# taz.de -- Hauptstadt der Elektroautos: Ganz leise an die Spitze gefahren | |
> Berlin wird zur Hauptstadt der Elektroautos: Drei Pilotprojekte laufen | |
> oder sind geplant. Wissenschaftler üben trotzdem Kritik: Das gesamte | |
> Verkehrsverhalten müsse sich ändern. | |
Bild: Besitzer eines Elektroautos tanken bitte hier. | |
Noch ist die Ladestation recht verwaist an der Friedrichstraße. Zwar staut | |
sich der Verkehr wie eh und je an der Kreuzung zur Leipziger Straße - doch | |
kaum ein Elektroauto schert aus, um sich frischen Saft an der blauen | |
Vattenfall-Säule zu holen, für die ein Eckparkplatz reserviert ist. Das | |
soll sich in absehbarer Zeit ändern: Drei Pilotprojekte, bei denen | |
Energiekonzerne mit Autounternehmen kooperieren, sind im Stadtgebiet | |
geplant beziehungsweise gestartet. "Berlin ist als Leitmarkt für | |
Elektromobilität attraktiv", sagt die Ökonomin Claudia Kemfert. Zwar seien | |
die hier angesiedelten Unternehmen nicht unbedingt vorn bei der Technik. | |
Aber die Vernetzung von Forschung, Politik und Praxis funktioniere in | |
Berlin so gut wie in fast keiner anderen europäischen Hauptstadt, so die | |
Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bei einer Berliner | |
Konferenz. | |
Auf Initiative des Vattenfall-Konzerns und von BMW erproben seit dem | |
Frühsommer 50 Autofahrer strombetriebene Mini-Kleinwagen; Ziel dürfte vor | |
allem ein Test für die Akku-Technik sein. Vattenfall stellt die | |
Infrastruktur; registrierte Nutzer können ihre Batterien an den Ladesäulen | |
für 23 Cent pro Kilowattstunde "auftanken". Der Mini etwa fasst 35 | |
Kilowattstunden - macht einen Volltank-Preis von gut acht Euro. Auch andere | |
registrierte Elektroautos dürfen dort tanken. | |
RWE und Daimler wollen einen ähnlichen Versuch mit Smart-Wagen im Frühjahr | |
starten. Und auch der Eon-Konzern und Volkswagen planen eine Kooperation, | |
und zwar mit dem Hybrid-Golf. RWE hat im Stadtgebiet bislang etwa 60 | |
Ladesäulen aufgestellt, 500 sollen es werden. "Wir glauben, dass dieses | |
Geschäftsfeld große Zukunftschancen hat", sagt Unternehmenssprecher Harald | |
Fletcher. | |
Die Vorteile des Feldversuchs lägen darin, dass Autofahrer unkompliziert an | |
Strom aus Erneuerbaren Energien kämen. Der Konzern investiert dem Sprecher | |
zufolge eine Milliarde Euro jährlich in Ökostrom - das Berliner Projekt sei | |
eines der Schwergewichte. Und findet in der Hauptstadt wohl auch die | |
gewünschte Beachtung - wie der Daimler-Mini, der bei der Berliner | |
Wirtschaftskonferenz im November medienwirksam vor dem Roten Rathaus | |
platziert wurde. | |
Dass sich Berlin als Versuchsort eignet, sagen auch Verkehrsforscher. Nicht | |
nur die Nähe zu Politik und Lobbyisten sei entscheidend: "Der Problemdruck | |
ist hier am geringsten", sagt Oliver Schwedes von der Technischen | |
Universität (TU). Er begleitet den Modellversuch von RWE und Daimler mit | |
einer Nutzeranalyse. Der öffentliche Nahverkehr sei gut ausgebaut, das | |
Zusammenspiel von Elektroautos mit anderen Verkehrsmitteln könne wirksam | |
erprobt werden. | |
Schwedes sieht die Beliebtheit des Forschungsfelds insgesamt jedoch | |
kritisch. "Es wird nur die Technik verändert, nicht aber das Verhalten", | |
sagt er. Seiner Ansicht nach ist der Klimawandel nur zu bewältigen, wenn | |
die Menschen ihre Mobilitätsmuster änderten - ein Routinebruch muss her. | |
"Man muss wegkommen von den bisherigen Verkehrslogiken", sagt Schwedes. | |
Wenn zwei Drittel der Kohlendioxidproduktion bei der Herstellung von Autos | |
entstehen, hilft es wenig, nur die Technik zu ändern: Die Zahl der Autos | |
muss abnehmen. | |
Schwedes und die Mitarbeiter am Institut für integrierte Verkehrsplanung | |
träumen von einem öffentlichen Elektroauto, das die bisherigen Muster | |
revolutioniert: "Unsere Vision ist, dass keiner mehr ein Privatauto | |
braucht." Die Autos sollen frei verfügbar im Raum stehen, möglichst mit | |
einem noch einfacheren System als Call-a-bike von der Deutschen Bahn: Wer | |
spontan ein Auto braucht, geht auf die Straße und nimmt sich das nächste. | |
Die Wagen könnten mit Mobiltelefonen aufgespürt werden. Das Ortungssystem | |
dürfte auch potenziellen Autodieben ihr Handwerk erschweren. | |
Die Wissenschaftler wollen vor allem Autofahrer ansprechen, die dem | |
öffentlichen Nahverkehr aufgeschlossen gegenüber stehen und bereit sind, | |
Auto mit Bus oder Bahn zu kombinieren. Etwa 3 Prozent der Bevölkerung | |
gehören Schätzungen zufolge zu dieser Gruppe. "Wenn es gelingen würde, | |
durch attraktive Angebote diese 3 Prozent für den öffentlichen Verkehr zu | |
gewinnen, müsste dieser seine Kapazitäten deutlich ausbauen", ist sich | |
Schwedes sicher. | |
Damit wäre ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit getan - im Gegensatz zu | |
laufenden Mobilitätsprojekten. In Ulm etwa hat Daimler Smart-Wagen | |
bereitgestellt, die für registrierte Nutzer wie ein öffentliches Auto | |
funktionieren. Sie können nach Bedarf benutzt und am Zielort abgestellt | |
werden. "Unserer Ansicht nach fördert das eher noch den Verkehr, weil viele | |
das Angebot für eine Spritztour oder andere Extrafahrten nehmen", sagt | |
Schwedes. | |
Noch sucht die TU nach einem Versuchsviertel für die öffentlichen Autos. | |
Schwedes denkt an die geplante Europa-City nördlich des Hauptbahnhofs. "Man | |
könnte von vornherein die geeignete Infrastruktur aufbauen, etwa | |
entsprechende Parkplätze für die Ladestationen einplanen und die | |
Netzstrukturen für Elektromobilität schaffen", sagt er. So könnten | |
Nutzungskonflikte von vornherein vermieden werden. Klar bleibt dabei: Die | |
Funktionen eines herkömmlichen Autos wird das Elektroauto nicht erfüllen | |
können. Die Reichweite ist begrenzt. "Aber genau hier brauchen wir ja ein | |
radikales Umdenken", sagt der TU-Forscher Schwedes: kurze Fahrten mit dem | |
Elektroauto, für längere Fahrten Bus und Bahn miteinplanen. | |
7 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
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