | |
> Wer in Neukölln auf der Suche nach Ökologischem ist, kann auf der | |
> Greenmap nachsehen. Dieser Stadtteilplan erklärt auf einen Blick, wo | |
> Ökoprojekte zu Hause sind. | |
Bild: Naturoasen sind auch auf Stadtplänen verzeichnet - zumindest in Neukölln | |
Die Kühe haben schlechte Laune: Das Licht zu ungewohnter Tageszeit hat sie | |
in ihrer Mittagsruhe gestört. Unruhig scharren sie mit den Hufen, schwingen | |
die Köpfe und brüllen so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr | |
versteht. "Die wissen nicht, was jetzt ist - ob sie gemolken werden oder | |
Futter kriegen", erklärt Milchbauer Joachim Mendler. Schnell knipst er das | |
Licht wieder aus. | |
Seit 27 Jahren führt Mendler den Milchhof. Noch bis in die 80er-Jahre lag | |
der Betrieb der Familie in der Schöneberger Steinmetzstraße. Mittlerweile | |
waltet Joachim gemeinsam mit seinem Bruder Georg über rund 50 Kühe, ein | |
paar Hühner, Ziegen und einen Pfau. In dem Hofladen wird frische Kuhmilch | |
verkauft, die anderen Tiere sind "nur zu Anschauungszwecken", stellt | |
Mendler klar. Schließlich schauen auf seinem Hof des Öfteren Schulklassen | |
oder Kindergartengruppen vorbei. "Damit die Kinder mal lernen, wie ein Huhn | |
aussieht und wo die Milch herkommt." Das zu wissen ist in einer Welt, in | |
der die Milch aus der Packung und das Rind in unschuldigen rosa Scheiben | |
auf den Tisch kommt, keine Selbstverständlichkeit mehr, das weiß Joachim | |
Mendler. | |
In grünem Arbeitsanzug und rotem Pullover steht Mendler zwischen Koppel und | |
Kuhstall. Es ist kalt, der Atem der Kühe dampft, aber Mendler friert nicht. | |
Seit fünf Uhr morgens ist er auf den Beinen, hat gefüttert, ausgemistet, | |
gemolken. Jetzt ist Mittagspause, um 16 Uhr geht es wieder los. "Man fängt | |
Montag früh an und hört Sonntagabend auf", erklärt er seine Arbeitswoche. | |
Als Landwirt mit Leib und Seele, so sieht er sich selbst, und gleichzeitig | |
als Exoten. Denn die Brüder Mendler haben ihren Hof weder in den Weiten | |
Brandenburgs noch vor den Toren Berlins. Sondern in Rudow, zwischen | |
Neubausiedlungen und Einfamilienhäusern. | |
Die Lage war es auch, die Peter van de Loo auffiel. Der Geograf hat | |
gemeinsam mit einer Handvoll Mitstreitern eine Karte von Neukölln erstellt, | |
die ökologische und klimafreundliche Projekte verzeichnet. Greenmap heißt | |
sie, angelehnt an ein internationales System von Stadtkarten. Neukölln | |
steht damit in einer Reihe mit São Paulo, Malmö und Edinburgh. | |
Einen Sommer lang liefen van de Loo und seine Kollegen in ihrer Freizeit | |
durch Neukölln auf der Suche nach geeigneten Projekten, sie wälzten | |
Broschüren und hörten sich im Bekanntenkreis um. Herausgekommen ist ein | |
Stadtplan, auf dem zwar viel grau ist. Doch es finden sich ebenfalls eine | |
ganze Menge Symbole, die auf ökologische Nahrungsmittel, Parks, | |
Recyclingplätze hinweisen - oder auf Umweltproblembereiche. | |
"Wir sprechen zum Beispiel Leute an, die reisen oder in eine neue Stadt | |
ziehen, und dort auf einen Blick sehen wollen, welche Gegenden für sie | |
interessant sind", erklärt van de Loo das Konzept der Karten. Wer die | |
Symbole - etwa kleine Bäume mit einem Mensch, die ein Naherholungsgebiet | |
symbolisieren - einmal verstanden hat, soll sich überall zurechtfinden, | |
auch ohne vorher aufwendig Reiseführer zu konsultieren. | |
Der Milchhof ist in der Greenmap ein kleiner Apfel. "Nachhaltige | |
Entwicklung", erklärt die Legende das Symbol, und van de Loo fügt hinzu: | |
"Die Produkte werden praktisch in der Stadt produziert, das spart | |
Transportwege und schont damit das Klima." Außerdem fällt weniger | |
Verpackung an: Wer Milch holt, bringt sein Gefäß selber mit. Wer kein Gefäß | |
hat, bekommt eine Pfandflasche. Es ist ein kleiner Beitrag, das gibt van de | |
Loo zu, aber ein Beitrag. | |
Ein paar Kilometer weiter nördlich, nahe der Karl-Marx-Straße. In einer | |
kopfsteingepflasterteten Seitenstraße beginnt scheinbar eine andere Welt. | |
Der Lärm des Zentrums lässt nach, die Häuser wirken ländlich, aus dem | |
Nichts taucht ein Holzzaun auf, hinter dem Bäume und Sträucher hervorragen. | |
Die kleinen Häuser gegenüber gehören zum Böhmischen Dorf, einer kleinen | |
Gemeinde aus dem 18. Jahrhundert, die Bäume und Sträucher sind Teil des | |
Comenius-Gartens. Auf der Karte ist er mit einem Smiley gekennzeichnet, der | |
die Augen gesenkt hält und zu meditieren scheint. "Spiritueller Ort", | |
lautet die Erklärung. Ein Garten als Ort der Ruhe. | |
Gründer und Geschäftsführer Henning Vierck öffnet die Pforte. Der große | |
Mann mit dem weißen Bart wirkt deutlich jünger als jemand, der bald in den | |
Ruhestand gehen soll. 90 Stunden pro Woche, so schätzt er, verbringt er in | |
dem Garten und der angeschlossenen Werkstatt. "Wir wollen hier das | |
Bewusstsein dafür schärfen, dass es Alternativen zu unserem Verhalten | |
gibt", erklärt er das Ziel des 7.000 Quadratmeter großen Areals. Während er | |
eine junge Frau mit Kinderwagen grüßt, erzählt er von einem Jungen, der ihn | |
im Frühling fragte, ob es denn in diesem Jahr nur noch Blumen gebe und kein | |
Obst mehr. "In dem Moment hat er etwas begriffen", sagt Vierck. Dass die | |
gleichen Bäume, die vorher karg auf der Wiese standen und noch vorher Äpfel | |
trugen, auf einmal blühten, öffne bei dem Jungen ein Bewusstsein "fürs | |
Ganze". | |
Vierck legt Wert darauf, dass vor allem Kinder aus dem Bezirk den Garten | |
nutzen. Verschiedene Schulen aus der Umgebung haben eigene Hochbeete | |
angelegt, die sie pflegen und besuchen. "Die Kinder sammeln hier | |
Erfahrungen, auch Klimaerfahrungen, die sie sonst nicht machen würden." Der | |
Kern: zu lernen, wie etwas Neues geschaffen werden kann, ohne dass dafür | |
etwas anderes zerstört wird. | |
1995 wurde aus der ehemaligen Brachfläche ein Garten, gefördert vom Senat | |
und Geldern der Lottostiftung. "Er entstand zu einer Zeit, in der die | |
Ökologie noch stärker präsent war", sagt Vierck. Ernten ist hier | |
ausdrücklich erwünscht: Äpfel gibt es und laut Vierck "sämtliche | |
Beerenfrüchte Europas". Zwölf Libellenarten haben sich im Laufe der Jahre | |
in dem Teich angesiedelt, und Vierck berichtet von begeisterten Nachbarn, | |
die vor allem im Sommer die Oase vor ihrer Haustür zu schätzen wissen. Ein | |
Mikroklima wie das hiesige sei in Neukölln nicht so häufig zu finden. | |
"An bestimmten Stellen können wir mehr machen als eine große Konferenz wie | |
jetzt in Kopenhagen", sagt Vierck und wird dann doch ein bisschen | |
spirituell: "Die Kinder, die hierher kommen, haben einen Ferrari im Kopf. | |
Sie kommen in diesen Garten - und die meisten haben keinen Ferrari mehr im | |
Kopf, wenn sie gehen." | |
17 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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