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# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Zeit des Aufbruchs
> Innenminister de Maizière hat kein richtiges Konzept zur Islamkonferenz.
> Außer dem Plastikwort "Dialog" hat er nicht viel anzubieten.
Wieder einmal stehen wir deutschen Muslime da wie Idioten. Da lädt uns
Innenminister Thomas de Maizière zu einer Islamkonferenz, am heutigen
Vormittag soll die erste Vorbesprechung sein. Doch einen seiner Gäste
sperrt de Maizière wegen Steuerhinterziehung vorerst aus, und von den
anderen elf gehen zwei aus Protest nicht hin. Sind die muslimischen
Verbände überhaupt noch ernst zu nehmen? Sind das würdige
Kooperationspartner der deutschen Regierung, nachdem keine zwei Wochen
zuvor sämtliche Zeitungen meldeten, de Maizière habe doch
"Kompromissbereitschaft" signalisiert?
Tatsächlich allerdings hat de Maizière kein richtiges Konzept. Der
Innenminister hat wenig mehr anzubieten außer dem Plastikwort "Dialog".
Dialog auf seine Einladung hin, über seine Themen. Kürzlich hatte er
bereits in der Süddeutschen Zeitung (12.3.) verkündet: "Ich bin für
thematische Anregungen der muslimischen Verbände selbstverständlich offen.
Ich halte es allerdings für notwendig, die drei Schwerpunkte Wertekonsens
mit der Gleichberechtigung der Geschlechter, Imam- und
Islamlehrerausbildung sowie das Vorgehen gegen Extremismus zu diskutieren.
Das ist das Wesen des Dialogs." Wirklich? Besteht das Wesen des Dialogs
darin, dem anderen die gemeinsamen Schwerpunkte vorzugeben?
Von den drei Punkten, die de Maizière nennt, bezeichnen zwei vermeintliche
Defizite des Islams: mangelnde Gleichberechtigung und Extremismusgefahr. Es
ist zu bezweifeln, dass deutsche Minister vor einem Gespräch mit
katholischen Bischöfen ankündigen, sie wollten vor allem über den
Ausschluss von Frauen vom Priesteramt sprechen - dies nur nebenbei. Doch
während die muslimischen Verbände zu Recht darauf bestehen, dass auch die
zunehmende Islamfeindlichkeit besprochen werden müsse, bestätigt de
Maizières Themensetzung die verbreitete Wahrnehmung, der Islam sei zu
allererst eine Quelle gravierender sozialer Problemen. Statt: eine
Religionsgemeinschaft, die ihre grundgesetzlich verbürgten Rechte
wahrnehmen will.
Meines Erachtens kann man von einem Innenminister verlangen, gedanklich
sauberer zu trennen. Was sind Integrationsthemen? Bei denen sollte man
nicht nur Menschen mit muslimischem, sondern auch die mit anderem
Migrationshintergrund einbeziehen. Und: Wie lässt sich eine
Gleichberechtigung des Islams erreichen, die zwar grundgesetzlich durch die
Neutralität des Staates garantiert wird, während de facto aber nur ein
Staatskirchenrecht existiert? Hier wäre ein möglichst breites Spektrum von
deutschen Muslimen zu berücksichtigen. Dagegen haben ehemalige Muslime oder
Islam"kritiker", die den Islam ohnehin in Bausch und Bogen ablehnen, bei
der Planung eines Islamunterrichts zum Beispiel nichts verloren.
Trotzdem hat de Maizière, wie schon Schäuble vor ihm, auch Personen auf die
Seite der muslimischen Vertreter gesetzt, die erklärtermaßen kein
muslimisches Selbstverständnis haben und teilweise sogar ihr Geld damit
verdienen, öffentlich gegen den Islam zu wettern. Insofern ist die
Verärgerung der Islamverbände also durchaus verständlich, in beiden
Punkten: sowohl über die personelle Besetzung als auch über die
Themenstellung der Islamkonferenz.
Um die Frage der angemessenen Vertretung zu vereinfachen, hat der dem
Zentralrat der Muslime verbundene Mounir Azzaoui gestern in der taz einen
anderen Weg vorgeschlagen: Seiner Meinung nach sollte sich der staatliche
"Dialog" nicht so sehr auf alle möglichen Vereine, sondern auf die Moscheen
konzentrieren: in denen fände schließlich der muslimische Alltag statt.
Azzaouis Kritik an der bisherigen Praxis in allen Ehren, aber nun die
Moscheen zum Ansprechpartner zu machen hieße, den Teufel mit dem Beelzebub
austreiben. Wie viele deutsche Muslime und Musliminnen gehen hierzulande in
eine Moschee? Oder haben Zugang zu einer Moschee, in der sie sich geistig
zu Hause fühlen? Würden die Moscheeverbände Ansprechpartner der Bundes- und
Landesregierungen, dürften sie über die Köpfe aller anderen hinweg
entscheiden, was im muslimischen Religionsunterricht gelehrt wird. Vielen
Dank!
Die sehr unterschiedlichen Formen des Islams werden nun einmal nicht nur
von bestehenden Moscheen, sondern am ehesten von diversen Zusammenschlüssen
mit jeweils eigenem Programm repräsentiert. Eine relativ junge Initiative
etwa geht auf die Duisburger Religionspädagogin Lamya Kaddor zurück. Ihr
neu zu gründender Verein soll für ein "liberal-gläubiges Verständnis des
Islams" und eine "historisierend-kontextuelle Interpretation des Korans"
stehen. Der genaue Name des Vereins ist noch unklar, aber das Wort
"liberal" dürfte darin vertreten sein.
Sämtliche solcher Etiketten sind schwierig: Klingt liberal nicht, als seien
alle anderen zu konservativ? Wird sich die deutsche Öffentlichkeit nicht
auf einen Verein stürzen und damit die anderen diskreditieren? Doch auch
andere, traditionellere Auslegungen besitzen ihre Berechtigung, und Kaddor
betont mehrmals, es sei nicht die Abgrenzung von anderen, die sie zur
Vereinsgründung bewege, sondern nur, dass sie ihr theologisch-inhaltliches
Verständnis bisher nicht recht repräsentiert sehe.
Ich gebe zu, ich freue mich auf diese Gründung. Wir Muslime haben nun
einmal keine Kirchen mit festem Katechismus und klarer Hierarchie, und wir
wollen auch keine. Trotzdem brauchen wir Verbände, die unsere jeweilige
Religionsauffassung ausdrücken und vertreten. Meiner Einschätzung nach
werden sich in den nächsten Jahren noch so einige Vereine gründen, manche
zusammenschließen, manche zersplittern. Aber ist das etwas Negatives? Heißt
das, dass wir deutschen Muslime nicht kooperationsfähig sind? Im Gegenteil!
Konflikt und Austausch, Allianzen, Kompromisse und Entzweiung gehören zur
Praxis der demokratischen Zivilgesellschaft.
In gewisser Weise leben wir in einer sehr spannenden Phase: Wie oft in der
Geschichte haben die Angehörigen einer Religion so viel Freiheit, über ihre
Inhalte und Zugehörigkeiten zu bestimmen? Vielleicht sollten wir uns
einfach freuen, in dieser Zeit des Aufbruchs mit dabei zu sein.
24 Mar 2010
## AUTOREN
Hilal Sezgin
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