# taz.de -- Vor der NRW-Wahl: Das Comeback von Rot-Grün | |
> Nur wenige Wochen vor der Landtagswahl ist plötzlich möglich, was längst | |
> vergessen schien: eine rot-grüne Koalition. Dabei ist die gemeinsame | |
> Vergangenheit längst nicht aufgearbeitet. | |
Bild: Morgenluft? Die SPD-Chefs Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel. | |
BERLIN/KÖLN taz | Jörg Frank lacht. "Wir waren schon immer antizyklisch", | |
sagt der Fraktionsgeschäftsführer der Kölner Grünen. Während anderswo über | |
Schwarz-Grün spekuliert wird, wird Nordrhein-Westfalens größte Stadt von | |
einer rot-grünen Koalition regiert. | |
Ausgerechnet Köln. In der Domstadt schien ein solches Bündnis über | |
Jahrzehnte unmöglich: Zu selbstherrlich die SPD, zu selbstbewusst die | |
Grünen. Da ging nichts zusammen. Jörg Frank, seit 1989 im Rat, hat die | |
unzähligen gescheiterten Versuche alle erlebt. Bis zum großen Crash der SPD | |
im Jahr 2002, als die Kölner Sozialdemokraten in einem Müll- und | |
Spendenskandal versanken und die CDU stärkste Partei wurde. Doch seit den | |
Kommunalwahlen im vergangenen Jahr gibt es eine neue Chance für Rot-Grün. | |
SPD und Grüne haben sie genutzt. | |
Was in Köln seit letztem Jahr kommunal funktioniert, ist auf einmal auch | |
für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai eine Option. 46 | |
Prozent erreichen SPD und Grüne bei der neusten Sonntagsfrage vom | |
Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap - nicht genug, aber doch 1 | |
Prozentpunkt mehr als CDU und FDP. Geht es um die Wunschkoalition, liegt | |
Rot-Grün mit 49 Prozent bei der Bevölkerung sogar vor allen anderen | |
Optionen. Eine schwarz-gelbe Regierung will nur ein Drittel der | |
BürgerInnen, ähnlich wie eine Koalition aus CDU und Grünen. | |
"Rot-Grün feiert ein Revival", sagt Infratest-dimap-Chef Richard Hilmer, | |
"es ergibt sich damit eine sehr interessante Situation für | |
Nordrhein-Westfalen." Insbesondere die starke Zustimmung in der Bevölkerung | |
findet Hilmer bemerkenswert. "Die Anhänger der Parteien bevorzugen dieses | |
Bündnis gegenüber den anderen Optionen, die gehandelt werden", sagt Hilmer. | |
Bei den Sozialdemokraten im Land und in Berlin sucht man seit dem | |
unerwarteten Aufschwung verzweifelt nach einem souveränen Umgang mit der | |
neuen Option. Gerade verabschiedet man sich erfolgreich von diversen | |
Agenda-Reformen aus der rot-grünen Regierungszeit. Nun soll man parallel | |
die Koalition feiern, deren Politik man hinter sich lässt und die man als | |
Ursache der Wahl- und Mitgliederverluste der letzten Jahre ausgemacht hat. | |
Das passt nicht. | |
Umso verständlicher, dass sich Parteichef Sigmar Gabriel eher nüchtern mit | |
dem Thema auseinandersetzt. Nein, um ein Projekt gehe es nicht, sagte er in | |
dieser Woche der Frankfurter Rundschau, sondern darum, "wer die zentralen | |
Aufgaben der nächsten Jahre am besten lösen" könne. Gabriels Nüchternheit | |
hat Gründe: Längst sind weder bei Rot noch bei Grün alle Wunden verheilt, | |
die durch die gemeinsame Regierungszeit entstanden sind. | |
Ortswechsel. Winfried Hermann sitzt in einem Regionalzug nach Duisburg, der | |
grüne Bundestagsabgeordnete ist im Landtagswahlkampf im Ruhrgebiet. Hermann | |
ist sehr bekannt geworden in der rot-grünen Regierungszeit. Er war oft im | |
Fernsehen, weil er immer wieder drohte, Gesetzesvorhaben die Zustimmung zu | |
verwehren. Er war damals in den Augen von Gerhard Schröder und Joschka | |
Fischer ein Querulant, einer der "üblichen Verdächtigen". Hermann wollte | |
zum Beispiel Änderungen an Hartz IV und die Einführung der Vermögensteuer. | |
Damit wäre er heute kein Querulant mehr, in keiner der beiden Parteien. | |
Kann so jemand einer Neuauflage von Rot-Grün etwas abgewinnen? | |
"Der Preis ist deutlich höher, als damals", sagt Hermann, "für eine | |
Neuauflage in Nordrhein-Westfalen brauchen wir stärkere Grüne". Hoch | |
problematisch sei das Bündnis damals gewesen, im Land unter Wolfgang | |
Clement und Peer Steinbrück wie im Bund. "Die wollten uns immer wieder über | |
den Tisch ziehen", erinnert sich Hermann, "die SPD war dieselbe | |
Autofahrerpartei wie die Vorgängerregierung." | |
Die Arroganz der SPD. Im Bund. In Nordrhein-Westfalen. Selbst in Köln war | |
sie der Anlass für der Entfremdung der Parteien. Und erst ein | |
Personalwechsel hat den Neuanfang möglich gemacht. In Köln geschah dieser | |
2002, nach dem großen Skandal der alten Genossen. | |
"Dass die Sozialdemokraten ihre gesamte Führungsriege auswechseln mussten, | |
hat manches vereinfacht", sagt der Grüne Frank heute. "Die haben ihre alte | |
Überheblichkeit weggeschwitzt." Das räumt auch der SPDler Jochen Ott ein: | |
"Es sitzen bei uns Akteure am Tisch, die nicht in dem Glauben groß geworden | |
sind, dass Grüne nur abgespaltene Jusos seien." Gerade 35 Jahre alt ist der | |
Kölner Parteivorsitzende. | |
Den Streit von früher kennt er nur aus Erzählungen. "Rein biologisch hat | |
sich unsere Herangehensweise geändert", sagt Ott, der auch | |
stellvertretender SPD-Landesvorsitzender ist. | |
Die Zusammenarbeit klappt, auch weil sich die Kräfteverhältnisse verschoben | |
haben. Wie in vielen Großstädten sind die Grünen keine Juniorpartner mehr. | |
In der Wählergunst liegen die beiden Parteien in Köln fast gleichauf. Zum | |
anderen haben sich die Erwartungshaltungen geändert. | |
"Wir haben keine Liebesbeziehung", sagt der Grüne Frank. Es sei ein Fehler | |
gewesen, dass seine Partei Rot-Grün lange Zeit als | |
"gesellschaftspolitisches Transformationsprojekt" überhöht habe. Auch wenn | |
dabei das "ideologisch-philosophischen Flair" fehle, könne es nur um | |
"Zweckbündnisse auf Zeit" gehen. "Von Projekten halte ich überhaupt | |
nichts", betont auch SPD-Mann Ott. Es gehe um die Austarierung | |
unterschiedlicher Interessen. | |
Es ist fast Gabriels Rhetorik, fast die Wortwahl der Berliner | |
ParteikollegInnen. Die bereiten gerade eine besondere Woche vor, eine | |
Woche, in der sich die Parteien zueinander bekennen, obwohl sie ja | |
eigentlich so lange die natürlichen Partner waren. | |
Am kommenden Montag ist die Bundespressekonferenz reserviert, "Perspektiven | |
für Rot-Grün" lautet das Motto. Sigmar Gabriel kommt, auch die | |
Grünen-Spitze mit Claudia Roth und Cem Özdemir, und natürlich fehlen auch | |
die Landeschefinnen der Parteien, Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann, | |
nicht. | |
Es wird ein großer Auftritt, er ist besonders in der SPD nicht | |
unumstritten, denn er könnte WählerInnen für Grün mobilisieren - die am | |
Ende mit Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ein Bündnis eingehen könnten. | |
Wenige Tage später werden beide Parteien wohl noch einmal gemeinsam | |
auftreten, offenbar sogar Jürgen Trittin zusammen mit Sigmar Gabriel. Bei | |
der großen Anti-Atom-Demonstration in Norddeutschland. | |
Es ist das Thema, das die beiden Parteien seit Langem vereint, der Kampf | |
für den Atomausstieg. "Da haben wir mit Schwarz-Gelb einen gemeinsamen | |
politischen Gegner", wie Juso-Chefin Franziska Drohsel sagt. "Es gibt | |
deutliche Parallelen zu 1998", sagt Richard Hilmer von Infratest dimap. | |
"Atompolitik und soziale Gerechtigkeit sind die großen Themen, da besteht | |
Einigkeit". Und auch in Nordrhein-Westfalen sind die Ziele für | |
Bildungspolitik und Kommunalfinanzen fast identisch. Konflikte drohen beim | |
Thema Kohle, dem alten Identifikationssymbol der Sozialdemokratie, dem | |
Grüne nie etwas abgewinnen konnten. | |
Streitpunkt oder nicht: Letztlich hängt doch alles von der Linkspartei ab. | |
Kommt sie am 9. Mai in den Landtag, dann wird es nichts mit Rot-Grün, | |
nichts mit dem Revival, dem Nichtprojekt. | |
Die Anhänger der Linkspartei indessen können Rot-Grün auch etwas | |
abgewinnen, jeder zweite von ihnen findet die Koalition gut. "Die | |
Abwehrhaltung der Anhänger der Linken gegenüber Rot-Grün nimmt ab", hat | |
Richard Hilmer festgestellt. | |
Das kann ja auch ein Zeichen für eine ganz andere Annäherung sein. | |
Vielleicht wird daraus sogar irgendwann, später, das Unwort. Ein Projekt. | |
15 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
P. Beucker | |
G. Repinski | |
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