# taz.de -- Krise in Kirgisien: Die Präsidentin fühlt sich sicher | |
> Der Süden des Landes ist im Chaos versunken, doch Präsidentin Otunbajewa | |
> gibt sich selbstbewusst. Auch auf eine internationale Friedenstruppe will | |
> sie nun verzichten. | |
Bild: Situation unter Kontrolle? Die geschäftsführende Präsidentin Rosa Otun… | |
BISCHKEK taz | Die geschäftsführende Präsidentin Rosa Otunbajewa fühlt sich | |
wieder sicher. Sie ist überzeugt, dass die kirgisische Übergangsregierung | |
die Lage im Süden des Landes selbst unter Kontrolle bringen kann. "Das hat | |
sich da irgendwie beruhigt", sagte Otunbajewa, die seit dem Machtwechsel | |
vom 7. April, als der damalige Präsident Kurmanbek Bakjiew gestürzt wurde, | |
die Übergangsregierung führt. Otunbajewa scheint auch nicht mehr traurig zu | |
sein, dass Russland keine Friedenstruppen schickt. | |
Noch am Samstag hatte die Regierungschefin den russischen Präsidenten | |
Medwedjew angefleht, Truppen zu schicken. Seit Donnerstag zogen | |
marodierende Banden zunächst durch Osch und dann durch Dschalalabad, sie | |
brandschatzten die Viertel der usbekischen Minderheit und töteten wahllos | |
Menschen. Nach offiziellen Angaben wurden mindestens 176 Menschen getötet. | |
Die Zahl der Toten könnte aber weitaus höher liegen. Über tausend verletzt, | |
über 75.000 zumeist usbekische Frauen und Kinder sind in das angrenzende | |
Usbekistan geflüchtet, an der Grenze stecken noch viele Tausende fest. | |
Die Lage im Süden Kirgisiens war außer Kontrolle geraten und die | |
Übergangsregierung machtlos. Der Kreml zögerte jedoch mit der Entsendung | |
von Truppen. Am Dienstag zeigt sich Otunbajewa über die russische Weigerung | |
plötzlich erfreut. Aus Osch und Dschalalabad bestätigen Anrufer, dass sich | |
die Lage etwas beruhigt habe, aber in beiden Städten gebe es zu wenig | |
Nahrungsmittel. Die humanitäre Hilfe komme nur sehr schleppend an. "Eine | |
Lebjoschka die noch vor einer Woche 10 Sum gekostet hat, ist nun nur für 40 | |
zu haben", sagt ein Usbeke. Damit hat sich der Brotpreis für das typische | |
Fladenbrot bei einem US-Dollar eingependelt. In Osch und Dschalalabad | |
öffnen auch wieder die Geschäfte. Aber noch sind die Straßen unsicher, | |
besonders vom Flughafen in das Zentrum von Osch sowie die Wege in die | |
Provinzen. "Ein Hilfskonvoi wurde sogar überfallen", berichtet ein Usbeke | |
aus Osch. | |
Vor allem die usbekischen Männer sind in ihre Viertel in den beiden Städte | |
zurückgekehrt, die meisten Frauen und Kinder harren unterdessen in den | |
Lagern an der usbekischen Grenze aus. Otunbajewa verneinte, dass zu deren | |
Rückkehr internationale Friedenstruppen nötig seien. "Es liegt an uns, das | |
Vertrauen der Menschen wieder herzustellen." Die Präsidentin wehrte sich | |
massiv dagegen, dass das Morden und Rauben im Süden einen ethnischen | |
Hintergrund gehabt hätte. "Das war ein Massenmord an allen Einwohner des | |
Landes", sagte Otunbajewa. Sie gab jedoch zu, dass die kirgisischen | |
Sicherheitskräfte unzureichend ausgebildet, von Verrätern durchsetzt und | |
zudem monoethnisch seien. "Das ist ein Befehl für die Zukunft, dass wir | |
Usbeken in den Sicherheitskräften haben", sagt die Regierungschefin am | |
Dienstag. | |
Das Verfassungsreferendum am 27. Juni will die Präsidentin auf jeden Fall | |
durchführen. Die Unruhen seien laut Otunbajewa das Werk von Provokateuren, | |
die von dem gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew bezahlt worden seien. | |
Am Montag wurde der Sohn des Expräsidenten, Maxim Bakijew, in | |
Großbritannien verhaftet, der im Mai in einem mitgeschnittenen | |
Telefoninterview erklärt hatte, wie er die Lage in Kirgisien | |
destabilisieren wolle. Kirgisien wird von London die Auslieferung von Maxim | |
Bakijew fordern. | |
Doch selbst Mitarbeiter in der Übergangsregierung sehen die neu gewonnen | |
Selbstsicherheit der Präsidentin kritisch. Die Regierung habe gezeigt, dass | |
sie keinerlei Macht habe. Auch würden die usbekischen Flüchtlinge kaum | |
zurückkehren ohne eine Sicherheit einer internationalen Friedenstruppe. | |
Zudem würden viele gerade junge Usbeken auf Rache sinnen. Aber die | |
Regierung habe nur das Referendum im Sinn, weil sie sonst fürchten müsse, | |
keinerlei Legalität mehr zu besitzen, sagt der Mitarbeiter. | |
16 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Marcus Bensmann | |
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