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# taz.de -- Debatte "Elena": Gefühlte Entblößung
> Das Ziel der zentralen Datenbank war der Abbau von Bürokratie. Genau die
> aber wird nicht erreicht. Die Überwachung der Bürger aber nimmt nicht zu.
Bild: PR-Desaster für die Bundesregierung. Viele Bürger fühlen sich von "Ele…
Seit Beginn dieses Jahres sollen die Arbeitgeber allmonatlich Daten ihrer
Beschäftigten an eine sogenannte zentrale Speicherstelle (ZSS) melden.
"Elektronischer Entgeltnachweis", kurz "Elena", heißt das Projekt, das
Bürokratie abbauen soll. Es bescherte der Bundesregierung ein PR-Desaster:
Kommentatoren in den Medien warnten vor der "Datensammelwut" und dem
"gläsernen Bürger", Linkspartei, Grüne und Gewerkschaften protestierten.
Nun soll nachgebessert und der Datensatz für die Beschäftigten nochmal
überprüft werden. Doch auch kleine Änderungen werden das Grundproblem nicht
lösen: Bürokratieabbau und Bürgerrechte, Datenschutz und Sozialpolitik
vertragen sich mitunter schlecht. Dabei gerät auch die Linke in
Widersprüche, die sich durch schlichte Kampfaufrufe gegen "Datensammelwut"
und den "Überwachungsstaat" nicht auflösen lassen.
Mit "Elena" melden die Arbeitgeber monatlich Entgelte, Sozialabgaben und
Steuern in einem "multifunktionalen Datensatz" für jeden Beschäftigten an
die neue Speicherstelle. Dabei werden praktisch nur Daten weitergegeben,
die bisher schon von Arbeitgebern und Bürgern an Behörden fließen - etwa an
die Deutsche Rentenversicherung, die Finanzämter und die Arbeitsagenturen.
Der Unterschied zum bisherigen Verfahren liegt darin, dass diese Daten
bislang getrennt oder nur im konkreten Bedarfsfall an die verschiedenen
Behörden gingen.
Nun aber entsteht ein riesiger zentraler Datenvorrat. Bürger sollen ab dem
Jahre 2012 nur noch die Speicherstelle autorisieren müssen - schon können
die für Wohngeld, Arbeitslosengeld I und Elterngeld zuständigen Behörden
die benötigten Daten dort abfragen, um Anträge zu bearbeiten.
"Elena"-Befürworter preisen das als "Bürokratieabbau".
Es hat aber gravierende Folgen, deren - auch psychologische - Auswirkungen
erst jetzt spürbar werden. Denn mit "Elena" werden Daten zu Einkommenshöhe,
Besteuerung und Abgaben über alle Arbeitnehmer zentral gesammelt - obwohl
eine Mehrheit weder Wohngeld noch Arbeitslosengeld beanspruchen wird, wie
der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert zu
bedenken gibt. Viele ArbeitnehmerInnen fühlen sich daher unnötig
"ausgezogen".
Zum Sozialstaat gehört, dass jene, die Transferleistungen empfangen,
besonders viel von sich preisgeben müssen. Am deutlichsten spüren das
Hartz-IV-Empfänger, die sogar Auskunft darüber geben müssen, ob ihr
Mitbewohner auch ihr Lebenspartner ist. Viel milder ist dagegen der
datentechnische Umgang des Sozialstaates mit potenziellen Einzahlern, etwa
selbstständigen Erwerbstätigen und Vermögenden: sie können freier gestalten
und müssen keine Kontoeinsicht gewähren.
Am Grad der datentechnischen "Entblößung" zeigt sich das
Spannungsverhältnis zwischen Einzahlern und Leistungsempfängern. Dem Staat
gegenüber wenig von sich preisgeben zu müssen gilt als Merkmal bürgerlicher
Autonomie - auch daher kommt der Widerstand gegen die "Gleichmacherei"
durch "Elena". Gegenüber den riesigen Datenerhebungen über Google und die
Privatwirtschaft zeigen sich die Bürgerinnen und Bürger dagegen
bemerkenswert unempfindlich.
Nicht alles ist Ausschnüffeln
Der Widerstand gegen die staatliche Sammelei birgt aber ein Problem, gerade
für linke Kritiker. Denn der Sozialstaat braucht Daten. Man könnte sogar
sagen: Je mehr Umverteilung man will, desto mehr Daten sind nötig, um keine
Ungerechtigkeiten aufkommen und keinen Missbrauch entstehen zu lassen. Das
wissen nicht nur linke Sozialforscher, die sich über Volkszählungen und
Mikrozensus freuen, weil sie mit diesen Zahlen auch Verteilungsthemen
behandeln können.
Die Grenzen zwischen Datenerhebungen, die einer gerechten Sozialpolitik
dienen, und dem gefühlten "Ausschnüffeln" sind oft unscharf. Im
"Elena"-Datensatz etwa müssen Arbeitgeber bei einer Entlassung die Umstände
der Kündigung genauer darlegen und an die Zentrale Speicherstelle
weiterreichen. Die Gewerkschaften kritisieren das heftig. Solche Daten
werden aber schon heute auf den sogenannten Arbeitsbescheinigungen
festgehalten. Dieses Papier bekommen Entlassene und müssen es bei ihrer
örtlichen Jobagentur vorlegen, wenn sie Arbeitslosengeld I beantragen. Die
Arbeitsagentur speichert diese Details. Denn wenn ein Beschäftigter durch
vertragswidriges Verhalten die eigene Kündigung verschuldet hat, wird beim
Arbeitslosengeld I eine Sperrzeit verhängt.
Dass die Beteiligung an Streiks im "Elena"-Datensatz aufgelistet wird, ist
hingegen nach Protesten gestrichen worden, diese wird nur noch pauschal als
"Fehlzeiten" gespeichert. Lange "Fehlzeiten" - etwa auch bedingt durch
Krankheit - spielen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld I eine Rolle. Die
Speicherung von "Fehlzeiten" ist also keine blinde "Datensammelwut".
Die falsche Sorge
Das gewichtigste Argument der "Elena"-Gegner ist die Warnung vor einer
Zentralen Speicherstelle, die leicht missbraucht werden könnte - wenn sich
die politischen Verhältnisse zum Schlechten ändern oder falls Hacker in das
System einbrechen. Da ist etwas dran. Aber wenn sich in diesem Land die
Machtverhältnisse irgendwann so entwickeln, dass eine zentrale
Datensammelstelle zweckentfremdet werden könnte, dann hätten wir ein paar
Probleme mehr als nur die gespeicherten Zahlen zum Brutto oder Netto. Und
die Informationen, die etwa in Gutachten bei Krankenkassen und der
Rentenversicherung lagern, bergen noch mehr Brisanz.
Die größte Gefahr beim "Elena"-Projekt, das noch unter Kanzler Schröder
angestoßen wurde, besteht nicht darin, dass sich irgendwelche
Überwachungsorgane bei der Zentralen Speicherstelle zum Schaden der
BürgerInnen bedienen könnten. Viel größer ist das Risiko, dass am Ende das
Bürokratiechaos zunimmt, weil der Erhebungsaufwand groß, die
Informationsketten fehleranfällig sind oder dem Einzelfall nicht gerecht
werden. Die Erfahrungen mit Hartz IV stimmen da nachdenklich. "Elena" ist
überflüssig. Die dafür aufgewandte politische Energie könnte man besser
verwenden.
17 Jan 2010
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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immerhin die zentrale Erfassung von Streiktagen wohl wieder aus dem
Elena-Katalog gestrichen wird.
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