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# taz.de -- Kommentar Kirgisien: Die Logik des Pogroms
> Die Übergriffe in Kirgisien sind nicht einfach ein "ethnischer Konflikt".
> In ihnen zeigt sich eine allgemeine Logik des Pogroms.
Bild: Usbeken aus Osch auf der Flucht ins Nachbarland Usbekistan am 17. Juni 20…
Pogrome gehören zum Schlimmsten, was Menschen einander antun können.
Pogromtäter sind in moralischer Hinsicht Scheusale.
Nach außen hin stellen sich die Ereignisse in Zentralasien als "ethnischer
Konflikt" zwischen Kirgisen und Usbeken dar. In den Übergriffen zeigt sich
aber eine allgemeine Logik des Pogroms, die immer wieder erkennbar wird. So
sind die aktiven Täter fast ausnahmslos junge Männer, die die Marxisten
einst dem "Lumpenproletariat" zurechneten. Angefeuert werden sie von einer
Ideologie, die sie nicht selbst ersonnen haben und in der ihre
Schlachtopfer als bedrohliche Schädlinge gebrandmarkt werden.
Wieweit eine solche Ideologie durch Alkohol oder andere Tapferkeitsdrogen
unterstützt oder ergänzt wird, ist praktisch unerheblich. Auf jeden Fall
herrscht unter den Tätern während des Pogroms eine Feststimmung.
Neben diesen Aktiven gibt es eine weitaus größere Zahl von Menschen, die
sich aus den brennenden Geschäften und Häusern holen, was sie zu benötigen
glauben. Auch sie lassen sich oft kurzzeitig von der Feststimmung
anstecken; später sind sie wieder ernüchtert. Von ihnen sind jene zu
unterscheiden, die die Pogrome organisieren. Holzknüppel, Eisenstangen und
Brennmaterial sind zu beschaffen. Waffenlager müssen geschützt, Häuser von
Opfern und Nicht-Opfern markiert werden. Es bedarf also verlässlicher
Mitglieder von einschlägigen Organisationen oder Netzwerken. Und es braucht
politisch lenkende Köpfe.
Im Falle von Osch und Dschalalabad besteht kein Zweifel, dass hier das
familiäre und freundschaftliche Netzwerk des im April vertriebenen
usbekischen Präsidenten Bakijew aktiv geworden ist. Für eine Rückkehr an
die Fleischtöpfe der Macht ist jedes Mittel recht. Wer die enthusiastischen
Volksmassen zum Pogrom mobilisieren kann, hat eine fürchterliche Waffe in
der Hand.
Es ist in dieser Situation wenig aussichtsreich, von außen bewaffnet
einzugreifen. Die russische Regierung handelt vielleicht amoralisch, aber
nicht unklug, wenn sie den Bitten der provisorischen Regierung Kirgisiens
nicht folgt. Auch vor dem Einsatz internationaler Friedenstruppen sollte
man sich hüten. Sie werden zwischen Pogromtätern und Bevölkerung nicht
unterscheiden können. Allenfalls kann man die provisorische Regierung in
ihren Bemühungen unterstützen, wieder Ruhe herzustellen.
Der Autor ist Politologe an der Uni Potsdam.
15 Jun 2010
## AUTOREN
Erhard Stölting
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