# taz.de -- 1. Mai: Die ausgelassene Revolution | |
> Die Bilanz fällt positiv aus: weniger Gewalt und Verletzte als in den | |
> Vorjahren, aber viele Demonstranten. Und jede Menge Bewegung vor den | |
> Bühnen des Kreuzberger Myfests. | |
Bild: Es war wohl die schnellste "18-Uhr-Demo" aller Zeiten. | |
Bewegung und Fotos - darum ging es am Abend des 1. Mai gegen 21 Uhr auf der | |
Wiener Straße in Kreuzberg. Mal flogen Flaschen, mal rannte ein | |
Polizeitrupp durch die Menge. Mal knallte ein Böller, mal blinkte ein | |
Blaulicht. Und stets eilten die Umstehenden zu Hunderten zum vermeintlichen | |
oder realen neuen Hotspot, zückten ihre Handys und machten Fotos. | |
Anschließend waren die Mobilfunknetze stets minutenlang überlastet. Fotos | |
von Gewalt mussten ausgetauscht werden. Denn sie hatten fast schon | |
Seltenheitswert an diesem 1. Mai. | |
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und Polizeipräsident Dieter Glietsch | |
konnten am Sonntag die Bilanz des ruhigsten 1. Mai seit vielen Jahren | |
präsentieren. Insgesamt wurden 98 Polizisten verletzt, im Vorjahr waren es | |
476. Ein Beamter wurde so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus | |
eingeliefert werden wusste. Die ursprüngliche Meldung, dass ihm auf der | |
Wiener Straße mit einem Messer in den Rücken gestochen worden sei, hatte | |
die Polizei noch am Samstagabend zurückgezogen. Am Sonntag hieß es, der | |
Beamte könne vermutlich noch am selben Tag aus der Klinik entlassen werden. | |
Die Zahl der Festnahmen lag in diesem Jahr zwar mit 487 deutlich über der | |
des Vorjahres - dabei schlagen jedoch vor allem die 286 auf dem Ku'damm | |
einkassierten Nazis zu Buche (siehe unten). Auch die Polizeigewerkschaft | |
GdP und der Berliner CDU-Vorsitzende Frank Henkel zeigten sich erfreut über | |
den weitgehend friedlichen Verlauf. | |
Begonnen hatte der Abend mit der schnellsten "18-Uhr-Demo" aller Zeiten. | |
Erst gegen 19.15 Uhr war die linksradikale Demonstration unter dem Motto | |
"Die Krise beenden - Kapitalismus abschaffen!" von der Kottbusser Straße zu | |
einem kurzen Ausflug durch Nordneukölln gestartet. Der wurde fast im Spurt | |
absolviert. Bereits nach 45 Minuten war der Zielpunkt Spreewaldplatz | |
erreicht. Die rund 10.000 Teilnehmer liefen nahezu auf der kompletten | |
Strecke allein. Die Polizei demonstrierte ihre Stärke nur in | |
Parallelstraßen. | |
Erst der Knall eines Chinaböllers um 20.20 Uhr auf der Skalitzer Straße | |
leitete dann Flaschenwürfe auf der einen und Festnahmen auf der anderen | |
Seite ein. Auf dem Spreewaldplatz wurde dabei ein Polizist gefilmt, der | |
einer am Boden liegenden Person gegen den Kopf tritt. Die Polizei leitete | |
noch in der Nacht ein Ermittlungsverfahren ein. Gegen 21 Uhr hatte sich die | |
Lage wieder beruhigt. | |
Erst eine Stunde später zogen rund 300 schwarz Gekleidete über das spärlich | |
beleuchtete Paul-Lincke-Ufer zur Kottbusser Brücke. Dort griffen sie | |
gezielt die wenigen überraschten Polizisten an. Sie versuchten, einen | |
Mannschaftswagen umzustürzen, ein Beamter wurde mit einem Fahrrad beworfen. | |
Als die Polizei Wasserwerfer auffuhr und durch kurze Regengüsse von ganz | |
oben unterstützt wurde, beruhigte sich die Lage. | |
Einen Übergriff der Randale auf das Myfest rund um die Oranienstraße konnte | |
die Polizei komplett vermeiden. So feierten die mehreren zehntausend | |
Besucher bis tief in die Nacht. Auch vor den gut besuchten Bühnen der DJ's | |
und Bands ging es vor allem um zwei Dinge - Bewegung und gute Fotos. | |
2 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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