Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Interview Gebetsraum-Urteil: "Ein brandgefährliches Urteil"
> Die Juristin Kirsten Wiese kritisiert das Gebetsverbot für einen
> muslimischen Schüler. Es stelle die Religionsfreiheit infrage und
> beschwöre Konflikte herauf – und sei überdies völlig unverhältnismäßi…
Bild: Gebetsteppich, gesehen am Frankfurter Flughafen.
taz: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat einem muslimischen
Schüler verboten, in der Schule zu beten, weil dies den Schulfrieden
bedrohe. Hat dieses Urteil grundsätzliche Bedeutung?
Kirsten Wiese: Ja. Hier wird ein ganz neues Konfliktfeld eröffnet. Bisher
wurde mit Blick auf den Schulfrieden vor allem die Freiheit von Lehrkräften
eingeschränkt, ein Kopftuch zu tragen. Jetzt kommt auch die
Religionsfreiheit von Schülern in den Blick.
Dürfen Schülerinnen in der Schule künftig noch ein Kopftuch tragen?
Wenn man den Grundgedanken des OVG-Urteils ernst nimmt, ist auch das
Kopftuch ein sichtbares Zeichen der Religionsausübung, das zur Wahrung des
Schulfriedens verboten werden könnte. Das Gleiche könnte für Kreuze an
Halsketten von Schülerinnen und Schülern gelten. Möglicherweise droht bald
hunderten von Schülerinnen, die ihr Kopftuch nicht abnehmen wollen, der
Schulausschluss. Dieses Urteil ist brandgefährlich, weil es ohne Not die
Konflikte heraufbeschwört, die es angeblich vermeiden will.
Wird das Urteil Bestand haben?
Wohl kaum. Spätestens das Bundesverfassungsgericht wird diese
Fehlentscheidung korrigieren. Ich kann dem betroffenen jungen Mann nur
raten, Rechtsmittel einzulegen.
Was kritisieren Sie an dem Berliner Urteil?
Ein präventives Gebetsverbot ist völlig unverhältnismäßig. Die Annahme,
dass das Gebet eines Schülers in der Schulpause zu Konflikten führt, ist
nicht durch die bisherigen Erfahrungen gedeckt. Der Schüler hat sein Gebet
oft in leeren Klassenzimmern oder der Umkleide zur Turnhalle verrichtet -
so zurückhaltend, dass die Schule dies gar nicht bemerkte und sogar seine
religiöse Motivation in Frage stellte. Ein Gebetsverbot wäre allenfalls
möglich, wenn Konflikte tatsächlich eingetreten sind. Und auch dann fragt
sich, warum die Schule gegen den Betenden vorgehen soll und nicht zunächst
Lösungen sucht, die einer Toleranzkultur entsprechen.
Muss die Schule dann für alle, die beten wollen, Gebetsräume bereitstellen?
Nein, aber das ist auch nicht nötig. Die Diskussion um Gebetsräume beruht
ja nur auf der falschen Annahme von Schule und OVG, dass ein Gebet
allenfalls hinter verschlossenen Türen erlaubt werden könne. Der junge Mann
hat keinen Gebetsraum gefordert, er hat nur gegen das generelle
Gebetsverbot der Schule geklagt. Das vom OVG als unlösbar angesehene
Problem, dass nun alle an der Schule vertretenen Religionen eigene
Gebetsräume fordern könnten, stellt sich also gar nicht.
Die Schule beruft sich auf die Neutralität des Staates. Religion habe
deshalb in der Schule nichts zu suchen.
Das ist ein ganz falsches Verständnis. Neutralität des Staates heißt ja
nur, dass er alle Religionen gleich behandeln muss. Es gibt in Deutschland
keine strikte Trennung von Kirche und Staat wie in Frankreich. Deshalb
zieht in Deutschland zum Beispiel der Staat die Kirchensteuer ein und
bezahlt die Religionslehrer.
29 May 2010
## AUTOREN
Christian Rath
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Beten in der Schule: Kein Thema für die Justiz
Das Problem mit Gebeten an Schulen sollte nicht per Gerichtsurteil gelöst
werden. Schule sollen auch einen toleranten Umgang vermitteln. Dazu gehört,
nicht immer gleich vors Gericht zu ziehen.
Urteil zur Religionsausübung: Gebet gefährdet Schulfrieden
Das Oberverwaltungsgericht Berlin hebt in zweiter Instanz ein Urteil auf.
Ein 16-jähriger Muslim darf nun doch nicht während der Schulzeit beten. Die
Schule befürchtet Konflikte.
Kommentar zum Gebetsraumprozess: Selbst der Bundestag hat einen Gebetsraum
Wer religiöse Vielfalt nur als Pulverfass betrachtet, verschließt sich der
Realität.
Gebetsraumprozess: Schulgebet muss wieder vor Gericht
Die CDU freut sich, dass der Senat in die nächste Instanz geht: Der Staat
dürfe nicht die Ausübung der Religion für Schüler organisieren. FDP fordert
Rot-Rot dagegen auf, nicht den "Prozesshuber" zu geben.
Richter verweist auf Religionsfreiheit: Moslem darf in Schulpause beten
Ein Berliner Schüler darf nach einem Gerichtsurteil an seinem Gymnasium
nach islamischem Ritus beten. Damit gab das Gericht am Dienstag der Klage
des 16-Jährigen statt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.