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# taz.de -- Bologna-Reform: Verbalattacken auf dem Podium
> Tazlabor Bildung: Bei der Podiumsdiskussion "Bachelor und Master: Utopie?
> Desaster?" greift Julian Nida-Rümelin die Hochschulchefin Margret
> Wintermantel an.
Bild: Nida-Rümelin ist ein Gegner der Bolgna-Reform.
BERLIN taz | Die Bologna-Reformen sind heftiger Kritik ausgesetzt. Einige
halten sie für gescheitert, andere bemühen sich um Ehrenrettung. Eine Frage
aber bleibt: Wie geht es weiter mit der Jahrhundert-Reform?
Die Veranstaltung beginnt hochoffiziell. Die drei geladenen Herren
Nida-Rümelin, Schmachtenberg und Bischof sowie Frau Wintermantel drappieren
sich um Moderator und taz-Redakteur Martin Kaul. Wer keine Krawatte trägt,
hat zumindest seine Schuhe hübsch poliert. Erwartungsvolles Räuspern im
Publikum, Händeschütteln, Schummerlicht, blaue Samtvorhänge… spielen wir da
heute ein klein wenig Theater?
Anzugträger um 9.15 Uhr
Der Zuschaueransturm hält sich noch in Grenzen, die Kinosessel sind
lediglich vereinzelt besetzt. Auch hier finden sich vor allem Anzugträger.
Das ist wohl vor allem der Uhrzeit geschuldet: 9.15! Der altbewährte
Student und ein jeder, der sich diesem auf irgendeine Art und Weise
verbunden fühlt, liegt noch im Bett, erholt sich vom freitäglichen Feiern
und bereitet sich auf ein müßiges Wochenende im Görlitzer Park vor.
Dabei birgt die Kombination der Gäste gehöriges Spannungspotenzial. Herr
Julian Nida-Rümelin ist leidenschaftlicher Gegner der Bologna-Reform. Er
sieht darin einen „Salto rückwärts in antike Hochschulstrukturen“, wie er
sagt. Die Reform habe die geäußerten Leitideen und Zielsetzungen wie
Vereinheitlichung, Mobilität oder interne Konkurrenzfähigkeit verfehlt. Die
Studiengänge müssten international kompatibler werden. Es hapere in erster
Linie an einer kulturellen Leitidee und an gemeinsamen Bildungstraditionen.
Der Anspruch und die Herangehensweise an Studium und Universität in den USA
beispielsweise sei ein ganz anderer – hier gehe es vorrangig um eine
berufsorientierte Ausbildung, das Schaffen von Arbeitskräften. Ein solches
Konzept, das in sechs Semester gezwängte Bachelor-Studium, sei nun einmal
nicht vereinbar mit Forderung von interdisziplinärem Lernen,
Persönlichkeitsbildung, dem Leben jenseits des fachspezifischen Lehrbuchs.
Der bei den Wiener Protesten erstmalig offiziell gewordene Kampf: Ein Kampf
um das Selbstverständnis der deutschen Universitäten. Wirtschaftliches
Unternehmen oder gesellschaftliche Bildungseinrichtung?
Ausbildungsorientierung oder Förderung der Wissenschaft, Leistungsbezüge?
"Wahres Desaster"
Nida-Rümelin ist sich selbst und seinem Standpunkt sicher: Mit den sich
zunehmend von der Lehre verabschiedenden Top-Professoren, den massiven
neuen Spaltungen durch ungleiche Bildung, den drastischen Einschnitten in
studentische Lebensqualität sei die Bologna-Reform ausschließlich eines –
ein wahres Desaster.
Das Lieblingswort des Elite-Rektor Ernst Schmachtenberg ist "Leistung".
Beharrlich vergleicht er den Hochschulalltag mit sportlichem Wettkampf. Wer
als Student eine 60 -Stunden-Woche nicht stemmen könne, der falle eben der
natürlichen Auslese zum Opfer. Überhaupt – wer 60 Stunden arbeiten müsse,
um weiterzukommen, der sei schlicht und einfach nicht effizient genug; nur
durch anspruchsvolle Programme ergäben sich Möglichkeiten der persönlichen
Weiterentwicklung.
Die Institution Universität könne also keine bequeme Sicherung eines
genehmen Arbeitsplatzes darstellen. Das Leben in einer
Wissenschaftsgesellschaft bringe auch die Universitäten als deren Träger in
eine wirtschaftliche Verantwortung. Es geht also um das Leistungsprinzip
als Form der Solidarität.
Schlagwort Mitbestimmung
Ständig fällt das Schlagwort der studentischen Mitsprache. Lassen wir den
Studenten selbst also doch einmal zu Wort kommen. Lukas Bischof sieht sich
als grundsätzlichen Bologna-Fan. Die formulierten Ziele seien durchaus
richtig, es fehle bei deren Durchsetzung lediglich an geeigneten
Instrumenten. Auch die Möglichkeiten der Mitbestimmung müssten verbessert
werden. Die Ziele müssten außerdem adäquat vermittelt werden, die Politik
bringe die Ziele weder in die Köpfe der Professoren noch in die der
Studenten.
Der junge Mann, der selbst auf Diplom studiert, ist gut vorbereitet auf
diese Podiumsdiskussion. Artig trägt er in seinen abschließenden Worten
einige erarbeitete konkrete Lösungen für die geäußerten Kritikpunkte vor.
Gut vorbereitet war sicherlich auch Hochschul-Chefin Margret Wintermantel.
Sie verteidigt die Bologna-Reform zunächst beherzt. Das neue
Bachelor-Master-Programm ermögliche das Erlernen von Kompetenzen des
Handelns, individuelle Bildungsbiographien. Die Hochschulen erhielten
Gelegenheit, die Studiengänge aktiv neu zu gestalten und eine neue
Mitsprachekultur zu entwickeln. Dass es, was die Studentenschaft selbst
angeht, genau an dieser Mitsprache noch ein wenig mangelt, gesteht sie
selbst ein. Dies begründe jedoch in keinster Weise die „wüsten
Verschwörungstheorien, dass Wirtschaftsmächte und Lobbyisten die Unipolitik
untergraben“.
Im Verlauf der zunächst sehr gesittet verlaufenden Diskussion ist der
Altersdurchschnitt im Vorlesungs-… Verzeihung! … im Theatersaal drastisch
gesunken. Die jungen, studentischen Interessierten halten sich auch bei
dieser Veranstaltung an das akademisch verspätete Viertelstündchen. Bei all
den Reformen muss man schließlich zumindestens an der ein oder anderen
Tradition festhalten.
Moderator bittet um Ruhe
Und das verändert die Stimmung im Saal deutlich: Bei der offenen
Diskussionsrunde kommen erregte Forderungen nach mehr Mitsprache in der
Hochschulpolitik, nach mehr Freiräumen für Selbstverwirklichung neben dem
Studium, finanziellen Entlastungen. Haben wir das nicht erst vor kurzem im
Audimax der Humboldt-Universität zu Berlin gehört? Und nun?
Mehrmals muss Moderator Martin Kaul um Ruhe bitten, als Frau Wintermantel
sich zu Wort meldet. Sie ist durch die Zwischen- und Buhrufe aus den Reihen
zunehmend verunsichert. In ihrem Fazit bleibt ihr nicht viel mehr übrig,
als drucksend das Engagement der johlenden Kritiker zu loben. Sie
appelliert an die Studenten, dabei doch aber bitte nicht alles schlecht zu
reden. Zum Schluss der verzagte Aufruf, gemeinsam an qualitätsvollem
Studium und Wissenschaft zu arbeiten.
Beim Verlassen des Saals verteilt der langhaarige Kerl in Zimmermannshosen,
der eben lautstark die Uni als Ort des Schaffens gebildeter Menschen
politischen Bewusstseins gefordert hatte, noch schnell die „critica“,
Zeitung von Die Linke.SDS, wünscht höflich ein schönes Rest-Wochenende. Die
Referenten sind direkten Weges über den Bühneneingang verschwunden. Genug
der Diskussion.
24 Apr 2010
## AUTOREN
Hannah Menne
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