# taz.de -- Richter verweist auf Religionsfreiheit: Moslem darf in Schulpause b… | |
> Ein Berliner Schüler darf nach einem Gerichtsurteil an seinem Gymnasium | |
> nach islamischem Ritus beten. Damit gab das Gericht am Dienstag der Klage | |
> des 16-Jährigen statt. | |
Bild: So könnte in Zukunft die große Pause aussehen. | |
BERLIN taz | Ein muslimischer Schüler hat das Recht, in Unterrichtspausen | |
im Schulgebäude zu beten. Am Dienstag gab das Verwaltungsgericht Berlin | |
einer entsprechenden Klage des 16-jährigen Moslems Yunus M. statt. Der | |
hatte die Diesterweg-Oberschule im Berliner Bezirk Wedding verklagt, weil | |
die ihm verboten hatte, dort sein Mittagsgebet zu verrichten. | |
Am 1. November 2007 hatte M. in der Pause mit Freunden zehn Minuten lang in | |
einer Ecke des Schulgebäudes gebetet. Die Schulleiterin schritt dagegen | |
ein. "Ihr könnt auch von der Schule fliegen", soll sie den jungen Moslems | |
gesagt haben. In einem Brief an M.s Eltern schrieb sie, dass an | |
öffentlichen Schulen "religiöse und politische Bekundungen nicht erlaubt" | |
seien. Zwar werde der Glauben respektiert - aber nur im privaten Bereich. | |
M. wehrte sich und bekam 2008 in einer Eilentscheidung Recht. Seitdem betet | |
er in einem nicht benutzten Computerraum. | |
Gestern erscheint M., Sohn eines deutschen Moslems und einer Türkin, ohne | |
seine Eltern zur Verhandlung. Er trägt glänzende weiße Turnschuhe und eine | |
offene, blaugestreifte Kapuzenjacke. Seit der Kindheit fühle er sich dem | |
Islam zugehörig, sagt er. "Ich faste im Ramadan, besuche fast | |
täglich die Moschee, und bete fünf Mal am Tag, das erste Mal um 6 Uhr | |
morgens." Seitdem er nicht mehr die Grundschule besuche, komme er immer | |
erst am Nachmittag nach Hause – zu spät für das zweite Gebet des Tages. | |
Die Schulbehörde hatte M. deshalb empfohlen, sein Mittags- und | |
Nachmittagsgebet zusammenzuziehen. Im Eilverfahren hatte die Behörde auf | |
ihre Verpflichtung verwiesen, die übrigen Schüler "vor religiösen | |
Demonstrationen zu schützen". M.s Gebet habe "werbenden und demonstrativen | |
Charakter" gehabt, danach hab es "erste Anzeichen einer Störung des | |
Schulfriedens" gegeben. | |
Der Islamexperte Mathias Rohe von der Uni Erlangen nannte M.s Gebetswunsch | |
"eine plausible religiöse Position". Die "uralte Tradition der fünf | |
Ritualgebete zählt zum Kern der Religion," sagte der Gutachter am Dienstag | |
vor Gericht. Dass viele Muslime dies nicht mehr praktizieren, änderte nicht | |
die normative Grundlage. | |
Die Verpflichtung zum Gebet gelte "auch außerhalb der islamischen Welt". | |
Zumindest nach traditioneller Auffassung dürften Muslime hier "nicht nur | |
ein Notprogramm fahren". Lediglich in Notsituationen oder im Fall von | |
Berufsgruppen wie etwa Piloten oder Chirurgen sei es zulässig, das Gebet | |
regelmäßig später als vorgeschrieben nachzuholen. | |
Neben Bremen ist Berlin das einzige Bundesland, das nicht zur Durchführung | |
von Religionsunterricht verpflichtet ist. "Hier ist ein besonders | |
geschützter, religiös und weltanschaulich neutraler Rahmen zu | |
halten," sagte Margarete Mühl-Jäckel, die Anwältin der Schulbehörde. Das | |
islamische Gebet verlange "Elemente, die einen demonstrativen Charakter | |
haben. Das ist beim christlichen Gebet vielleicht etwas anders." Die | |
Neutralität sei nicht mehr haltbar, wenn M. beten dürfe. Laut Mühl-Jäckel | |
drohe ein Ausufern des Schulbetens: "Der Einzelfall täuscht über die | |
Situation hinweg, vor der die Schulverwaltung steht." | |
Die große Vielzahl von Glaubensrichtungen würde "Kapazitäten sprengen, der | |
geordnete Schulunterricht ist dann irgendwann nicht mehr durchführbar." | |
Schließlich existierten "verschiedene muslimische Richtungen" zwischen | |
denen es "Unverträglichkeiten" gebe, entgegnete die Anwältin – etwa inder | |
Frage des gemeinsamen Gebets von Frauen und Männer in einem Raum. | |
Der Richter sah das anders. Die grundgesetzliche Religionsfreiheit | |
erstrecke sich "nicht nur auf die innere Freiheit, sondern auch auf die | |
äußere Freiheit, sich entsprechend zu betätigen." M. sei ein "junger | |
Moslem, der sein Anliegen mit Ernsthaftigkeit vorgetragen hat". Von dem | |
strenggläubigen Schüler könne nicht erwartet werden, grundsätzlich nur | |
außerhalb der Schulzeit zu beten. Dies gelte, solange er bereit sei, nur in | |
der Pause zu beten und hierdurch "keine konkreten und unzumutbaren | |
Beeinträchtigungen des Schulbetriebes" eintreten. | |
Die Entscheidung sei aber nicht so zu verstehen, dass ihm oder anderen ein | |
Gebetsraum eingerichtet werden müsse. M. Gebetswunsch habe sich vielmehr in | |
den organisatorischen Rahmen der Schule einzuordnen. Die | |
Neutralitätspflicht des Staates verlange in erster Linie Zurückhaltung bei | |
eigenen Aktivitäten. Sie gebiete jedoch nicht, gegen religiöse Betätigungen | |
von Schülern vorzugehen - auch nicht, um Andersgläubige oder Nichtgläubige | |
in ihrer "negativen Bekenntnisfreiheit" zu schützen. | |
Es sei nicht zu erkennen, dass die von der Schulbehörde befürchteten | |
Konflikte durch M.s Verhalten verursacht oder vertieft würden. Auch die | |
Gefahr, dass nun massenhaft Schüler "räumliche Möglichkeiten zur | |
Gebetsverrichtung" fordern könnten sah das Gericht nicht. Das Urteil wurde | |
zur Berufung zugelassen. | |
30 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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