# taz.de -- Gewalt in Kirgisien: "Usbeken haben um Hilfe gefleht" | |
> Es gibt deutliche Hinweise, dass in der Stadt Osch gezielt Usbeken | |
> verfolgt werden, sagt Menschenrechtlerin Andrea Berg. Sie fordert eine | |
> internationale Schutztruppe unter Führung der UNO. | |
Bild: Zwei Monate nach dem Machtwechsel gerät das Land außer Kontrolle. Die G… | |
taz: Frau Berg, Sie wurden bei einem Besuch in Osch von den Unruhen | |
überrascht. Was haben Sie erlebt? | |
Andrea Berg: Während der Unruhen saß ich im Hotelzimmer fest. Aber ich habe | |
den ständigen Schusswechsel gehört und stand in ständigem Kontakt mit | |
Usbeken in Osch, die mich per Telefon informierten, um Hilfe anflehten und | |
den Eingriff internationaler Truppen forderten. | |
Am Sonntag sind Sie herausgefahren. Was haben Sie auf dem Weg zum Flughafen | |
gesehen? | |
Ich bin durch komplett verbrannte usbekische Wohnviertel gefahren, | |
regelrechte Schneisen der Zerstörung waren zu sehen, und wenn man durch die | |
offenen Tore in die Gehöfte blickte, war dort alles zerstört. Dann bin ich | |
aber an völlig unzerstörten Häusern vorbeigefahren, auf denen groß das Wort | |
"Kyrgyz" stand. Auch bei Autos, die uns entgegenkamen, war "Kyrgyz" auf die | |
Motorhaube gemalt. | |
Von wie vielen Toten gehen Sie aus? | |
Ich habe selber keine Leichen auf dem Weg zum Flughafen gesehen, aber ich | |
denke, dass die Todeszahl um vieles höher ist als die amtlichen Angaben. | |
Ist ist das eine einseitige Verfolgung der usbekischen Minderheit? | |
Ja, ich habe diesen Eindruck, dass ganz gezielt usbekische Wohnviertel | |
angegriffen und usbekischstämmige Bewohner aus der Stadt gejagt wurden. | |
Jetzt kommt es aber auch zu gegenseitigen Geiselnahmen, um die Sicherheit | |
der jeweiligen Gruppe zu garantieren. | |
Ist das ein ethnischer Konflikt? | |
Ich bin mit dem Begriff vorsichtig, aber sicherlich haben kriminelle und | |
äußere Kräfte ganz gezielt interethnische Spannungen ausgenutzt, um die | |
Lage zu eskalieren, und dieser Plan ist aufgegangen. | |
Die provisorische Regierung behauptet, dass der gestürzte Präsident | |
Kurmanbek Bakijew dahintersteckt. | |
Ja, es gibt Anzeichen dafür. | |
Es gibt Gerüchte über Massenvergewaltigungen. | |
Ja, das scheint sich zu bestätigen. Ich habe das aus mehreren Quellen | |
gehört, und es sollen auch Aufnahmen davon existieren. | |
Welche Rolle spielten die kirgisischen Sicherheitskräfte bei den | |
Gewaltausbrüchen? | |
Die kirgisische Armee hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Sie hat im besten | |
Fall einfach weggeschaut und den Plünderern freie Hand gelassen, aber es | |
gibt auch Belege dafür, dass das Militär den Plünderern Waffen ausgehändigt | |
und sie auf Panzerwagen mitgenommen hat. Zum Teil haben die Soldaten auch | |
selbst auf usbekische Wohnviertel geschossen. | |
Welche Folgen hat das? | |
Die Usbeken haben das Vertrauen komplett verloren, daher bleibt als einzige | |
Lösung, wie Human Rights Watch fordert, eine von der UN mandatierte | |
Schutztruppe nach Südkirgisien zu schicken. | |
Was müssen diese tun? | |
Sie müsste Sicherheitskorridore in Osch und Dschalalabad schaffen. Des | |
Weiteren müsste sie die Sicherheit der an die Grenze Geflüchteten | |
garantieren - das sind ja auch schon viele Tausende -, damit diese mit | |
Nahrungsmitteln versorgt werden können. Die Lage ist dort katastrophal. | |
Glauben Sie, dass Usbekistan in den Konflikt eingreifen wird? | |
Der Staat nicht, aber wenn das Morden weitergeht, kann es sein, dass | |
irgendwann die Usbeken aus Usbekistan zum Kampf aufrufen würden. Das wäre | |
eine Katastrophe für die gesamte Region. Daher ist es so wichtig, dass | |
schnell eine internationales militärisches Engagement nach Südkirgisien | |
kommt. | |
INTERVIEW: MARCUS BENSMANN | |
15 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Marcus Bensmann | |
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