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# taz.de -- Debatte Hegemann und die Literaturkritik: Pikante Stellen
> Plagiat oder nicht? Darum geht es bei "Axolotl Roadkill" gar nicht. Die
> Debatte um Helene Hegemann legt den Zustand der Literaturkritik bloß
Sie ist jung, doch braucht sie das Geld nicht. So viel glauben wir über
Helene Hegemann zu wissen. Denn wir wissen, dass sie bei ihrem Vater lebt.
Carl Hegemann wiederum ist als gewitzter Dramaturg bekannt und darf zu
Recht als der Autor hinter mancher Schlingensief-Idee gelten. Seine Tochter
ist 17 Jahre alt, hat einen Film gedreht, ein Stück geschrieben, beides mit
Erfolg. Nun hat sie den Roman "Axolotl Roadkill" veröffentlicht, der
sogleich von Verlag und Feuilletons gehypet wurde und seit dieser Woche
sogar für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist.
Seit der vergangenen Woche wissen wir allerdings auch, dass nicht jeder
Satz in dem Roman von ihr selbst stammt. Ganze Passagen wurden der
Weltliteratur entnommen, andere einem Blog des Autors Airen, der bis vor
wenigen Tagen völlig unbekannt war. Sie sei eine Plagiatorin, klagt nun das
düpierte Feuilleton. Es hatte Airen und seinen Roman "Strobo" allerdings
zuvor nicht wahrgenommen und folglich auch die übernommenen Passagen nicht
als solche erkannt.
Hegemann redete sich zunächst keck damit heraus, dass sie - als Kind ihrer
Generation - mit der Kultur des Sampling aufgewachsen sei. Dagegen
insinuierte der Kritiker Jürgen Kaube in der FAZ, ihr Vater Carl Hegemann
könne der heimliche Koautor des Romans sein. Dann wären die expliziten
Beschreibung von Sex- und Drogennächten doch in gewisser Weise "wahr",
wenngleich auch von einer anderen Person verfasst. Dass auch Rimbaud oder
Hugo von Hofmannsthal in Helene Hegemanns Alter schon erste Erfolge
feierten, ficht ihn nicht an.
Der Verlag gibt an, sich inzwischen mit allen Rechteinhabern verständigt zu
haben. Denn egal, wie man Sampling bewertet - noch ist das Zitieren fremder
Texte, die nicht als solche ausgewiesen werden, strafbar. Hegemann, die in
einer späteren Auflage eine Danksagung an Airen einfügte, ist damit noch
nicht aus dem Schneider. Denn ein anderer Text, den sie im Magazin Vice
veröffentlichte, ist fast gänzlich ein Plagiat. Da ist es mit einer laschen
Danksagung nicht getan. Wenn eine Autorin oder ein Autor mithilfe
"zitierter" Passagen einen neuen Text schreibt, der klar als Montage
erkennbar ist, dann handelt es sich dabei sicher um eine Art "Sampling".
Hegemann aber hat einen recht konventionellen Erzähltext verfasst, der dies
eben nicht tut. Dies gilt, auch wenn Hegemanns Figuren durchaus die Frage
der Authentizität problematisieren.
Abschreiben ist eine alte Sache, diese Dinge passieren. Und, wie gesagt:
alle Rechteinhaber haben der Verwendung ihrer Passagen im Nachhinein
zugestimmt, so dass kein Rechtsbruch vorliegt. Was aber lässt dann manche
Feuilletonisten jetzt so aufschreien? Denn anders als der Autor Jens
Lindner, dessen Krimi "Döner for one" dem Buch "Einmal ist keinmal" von
Janet Evanovich so ähnlich war, dass der Piper Verlag ihn in dieser Woche
vom Markt nehmen musste, hat Helene Hegemann mit ihrem Roman "Axolotl
Roadkill" ein eigenständiges Werk vorgelegt: so viel ist unbestritten.
Ob es sich dabei wirklich um ein preiswürdiges Werk handelt, ist eine
andere Frage. Der Stil der jungen Autorin ist, zumindest soweit sich das
aus den vielfach zitierten Stellen herauslesen lässt, recht unbeholfen, ein
Lektorat stand ihr anscheinend nicht helfend zur Seite (wie der Verlag die
junge Autorin überhaupt schmählich allein gelassen hat, solange die Rechte
noch ungeklärt waren). Dennoch wurde das Buch zunächst allerorten
überschwänglich gelobt. Nicht, weil ihr Vater Carl Hegemann so bekannt ist.
Sondern, weil sich das Feuilleton stets freut, wenn eine junge Frau etwas
schreibt, was man für literarisch verpackte Sauereien halten kann - siehe
Charlotte Roche. Da macht es sich auch gerne mit der feixenden Meute
gemein, die nach "Stellen" sucht. Diese taugen als Wichsvorlage aber nur
dann etwas, wenn die Exzesse als selbst erlebt, also "echt", verbürgt
gelten.
Nun aber sind Exzesse, die Hegemann beschrieben hat, papieren geworden, da
sie jemand anderer durchlebte: die Geschichte ist nicht mehr "echt".
Niemand kam auf die Idee, die junge Frau hätte gewisse Exzesse schon
deshalb nicht miterleben können, weil ihr in ihrem Alter schon der Kauf von
Alkopops verwehrt ist. Nein, man wollte aus ihrem Buch unbedingt eine
Selbstanklage des verruchten Partyberlins herauslesen. Ein Berlin, das arm
und sexy zugleich ist und von dessen schlechtem Ruf so manche
"Teilzeithure" ("Fucking Berlin") und andere, die den Buchmarkt zu bedienen
wissen, ganz gut leben können.
Helene Hegemann weiß offensichtlich, was so mancher Feuilletonist nicht
wahrhaben will: dass man sich Erfahrungen auch anlesen kann. Literatur ist
nicht "wahr", "schwarz auf weiß" ist noch kein Beweis. Komisch: Fünfzehn
Jahre nach dem Tod von Helmut Heißenbüttel, zwanzig Jahre nach dem Tod von
Max Bense, hundert Jahre nach dem Linguistic Turn und in einer Zeit, in der
Grundkenntnisse in Strukturalismus und Poststrukturalismus zum
Allgemeinwissen gehören, will mancher Feuilletonist am liebsten Bücher, die
das Leben selbst spiegeln.
Das Leben selbst
Rezensentinnen und Rezensenten gieren nach "authentischen"
Erfahrungsberichten, die sie einer Literatur vorziehen, die auf der Höhe
der Zeit ist. Homestorys ersetzen die Kritik, weil die Wohnung des Dichters
mehr aussagt als das, was im Buch steht.
Es scheint, als vergäße mancher Rezensent, kaum dass er für ein
Zeilenhonorar über einen Roman nachdenken soll, sein Studium der
Literaturwissenschaft, als verblöde er dabei. Helene Hegemann hat diesen
Zustand der Literaturkritik, ob gewollt oder nicht, aufs Schönste
vorgeführt. Ja, sie ist eine Plagiatorin. Sie ist, wie manche ihrer
Kolleginnen und Kollegen, mit den Paragrafen des Urheberrechts nicht recht
vertraut und wollte es wohl auch nicht so genau wissen. Jetzt darf sie sich
ertappt fühlen, und sie hat sich für ihren Fehler ja auch schon
entschuldigt.
Das Feuilleton aber, das Helene Hegemann nun unter Dauerbeschuss nimmt,
sollte sich für seine dummen Lobhudeleien und Schmähungen, die beide nichts
über das Buch aussagen, schämen. Doch das Feuilleton schämt sich nicht. Es
macht einfach weiter.
12 Feb 2010
## AUTOREN
Jörg Sundermeier
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