| # taz.de -- Schwarz-Gelb im Bundesrat: Entscheidet NRW-Wahl den Atomausstieg? | |
| > Die Wählerinnen an Rhein und Ruhr könnten am Sonntag auch den Ausstieg | |
| > aus der Atomenergie verteidigen. Das versprechen SPD und Grüne. Doch die | |
| > Rechtslage ist komplex. | |
| Bild: Die Damen sind sich einig: Laufzeitverlängerungen soll es mit einer rot-… | |
| BERLIN taz | SPD und Grüne wollen bei der Wahl in NRW auch den Atomausstieg | |
| verteidigen. Wenn die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat kippt, so | |
| argumentieren sie, kann die Bundesregierung die geplante | |
| Laufzeitverlängerung vergessen. Anti-Atom-Aktivisten warnen jedoch vor | |
| zuviel Euphorie. "Eineveränderte Bundesratsmehrheit wäre zwar ein starkes | |
| Signal", argumentiert BUND-Energieexpert Thorben Becker, "aber es lassen | |
| sich sicher Wege finden, sie zu umgehen". Auch Jochen Stay von | |
| derInitiative Ausgestrahlt sagte zur taz: "Auf die Bundesratsmehrheit | |
| allein sollte sich niemand verlassen". | |
| Sicher ist nur: wenn CDU und FDP ihre Mehrheit in NRW verlieren, dann kippt | |
| auch der Bundesrat. Derzeit bringen schwarz-gelb regierte Länder 37 von 69 | |
| Stimmen zusammen, eine Mehrheit. Ohne NRW wären es aber nur noch 31 | |
| Stimmen. Sollte die geplante AKW-Laufzeitverlängerung eine Zustimmung des | |
| Bundesrats benötigen, könnte der Bundesrat blockieren. | |
| Doch braucht der "Ausstieg aus dem Ausstieg" wirklich den Segen des | |
| Bundesrats? Dafür sprechen zunächst einmal entsprechende Äußerungen von | |
| Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Auch NRW-Ministerpräsident Jürgen | |
| Rüttgers (CDU) sagte Ende März dem Handelsblatt: "Natürlich ist zur | |
| Verlängerung der Laufzeiten ein Gesetz notwendig und dafür ist auch eine | |
| Mehrheit im Bundesrat nötig." Röttgers und Rüttgers wird unterstellt, dass | |
| sie damit gezielt auch schwarz-grüne Signale aussenden. | |
| Ein Papier von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und seinem | |
| damaligen Stuttgarter Kollegen Günter Oettinger (CDU) kam im letzten Herbst | |
| dagegen zum Schluss: "Insgesamt spricht mehr dafür, dass derartige | |
| Änderungen des Atomgesetzes nicht der Zustimmung des Bundesrats | |
| unterliegen." Immerhin wird angeregt, hierzu ein Rechtsgutachten | |
| einzuholen. | |
| Tatsächlich ist die Rechtslage verzwickt. Gesetze des Bundestags bedürfen | |
| nur dann der Zustimmung der Länderkammer, wenn dies im Grundgesetz | |
| ausdrücklich vorgesehen ist. Es genügt nicht, dass die Länder irgendwie | |
| belastet werden, denn dass sie Bundesgesetze auszuführen haben ist laut | |
| Grundgesetz der Normalfall. Zustimmungspflichtig würde eine Änderung zum | |
| Beispiel, wenn der Bundestag den Länder Regelungen zum Verwaltungsverfahren | |
| vorschreibt (Artikel 85). | |
| Darauf spielte wohl Umweltminister Röttgen an, als er im Spiegel auf | |
| zwingend notwendige neue Sicherheitsanforderungen hinwies. Er kann also | |
| durch eine entsprechende Gestaltung des Gesetzes die | |
| Zustimmungsbedürftigkeit selbst herbeiführen. Er bräuchte dafür allerdings | |
| im Kabinett und im Bundestag eine Mehrheit und die dürfte fraglich sein, | |
| weil die Atom-Befürworter ja nicht absichtlich ein Eigentor schießen. | |
| Ins Spiel kommt deshalb auch Artikel 87c des Grundgesetzes. Danach ist es | |
| zustimmungspflichtig, wenn der Bund die Länder bei der Atomverwaltung | |
| seinem Weisungsrecht unterstellt. Diese Auftragsverwaltung ist im | |
| Atomgesetz zwar längst angeordnet, würde sich durch die | |
| Laufzeitverlängerung also nicht ändern. Atomkritische Juristen wie Cornelia | |
| Ziehm von der Deutschen Umwelthilfe verweisen jedoch auf ältere Urteile des | |
| Bundesverfassungsgerichts. Danach könnte die Auftragsverwaltung durch die | |
| Änderung des Atomgesetzes eine "wesentlich andere Tragweite" erhalten und | |
| die Reform dadurch doch zustimmungspflichtig werden. | |
| Da sich diese Argumentation nur auf eine etwas gewagte Karlsruher | |
| Rechtsprechung beruft, ist hier vieles unsicher. So ist schon fraglich, ob | |
| dieser besonders länderfreundliche Ansatz auch nach der Föderalismus-Reform | |
| von 2006 noch gilt. Schließlich war deren ausdrückliches Ziel, die Zahl der | |
| zustimmungsbedürftigen Gesetze zu reduzieren. Außerdem ist unklar, ab wann | |
| die bloße Laufzeitverlängerung dem Atomgesetz eine neue Tragweite, eine | |
| neue Qualität, verleiht. | |
| Für Cornelia Ziehm liegt die Grenze jedenfalls bei acht zusätzlichen | |
| Jahren. Begründung: die Berechnungen, die der ursprünglichen Genehmigung | |
| der AKWs zugrundleaen, waren auf eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt, | |
| während die rot-grüne Politik die Laufzeiten zwischenzeitlich auf 32 Jahre | |
| verkürzte. | |
| "Falls die Laufzeit nun auf mehr als 40 Jahre verlängert wird, werden | |
| vollkommen neue Sicherheitsüberprüfungen notwendig", so Ziehm, "die | |
| Atomaufsicht müsste qualitativ und quantitativ massiv aufgestockt werden." | |
| Thorben Becker vom BUND befürchtet jedoch, dass die Bundesregierung die | |
| Zustimmungspflichtigkeit schon dadurch umgehen kann, dass sie den Ländern | |
| einfach die Mehrkosten für die Atomaufsicht erstattet. Die Atomfreunde | |
| werden sich aber hauptsächlich darauf berufen, dass auch das rot-grüne | |
| Ausstiegsgesetz 2002 keiner Zustimmung des Bundesrats bedurfte. "Ich sehe | |
| nicht ein, warum das jetzt anders sein soll", sagte die Stuttgarter | |
| Umweltministerin Tanja Gönner jüngst zu Zeit-Online. | |
| Dem widerspricht aber sogar Ursula Heinen (CDU), die Staatseketärin von | |
| Norbert Röttgen, denn damals seien die Länder ja von Aufsichtspflichten | |
| entlastet worden. "Bei einer Verlängerung würden die Länder vermutlich | |
| belastet, daher ist dann von einer Zustimmungspflicht auszugehen", so | |
| Heinen. | |
| Sollte der schwarz-gelbe Atom-Mainstream tatsächlich versuchen, das Gesetz | |
| ohne Zustimmung der Länderkammer in Kraft zu setzen, dann könnte der | |
| Bundespräsident seine Unterschrift verweigern, wenn er darin einen | |
| offensichtlichen Verfahrensverstoß erkennt. Ansonsten könnten einzelne | |
| atomkritische Landesregierungen oder ein Viertel der Bundestagsabgeordneten | |
| das Bundesverfassungsgericht anrufen. Letztlich müsste dann Karlsruhe | |
| entscheiden. Bis zu einer endgültigen Entscheidung dürften dann noch viele | |
| Landtagswahlen ins Land gehen | |
| 6 May 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| C. Rath | |
| M. Kreutzfeldt | |
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