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# taz.de -- Gaza-Hilfs-Flotille im Zwielicht: Die zweifelhaften Passagiere
> Neun Menschen starben, als Israel die Schiffe stoppte. Doch so
> friedfertig, wie sie vorgaben, waren viele Aktivisten nicht. Die
> türkische Hilfsorganisation IHH hatte eigene Ziele.
Bild: 31. Mai 2010 an Bord der "Mavi Marmara": Gaza-Aktivisten haben einen isra…
BERLIN taz | Neun Menschen starben, als vor einem Monat, am Morgen des 31.
Mai, israelisches Militär die "Free Gaza"-Flotte im Mittelmeer stoppte.
Seitdem dringen immer mehr Informationen über die Gewaltbereitschaft und
Bewaffnung eines Teils der Aktivisten an die Öffentlichkeit. Hier ein
Überblick:
Wer waren die Organisatoren der Flotte?
Viele Friedens- und Menschenrechtsaktivisten waren unter den etwa 700
Passagieren. Dominant auf dem Flagschiff, der "Mavi Marmara", war die
türkische Organisation Insani Yardim Vakfi (IHH). Dieses Schiff war von
israelischen Soldaten geentert worden.
Die Kooperation und ideologische Nähe der IHH zur radikalislamischen Hamas,
die im Sommer 2007 die Macht im Gazastreifen übernommen hat, war schon vor
dieser Auseinandersetzung bekannt. Und das spätestens nach der eindeutigen
Hilfe der IHH für die Hamas im Gazakrieg, als Ende 2008/Anfang 2009 die
israelische Armee im Gazastreifen gegen die Hamas vorging, wie die
Islamismus-Expertin Claudia Dantschke erklärt.
Bereits Mitte der neunziger Jahre hatten deutsche Staatsanwälte der IHH
vorgeworfen, Spenden für Muslime in Bosnien nicht wie angegeben zu
humanitären Zwecken, sondern zur Finanzierung der islamistischen
Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei zu verwenden. Und auch im
Tschetschenienkrieg sollen Waffen statt Hilfsgüter gekauft worden sein, so
die Staatsanwaltschaft.
Nach Angaben der IHH hat sich ihr Chef Bülent Yildirim mehrmals öffentlich
mit Hamas-Führern getroffen: etwa im Januar 2010 mit Ismail Haniyya und im
Januar 2009 mit Chalid Maschal, der in Damaskus im Exil lebt. Dabei dankte
ihm Maschal für die Hilfe. Vor rund einem Jahr sagte Yildirim in Gaza: "Vor
drei, vier Jahren noch hat man die Hamas als terroristische Organisation
bezeichnet. Heute nennen wir Israel, die USA und Großbritannien die
Terroristen."
Wie dominant die IHH auf der "Mavi Marmara" war, zeigen Aussagen des ersten
und des dritten Kapitäns. Weder sie noch irgendjemand anderes durfte sich
auf dem oberen Deck ohne Genehmigung einer etwa 40-köpfigen,
türkischsprechenden Gruppe bewegen, die das Deck kontrollierte. Dies könnte
auch erklären, warum viele Friedensaktivisten bis heute glauben, die
Passagiere seien ausschließlich friedlich gewesen. Die Aktivisten der IHH
setzten auch durch, dass Frauen und Männer auf verschiedenen Decks
übernachten mussten.
Was waren die Motive der Organisatoren?
Offen vertraten die Organisatoren der "Free Gaza-Flotille", wie Greta
Berlin oder Bülent Yildirim schon vor der Abfahrt sagten, dass es nicht in
erster Linie darum gehe, Hilfsgüter nach Gaza zu bringen, sondern Israels
Blockade zu brechen.
Wie der arabische Sender al-Dschasira zeigte, wurde die "Mavi Marmara" am
23. Mai in Istanbul mit antisemitischen Gesängen verabschiedet. Dabei wurde
ein Lied über den jüdischen Ort Chaibar gesungen, der als angeblich letzte
jüdisches Oase auf der Arabischen Halbinsel im Jahr 629 von dem Propheten
Mohammed erobert wurde. Im Lied heißt es: "Oh Juden, erinnert euch an
Chaibar, Chaibar! Die Armee Mohammeds wird zurückkehren!" Nach einem Video,
das israelische Behörden von einem der Gaza-Aktivisten konfisziert haben,
wurde dieses Lied auch auf der "Mavi Marmara" gesungen. Bei Verabschiedung
der "Mavi Marmara" wurden zudem Fahnen der Hamas geschwenkt. Al-Dschasira
interviewte eine Aktivistin, die sagte, für sie wäre auch der Märtyrertod
ein Erfolg. Ein Video, das die israelische Armee von einem Aktivisten
beschlagnahmte, zeigt einen Passagier, der vor dem Entern der "Mavi
Marmara" verkündete, er wünsche sich, als Märtyrer zu sterben.
Al-Dschasira strahlte mehrere Interviews mit Augenzeugen aus, die im
Wesentlichen bestätigen, was unter anderem der Al-Dschasira-Journalist
Saleh al-Azraq beschreibt: Dass sich auf dem Schiff Leute gewalttätig
verteidigt hätten, könne an dem "religiösen Eifer" gelegen haben, der von
Beginn an geherrscht habe: "Es fühlte sich an, als ob wir Teil eines
islamischen Eroberungs- oder Angriffsfeldzugs seien" (Quelle:
[1][www.memri.org/report/en/0/0/0/0/0/0/4337.htm]).
In einem Video, das das israelische Außenministerium veröffentlichte, lässt
sich diese Stimmung nachvollziehen: Yildirim spricht - offenbar an Bord der
"Mavi Marmara" - zu Reisenden, die am Boden knien: "Wir folgen den
Fußspuren der Märtyrer." Man wolle vor Allah nicht dastehen wie Feiglinge.
Für den Fall, dass die Israelis Militär schicken sollten, droht er: "Wenn
ihr die Kommandos schickt, werden wir euch von Bord schmeißen." Dutzende
Zuhörer rufen ihm zu: "Millionen von Märtyrern marschieren nach Gaza!"
Die Motive der deutschen Organisatoren der Flotte hätte die taz gern
geklärt. Die Vertreterin von pax christi ließ jedoch einen Interviewtermin
platzen. Begründung: Sie habe in dieser Sache zu schlechte Erfahrungen mit
der Presse gesammelt. Auch zwei Vertreter der Palästinensischen Gemeinde
Deutschland und der Deutsch-Palästinensischen Medizinischen Gesellschaft
sagten kurzfristig Interviews wegen Terminschwierigkeiten ab, Ersatz
konnten sie nicht finden. In einer am Samstag verfassten Erklärung von pax
christi heißt es: "Nach wie vor ist die Frage ungeklärt, wie es zur
Gewalteskalation auf dem Schiff kommen konnte, in deren Folge neun Menschen
starben. Die Aktion ,Free Gaza' arbeitet gewaltfrei. Die Zielsetzung der
Entsendung der Schiffsflotte erlaubte keine andere Vorgehensweise." Zu
fragen, so pax christi, sei zudem: "Gab es tatsächlich Beteiligungen
rechtsnationalistischer, gewalttätiger Gruppen? […] Welche Handlungen
gingen von einzelnen Passagieren gegenüber den israelischen Soldaten aus?"
Leisteten die Friedensaktivisten nur passiven Widerstand?
Die amerikanische Organisation Cultures of resistance, die Aktivisten auf
der "Mavi Marmara" hatte, hat ein an den israelischen Behörden
vorbeigeschmuggeltes Video ins Netz gestellt
([2][www.culturesofresistance.org/gaza-freedom-flotilla]). Darin sieht man,
wie eine kleinere Gruppe der türkischen Teilnehmer die Reling mit
Eisensägen zersägt, um daraus Rohre zu machen - und zwar noch bevor das
israelische Militär in Sichtweite war. Man kann auf dem etwa einstündigen
Video zudem beobachten, wie eine kleinere Gruppe mit Eisenstangen und
Holzstöcken vor einer Luke darauf wartet, dass die Soldaten auf ihr Deck
hinabsteigen.
Von demselben Ort aus sieht man später, wie mindestens zwei dieser Leute
mit Zwillen auf die sich abseilenden israelischen Soldaten aus dem
Helikopter schießen. Diese Szenen spielen sich nicht auf dem Deck ab, wo
die Israelis landen, sondern auf einem darunter. "Wir waren zu friedlichen
Zwecken auf dem Schiff. Niemand hatte ein Waffe", behauptete dagegen die
Linke-Bundestagsabgeordnete Inge Höger bei ihrer Rückkehr nach Berlin. Sie
war wie ihr früherer Fraktionskollege Norman Paech auf der "Mavi Marmara".
Paech sagte, er persönlich habe "zweieinhalb Holzstöcke" gesehen, mit denen
sich Aktivisten zur Wehr gesetzt hätten. Höger hat auf ihrer Homepage neben
eigenen Stellungnahmen nur den IHH-Bericht zum Geschehen auf der "Mavi
Marmara" platziert, und das sehr prominent.
Die Direktorin von Cultures of resistance, Iara Lee, die mit an Bord war,
sagte in einem Interview, dass die Aktivisten die Soldaten hätten töten
sollen. Denn diese seien mit Tötungsabsicht gekommen. Auf dem Deck, wo die
Soldaten gelandet sind, war Iara Lee nicht.
Dass mindestens zwei der israelischen Soldaten verwundet unter Deck
gebracht wurden, ist mit Fotos eines kanadischen Aktivisten belegt, die die
Nachrichtenagentur Reuters verschickte. Doch beide Fotos waren beschnitten.
Auf einem ist ein verwundeter israelischer Soldat zu sehen, am Rand steht
ein Mann mit einem Messer in der Hand. In diesem Fall wurde das Bild so
beschnitten, dass das Messer nicht mehr zu sehen war. Im zweiten Bild sieht
man einen weiteren Soldaten, der offenbar mit einem Palästinensertuch
gefesselt ist. Auch hier ist am Rand eine Hand mit einem Messer und eine
Blutlache zu erkennen. Auch dieses Bild wurde so beschnitten, dass beides
nicht mehr zu sehen ist. Als die Sache öffentlich wurde, entschuldigte sich
Reuters damit, dass es üblich sei, Bilder zu beschneiden - und schickte
kurz darauf die unbeschnittenen Fotos um die Welt.
Der libanesische Kameramann Andre Abu Khalil, der für al-Dschasira von der
"Mavi Marmara" berichtet hatte, sagte, dass vier Soldaten von bewaffneten
Aktivisten als Geiseln genommen worden seien. Die vier hätten bei der
Prügelei mit den Aktivisten Knochenbrüche davongetragen und seien auf das
unterste Deck gebracht worden. Es habe Verhandlungen zwischen dem
israelischen Kommando und den Aktivisten gegeben. Die Israelis versprachen
demnach, sich um die verwundeten Aktivisten zu kümmern, im Gegenzug kamen
die Geiseln frei.
Wie die Gewalt an Bord der "Mavi Marmara" begann, darüber liegen nur sich
völlig widersprechende Berichte vor. Während israelische Medien mit Bezug
auf die beteiligten Soldaten und einen "embedded" Journalisten betonen, die
Soldaten hätten erst scharfe Munition eingesetzt, als sie selbst und ihre
Kameraden in Lebensgefahr waren, berichten viele Aktivisten das Gegenteil.
Demnach hätten die israelischen Kampfschwimmer zuerst das Schießen
begonnen, erst dann hätten sich die Aktivisten gewehrt.
Nach einem gerichtsmedizinischen Gutachten, das Anwälte der Angehörigen am
Dienstag der Nachrichtenagentur AFP vorgelegt haben, wurden sieben der neun
getöteten Aktivisten von mehreren Schüssen getroffen, unter anderem durch
einen Kopfschuss aus kurzer Distanz. Bei der Autopsie des 61-jährigen
Ibrahim Bilgen fanden die Ermittler Schrot im Gehirn, das offensichtlich
von einem Jagdgewehr stammt. Das jüngste Opfer, der 19-jährige Schüler
Furkan Dogan, der neben der türkischen auch die US-Staatsbürgerschaft
besaß, wurde von fünf Kugeln getroffen, unter anderem auch aus nächster
Nähe im Gesicht.
Mitarbeit: Susanne Knaul
1 Jul 2010
## LINKS
[1] http://www.memri.org/report/en/0/0/0/0/0/0/4337.htm
[2] http://www.culturesofresistance.org/gaza-freedom-flotilla
## AUTOREN
Doris Akrap
Philipp Gessler
## TAGS
Terror
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