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# taz.de -- Risiken der Gentechnik: "Wir sind Versuchskaninchen"
> Die Forscherin Susan Bardócz kämpft seit Jahren für eine unabhängige
> Risikobewertung von Gentech-Pflanzen. Sie kritisiert, dass die Gefahren
> bewusst verschwiegen werden.
Bild: Wie gefährlich sind gentechnisch veränderte Pflanzen? Nicht nur Greenpe…
taz: Frau Bardócz, in Ihrem neuen Buch behaupten Sie, die Diskussion um
mögliche Gefahren durch gentechnisch veränderte Pflanzen sei durch
wirtschaftliche Zwänge und eine Pro-Gentechnik-Ideologie verzerrt. Dabei
gibt es doch genug unabhängige Studien.
Susan Bardócz: Die Forschung im Bereich der Gentechnik ist alles andere als
frei. Versuchen Sie mal, an das gentechnisch veränderte Material der Firmen
zu kommen. Die rücken das nicht raus. Sie müssen sich bewerben und bei
vielen Firmen eine Vereinbarung unterschreiben, dass alle
Forschungsresultate der Firma gehören. Wenn sie schlecht ausfallen, dann
wird eben nicht publiziert.
Warum besorgen sich Wissenschaftler die Pflanzen nicht einfach auf dem
freien Markt?
Jeder Landwirt muss einen Vertrag unterschreiben, dass er die Saat nicht
für wissenschaftliche Untersuchungen abgibt. Weil das sogenannte Transgen
und damit jede Pflanze der Firma gehört. Sie können damit nicht einfach
machen, was Sie wollen.
Es gibt nicht eben wenig Wissenschaftler, denen Beweise für Schäden durch
Gentechnik fehlen. Die Technische Universität München hat in einem
unabhängigen Fütterungsversuch über zwei Jahre mit dem Genmais MON 810 bei
Kühen keine Transgene in der Milch nachweisen können.
Mir sind andere Forschungen bekannt. Professor Gilles-Eric Séralini von der
Universität Caen hat vergangenes Jahr eine Untersuchung veröffentlicht, in
der er offizielle Daten von Monsanto statistisch analysiert hat. Also die
Experimente, in denen die Firma selbst Genpflanzen an Tiere verfüttert. Es
gab eindeutige Veränderungen in der Leber, der Niere und bei einigen
Blutwerten.
Wenn ich was esse, dann wird es doch einfach verdaut. Wie sollen Transgene
vom Darm in die Zellen anderer Lebewesen gelangen?
Genmaterial einer transgenen Pflanze wird eben nicht einfach verdaut.
Schockierend ist ein Versuch an der Universität Newcastle mit sieben
Personen, denen wegen einer Erkrankung der Dickdarm entfernt wurde.
Stattdessen wurde der Inhalt des Dünndarms nach außen geleitet und in
Beuteln gesammelt. Wenn sie Nahrung aus gentechnisch verändertem Soja auch
nur einmal aßen, fand sich das Transgen nicht nur im Darminhalt. Es fand
sich im Genom von Darmbakterien wieder und war dort auch noch in der
vierten Generation der Bakterien nachweisbar. Der Versuch ist übrigens der
einzige, der unter Laborbedingungen je mit Freiwilligen gemacht wurde.
Und wie soll das Transgen dort hingekommen sein?
Die Gensequenzen sind doch dafür geschaffen worden, in fremde Genome
einzudringen! Sie sind mit parasitären Elementen ausgestattet, wie ich sie
nenne. Also ein Stück genetischer Code aus einem Virus oder einem
Bakterium, um die natürlichen Verteidigungsmechanismen des Genoms zu
überwinden. In der Natur würden diese Elemente nie zusammenkommen.
Biotech-Firmen sagen, das sei kein Problem, weil man nur Teile von Viren
nehme, die ausschließlich Pflanzen befallen.
In Tromsö haben Wissenschaftler Experimente gemacht, die gezeigt haben,
dass Transgene auch in menschliche Darmzellen eindringen. Davon abgesehen
wird ein anderes Problem überhaupt nicht thematisiert. Biotech-Firmen gehen
davon aus, dass eine Gensequenz in einem neuen Organismus genau das Gleiche
macht wie im alten, zum Beispiel das gleiche Protein produziert. Das ist
grundlegend falsch. In der modernen Genetik haben wir gelernt, dass die
gleichen Gene mehrere Proteine erzeugen können, in einer anderen Umgebung
möglicherweise neue. Stellen Sie sich das Genom wie ein Orchester vor. Die
Gene spielen in einer Zelle alle die gleiche Komposition, alles ist
Harmonie. Jetzt setzen Sie in ein klassisches Sinfonieorchester einen
Rockmusiker, quasi als Transgen. Allein mag jede Musik schön sein, zusammen
sind beide Stücke ruiniert.
Man könnte doch beide Stücke zu einer neuen Harmonie vereinen.
Das ist eine Frage der Technologie. Was Gentechnik angeht, befinden wir uns
leider noch in der Steinzeit. Das größte Problem ist die Methode, mit der
ein Transgen in ein Genom eingebracht wird. Stellen Sie sich einen Blinden
vor, der einfach mal losballert. Vielleicht trifft er die richtige Stelle
im Genom, aber die Chancen sind gering. Stattdessen werden zwei bis fünf
Prozent der Funktionen von Genen im Genom verändert, es wird
destabilisiert. Diesen Effekt kann niemand vorhersagen. Die Biotech-Firmen
wählen einfach die Pflanzen aus, die sich am ehesten so verhalten, wie es
ihr Ziel war. In den gesetzlichen Vorschriften werden die Auswirkungen
dieses Prozesses nicht beachtet, die zusätzlichen Genomveränderungen werden
nicht untersucht.
Wissenschaftlich gesehen sind das alles keine Beweise für die Schädlichkeit
von Gentechnik.
Ich glaube, wir haben genug Anhaltspunkte. Beispielsweise steigen in
Großbritannien Allergien gegen Soja massiv an, seit die Pflanze dort
gentechnisch verändert auf dem Markt ist. Ich glaube, Firmen wie Monsanto
wissen längst um die Schädlichkeit ihrer Produkte und verhalten sich wie
die Tabakindustrie vor 20 Jahren: so lange bestreiten, bis die Beweise für
Gesundheitsschäden erdrückend sind.
6 May 2010
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
EU
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