# taz.de -- Elektronischer Entgeltnachweis ELENA: Big Sister weiß alles | |
> Krank? Elternzeit? Urlaub? "Elena" entgeht nichts. Daten von 40 Millionen | |
> Erwerbstätigen sollen zentral erfasst werden – um Aufwand zu minimieren, | |
> behauptet die Regierung. | |
Bild: Noch sehen sie ganz fröhlich aus. Zeichnet ja wohl auch keiner ihre Fehl… | |
Nur noch ein paar Tage, dann soll der Aufbau der größten zentralen Sammlung | |
personenbezogener Daten beginnen, die die Bundesrepublik bislang gesehen | |
hat: "Elena", abgekürzt für "Elektronischer Entgeltsnachweis". Glaubt man | |
der Bundesregierung, soll Elena helfen, Bürokratie abzubauen, Kosten zu | |
senken und den Aufwand für Anträge bei Behörden zu senken. | |
Doch je näher der für Neujahr geplante Beginn der Datenerhebung rückt, | |
desto mehr Zweifler melden sich zu Wort. Von einem unverhältnismäßig hohen | |
Datenumfang spricht Wolfgang Neskovic, der rechtspolitische Sprecher der | |
Linken, und hält das gesamte Verfahren für verfassungswidrig. Ähnlich sehen | |
es auch die Grünen. Und bei der Gewerkschaft Verdi erwägt man sogar, eine | |
Klage einzureichen. | |
Und darum geht es: Ab dem 1. Januar sollen die Arbeitgeber dazu | |
verpflichtet werden, regelmäßig Daten aus den monatlichen Lohn- und | |
Gehaltsabrechnungen elektronisch an die sogenannte Zentrale Speicherstelle | |
bei der Deutschen Rentenversicherung in Würzburg zu übermitteln. Ab 2012 | |
soll Elena dann in Betrieb gehen und dafür sorgen, dass Sozialleistungen | |
wie Eltern-, Wohn- oder Arbeitslosengeld schnell und unkompliziert | |
beantragt werden können. | |
Mit seiner elektronischen Signatur identifiziert sich der Versicherte bei | |
der Zentralen Speicherstelle und erlaubt der jeweiligen Behörde, seine | |
Daten abzurufen. Verdienstbescheinigungen des Arbeitgebers, die dieser | |
bislang auf Papier ausfüllen musste, werden nicht mehr benötigt. Auch Daten | |
von Selbstständigen will man erfassen, insgesamt sind 40 Millionen | |
Erwerbstätige betroffen. | |
Die Gemüter erregt Elena, weil damit nicht nur Daten über Art und Höhe des | |
Einkommens [1][http://+/]gespeichert werden, sondern auch viele sensible | |
Angaben über Arbeitnehmer, die weit mehr Aufschlüsse über deren berufliche | |
Karriere liefern als eine herkömmliche Lohn- und Gehaltsabrechnung. So | |
werden detaillierte Angaben über Fehlzeiten und deren Ursachen erfasst. | |
Der zweite Kritikpunkt: Elena sei eine Vorratsdatenspeicherung, also eine | |
Datenspeicherung auf Verdacht. "Von den 30 Millionen Beschäftigten ist die | |
Zahl derer, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen, relativ geringfügig", | |
sagt Neskovic. Dies widerspreche jedoch dem vom Bundesverfassungsgericht | |
formulierten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, dem zufolge | |
jeder Bürger grundsätzlich das Recht habe, selbst über Freigabe und | |
Verwendung seiner persönlichen Daten zu entscheiden. Der Politiker der | |
Linkspartei kritisiert einen "überbordenden Datenhunger". Die Politik werde | |
"von den enormen technischen Möglichkeiten verführt, alles zu sammeln". | |
Ähnlich sieht es der Grünen-Politiker Konstantin von Notz: Sein Urteil: | |
"Unterm Strich ist Elena in dieser Form verfassungs- und | |
wirtschaftsfeindlich." | |
Auch die Regierungspartei FDP fühlt sich nicht wohl mit dem noch unter der | |
großen Koalition verabschiedeten Gesetz, auch wenn sie ihr Unbehagen nun | |
deutlich vorsichtiger äußert als noch vor der Bundestagswahl. "Insbesondere | |
die zentrale Speicherung der Daten für bis zu vier Jahre, unabhängig von | |
einem konkreten Anlass oder Bedarfsfall, muss hinterfragt werden", heißt es | |
aus dem Büro der Innenexpertin Gisela Piltz. Und weiter: "Darüber hinaus | |
umfasst Elena auch Datenfelder, die weit über den reinen Entgeltbezug | |
hinausgehen und damit die Gefahr einer umfassenden Profilbildung der | |
Arbeitnehmer in sich bergen." | |
Immerhin: Die Masse der Kritik zeigt bereits Wirkung: Das Bundesministerium | |
für Arbeit und Soziales und die Spitzenverbände der Sozialversicherungen | |
haben die strittigsten Kernpunkte noch einmal nachverhandelt. Ursprünglich | |
sollte etwa unter Fehlzeiten auch explizit angegeben werden, ob der | |
Arbeitnehmer an einem Streik teilgenommen hat. Das ließ die Gewerkschaften | |
Sturm laufen. | |
Wie das Büro des Bundesdatenschutzbeauftragten und das Arbeitsministerium | |
der taz bestätigten, will man auf diese Frage nun verzichten. Man habe sich | |
darauf verständigt, die Angaben über Fehlzeiten im Datensatz so | |
zusammenzufassen, dass "eine direkte Zuordnung, zum Beispiel der | |
Streiktage, nicht möglich ist", sagte auch ein Sprecher des | |
Bundeswirtschaftsministeriums. "Diese Neuregelung des Datensatzes soll noch | |
vor Inkrafttreten des Verfahrens am 1. Januar 2010 umgesetzt werden." | |
Informationen der taz zufolge sollen die Änderungen des Elena-Katalogs | |
bereits am 29. Dezember per Pressemitteilung bekannt gegeben werden. | |
Diese Veränderungen sorgen für Entschärfung, lösen aber in den Augen vieler | |
Kritiker nicht die Grundprobleme. "Da werden zentral sensible Daten auf | |
Vorrat gespeichert, die zu über 90 Prozent nicht benötigt werden", meint | |
beispielsweise der schleswig-holsteinische Datenschützer Thilo Weichert. Er | |
zweifelt außerdem, dass diese Daten - wie von der Regierung behauptet - nur | |
für die Betroffenen zugänglich sind. | |
Laut der offiziellen Lesart soll Elena nämlich nach dem sogenannten | |
Schlüssel-Schloss-Prinzip funktionieren. Das heißt: Nur mit der | |
Einwilligung des Betroffenen dürfen Behörden auf dessen Daten zugreifen. | |
Doch technisch wäre es nach jetzigem Stand möglich, dass Behörden auf alle | |
Daten zugreifen, eine individuelle Verschlüsselung für jeden Betroffenen, | |
wie sie Weichert fordert, gibt es nicht. | |
Das bedeutet auch, dass es einfacher ist für Kriminelle oder andere | |
Interessierte, an die Daten heranzukommen. Denn ist die Verschlüsselung | |
einmal geknackt, sind gleich alle Daten zugänglich. Bei einer individuellen | |
Chiffrierung hingegen müsste Datensatz für Datensatz einzeln geknackt | |
werden. Dass dieses Sicherheitsniveau offenbar nicht vorgesehen ist, sieht | |
auch die FDP mit Missfallen. "Es mangelt an Verfahren zur individuellen | |
Verschlüsselung der hochsensiblen Daten", sagt Innenexpertin Gisela Piltz. | |
Ihre Partei wolle "gemeinsam mit den Datenschutzbeauftragten auf eine | |
datenschutzrechtliche Umsetzung drängen". | |
Selbst bei denjenigen, die eigentlich von der Regelung profitieren sollen, | |
gibt es Zweifel an deren Sinn. "Für meine Kunden sollte das weniger | |
Bürokratie bedeuten", sagt Hans Gliss, der zugleich die juristische | |
Fachzeitschrift Datenschutzberater leitet und Unternehmen beim Thema berät. | |
"Bisher sehe ich allerdings nur einen Mehraufwand." In Gesprächen mit | |
Datenschutzbeauftragten von Firmen habe er zudem einen Unwillen bemerkt, | |
derart viel über die eigenen Arbeitnehmer preiszugeben. Gliss sagt: "Manche | |
wollen veranlassen, dass erst einmal nicht alles herausgegeben wird, und | |
dann schauen, was passiert." | |
Die Gewerkschaften geben sich ebenfalls kämpferisch: Wenn die Politik mit | |
ihren Änderungen nicht weit genug gehe, sagt der | |
Verdi-Datenschutzbeauftragte Norbert Warga, "kann ich mir auch vorstellen, | |
beim Europäischen Gerichtshof anzurufen". | |
28 Dec 2009 | |
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## AUTOREN | |
D. Schulz | |
F. Langhammer | |
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