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# taz.de -- Bischofskonferenz: Blanke Nerven der Oberhirten
> In Freiburg tagt die Bischofskonferenz. Wie diskutieren die Bischöfe die
> Missbrauchsfälle, was werden sie entscheiden? Die Situation ist sichtlich
> angespannt.
Bild: Tuscheln: Erzbischof Robert Zollitsch (l.) und Bischof Walter Mixa.
FREIBURG taz | Auf 1.520 Euro kommt der Bischofsstab, silbern glänzend mit
goldenem Ring unterhalb der Krümmung. Besonders stolz ist der Verkäufer auf
das Messgewand im Schaufenster, beige und handgewirkt, mit einer mächtigen
goldenen Borde in der Mitte, die vom Hals bis zu den Füßen reicht. Dafür
muss ein katholischer Priester 1.300 Euro berappen, kriegt aber noch eine
passende Stola und ein Kelchtuch dazu. Am Dienstag, so erzählt der
Paramente-Verkäufer mit badischen Singsang, habe er Besuch von einigen
hohen Herren aus dem Hotel gegenüber gehabt. Einer hätte ihm erklärt, dass
er ein Kreuz in Brusthöhe auf dem Messgewand nicht so gern habe, weil dann
sein Bischofskreuz nicht mehr so gut zur Geltung komme - weshalb er nun
dieses Messgewand, ohne Kreuz, ins Schaufenster gehängt habe. Vielleicht
kommt es ja heute zu einem Geschäft.
Seit Montag tagen die 67 katholischen Bischöfe Deutschlands in Freiburg,
und zwar im Stadthotel Freiburg, just gegenüber des Ladens für liturgische
Gegenstände an der Karlstraße. Es ist ihre traditionelle
Frühjahrs-Vollversammlung, Routine eigentlich und keiner weiteren Erwähnung
wert, ginge der deutsche Katholizismus mit seinen 25 Millionen Mitgliedern
nicht gerade durch seine vielleicht größte Krise seit dem Zweiten
Weltkrieg.
Seitdem vor etwa einem Monat das Berliner Canisius-Kolleg, ein
Elitegymnasium der Jesuiten, seine Geschichte von Kindesmissbrauch und
Vertuschung öffentlich gemacht hat, jagt eine Enthüllung die nächste über
pädophile Vergehen katholischer Priester und anderer Kirchenmitarbeiter,
und zwar durch die ganze Republik. Fast alle Verbrechen liegen schon Jahre,
wenn nicht Jahrzehnte zurück - aber die meisten blieben ungesühnt.
Da es in der heutigen Mediengesellschaft auch stark um das Image der Kirche
geht, fühlen sich viele Bischöfe mit ihrer Not, ihrem Versagen und ihrer
Schwäche allzu sehr beobachtet, ausgestellt im Schaufenster der
Öffentlichkeit, die an schönen Messgewändern nicht mehr interessiert ist,
sondern fragt: Was habt ihr in Gottes Namen mit unseren Kindern gemacht?
Und warum habt ihr so viel so lange vertuscht?
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert
Zollitsch, hatte zu den Enthüllungen fast einen Monat lang geschwiegen, er
wollte die Vollversammlung der Bischöfe abwarten. Bis er am Montag im
Priesterseminar seiner Diözese, dem Collegium Borromaeum, vor die Presse
trat und das Erwartbare verkündete: Die Kirche entschuldigt sich, alle sind
erschüttert, alles werde aufgeklärt - der Missbrauch aber sei kein
strukturelles, systemisches Problem der Kirche. Mehr noch, diese Verbrechen
hätten "nichts mit dem Zölibat und nichts mit der Sexuallehre der Kirche zu
tun".
Letzteres hatte der Osnabrücker Oberhirte Franz Josef Bode, der sogenannte
Jugendbischof der Bischofskonferenz, zuvor öffentlich angezweifelt,
zumindest leise. Ganz anders der notorische Rechtsaußen des deutschen
Katholizismus, Walter Mixa. Der Augsburger Bischof hatte zum "verbreiteten
gesellschaftlichen Übel" des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen
verkündet: "Die sogenannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von
besonders progressiven Moralkritikern auch die Legalisierung von sexuellen
Kontakten zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert wurde, ist
daran sicher nicht unschuldig." Außerdem habe es seit 1995 bundesweit rund
210.000 polizeilich registrierte Fälle von Kindesmissbrauch gegeben.
Dagegen stünden etwa 100 deswegen in Verdacht geratene katholische Priester
oder Kirchenangestellte der deutschen Bistümer im gleichen Zeitraum. Da
bewege sich die Kirche doch, so Mixa, "in einem verschwindend geringen
Promillebereich".
Das Wort "Promille" fiel in diesen Tagen nicht mehr - es sei denn im
Zusammenhang mit der alkoholisierten Autofahrt der Ratsvorsitzenden der
Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann. Die Frage, die die
Bischöfe in Freiburg intensiv beschäftigte, lautete dennoch: Was müssen wir
tun, um unseren eigenen Skandal aufzuarbeiten? Reichen die Leitlinien aus,
die sich die Bischofskonferenz schon 2002 gegeben hat, um den
Kindesmissbrauch durch Geistliche zu verhindern und zu ahnden? Tatsächlich
ist es, soweit bekannt, seither nur zu wenigen Fällen pädophiler Übergriffe
gekommen - fairerweise sei auch erwähnt, dass die jetzige
Bischofsgeneration meist noch nicht im Amt war, als in den 1950er- bis
1980er-Jahren das Gros der Verbrechen begangen und kirchenintern verdrängt
wurde.
Trotzdem: Jeder Missbrauch ist einer zu viel, war gerade von den Bischöfen
in Freiburg öfters zu hören. Und deshalb liegen die Nerven der Oberhirten
blank. Geschrien wurde in den Sitzungen wohl nicht, wie aus der Klausur der
Bischöfe kolportiert wurde. Aber sehr ernsthaft, ja emotional und betroffen
diskutiert.
Wie groß die Anspannung sein muss, war zu erahnen, als Erzbischof Zollitsch
am Dienstag im Priesterseminar erneut in einem überhitzten Saal mit
herrlichem Blick auf das Münster vor die Presse trat und leicht hysterisch
über die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
schimpfte. Die hatte zuvor im Fernsehen die Kirche scharf angegriffen und
dabei falsche oder zumindest leicht missverständliche Zahlen zu den
Missbrauchsfällen in den Bistümern genannt. Die Ministerin müsse sich
binnen 24 Stunden öffentlich korrigieren, forderte Zollitsch und kündigte
an, in dieser Sache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonieren zu
wollen. Übrigens ging es bei dieser Pressekonferenz eigentlich um die
Position der katholischen Kirche zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr -
aber das interessierte hier niemanden mehr so richtig, weder Bischöfe noch
Presse.
Um die kümmerte sich die Bischofskonferenz dann am Dienstagabend in einer
Charmeoffensive der besonderen Art: Auf Einladung der Stabsstelle
Kommunikation der Erzdiözese Freiburg wurden dutzende Journalisten in die
Katholische Akademie des Bistums eingeladen, zum "Abendessen und
Hintergrundgespräch (Thema: Missbrauch und Prävention)". Es sprachen unter
anderem der noch recht junge Trierer Bischof Stephan Ackermann, Jahrgang
1963, der Essener Professor für forensische Psychiatrie, Norbert Leygraf,
und der Kölner Theologe und Psychiater Manfred Lütz, der auch Mitglied im
Päpstlichen Rat für die Laien ist. Der Kern ihrer Aussagen: Missbrauch
durch Priester finde nicht überproportional häufiger im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung statt, und die kirchlichen Leitlinien gegen diese
Verbrechen müssten kaum verbessert werden, wenn überhaupt.
Und darauf wird es wohl auch hinauslaufen, wenn Zollitsch heute Nachmittag
erneut vor die Presse tritt. Das alte Kartell des Schweigens in der Kirche
scheint zusammengebrochen, nun übt sie sich einigermaßen in Transparenz und
leichter Reform. Wahrscheinlich werden die Bischöfe eine Arbeitsgruppe
einsetzen, um ihre Leitlinien gegen Kindesmissbrauch noch mal zu
verschärfen - und insgeheim darauf hoffen, dass dieser Skandal so langsam
und stetig wieder aus der Öffentlichkeit verschwindet wie die Affäre um die
antisemitischen Pius-Brüder und den Holocaust-Leugner Bischof Richard
Williamson vor einem Jahr.
Den Paramente-Laden gegenüber dem Tagungsort der Bischöfe betritt am
Dienstag während einer ihrer Sitzungen ein katholischer Priester der
Freiburger Diözese mit einem purpurroten Ministrantenumhang. Seine 120
Messdienerinnen und Messdiener, sagt er dem Verkäufer, bräuchten einfach
neue Umhänge, die alten seien langsam abgewetzt. Eine Katastrophe, meint
der Geistliche, sei der ganze Missbrauchsskandal. Kürzlich habe er drei
Stunden lang den Erstkommunion-Kindern in der Kirche die Beichte abgenommen
- ein komisches Gefühl, denn er wisse gar nicht mehr, was in den Familien
nun von solch einer Situation gedacht werde. Schon jetzt gebe es
Richtlinien, bei Ausflügen als Erwachsene immer nur zu zweit in die Zimmer
der Kinder zu gehen und nie, nie in deren Duschräume.
Wenn der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche noch lange
weitergeht, wird sie bald kein Geld mehr für teure Messgewänder haben. Sie
wird es für Entschädigungen brauchen.
25 Feb 2010
## AUTOREN
Philipp Gessler
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