# taz.de -- Diplomatie in Nahost: Eiszeit zwischen der Türkei und Israel | |
> Der israelische Untersuchungsbericht über den im Mai 2010 gestoppten | |
> Gaza-Hilfskonvoi belastet die angespannten Beziehungen der beiden | |
> Staaten. | |
Bild: Pro-Palästina-Demo im Hafen von Istanbul: Fotos der neun bei einem Gaza-… | |
ISTANBUL taz | Zwischen der Türkei und Israel geht gar nichts mehr. Die | |
beiden ehemaligen Verbündeten stehen sich zunehmend feindlich gegenüber. | |
Zwei Ereignisse in dieser Woche drohen der Beziehung nun endgültig den Rest | |
zu geben. | |
Da ist zum einen der Anfang dieser Woche vorgestellte israelische | |
Untersuchungsbericht über den im Mai 2010 von Israel gestoppten | |
Gaza-Hilfskonvoi aus der Türkei, bei dem neun türkische Zivilisten getötet | |
wurden. Die Türkei weist diesen Bericht, der die israelische Armee von | |
jedem schuldhaften Verhalten freispricht, als parteiische Stellungnahme | |
ohne Relevanz zurück. "Man kann nicht gleichzeitig Täter, Staatsanwalt und | |
Richter sein", sagte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan. | |
Und da ist der an diesem Freitag in der Türkei und 80 weiteren Ländern | |
anlaufende Actionfilm "Tal der Wölfe – Palästina", der den Vorfall auf dem | |
Schiff "Mavi Marmara" dramatisch in Szene setzt und in Deutschland vom | |
Kinostart suspendiert wurde. | |
Der Film, sagen türkische Diplomaten, sei "sicher nicht hilfreich", aber | |
letztlich doch nur ein kommerzielles Machwerk, von dem die Produzenten sich | |
hohe Einnahmen versprechen. Man müsse ihn sich ja nicht anschauen, aber das | |
sei nun einmal Teil der Meinungsfreiheit. | |
Etwas ganz anderes sei dagegen der von einer offiziellen israelischen | |
Untersuchungskommission jetzt vorgelegte Bericht über die Aktion der | |
israelischen Armee gegen die Gaza-Hilfsflottille am 31. Mai vergangenen | |
Jahres. Dieser Bericht, monieren Vertreter des türkischen | |
Außenministeriums, sei ein Skandal, weil er nicht einmal den Anschein einer | |
neutralen Untersuchung erwecke, sondern einzig zu dem Zweck erstellt worden | |
sei, die israelische Armee von jeder Schuld "reinzuwaschen". | |
Der Report beruht ausschließlich auf Aussagen israelischer Soldaten und | |
weiterer nicht nachzuvollziehender anonymer Quellen. "Es gibt nicht die | |
leiseste Selbstkritik an der Tötung von neun türkischen Zivilisten. Das ist | |
natürlich nicht hinnehmbar." | |
Seit dem Vorfall erwartet die Türkei von Israel eine Entschuldigung und | |
eine Entschädigung für die Familien der Getöteten. Der UN-Sicherheitsrat | |
hat eine Untersuchungskommission eingesetzt. Diese soll sich nun auf der | |
Grundlage des israelischen Berichts, einem türkischen Bericht vom | |
vergangenen Herbst und einem Bericht des UN-Menschenrechtsrats, den drei | |
hochrangige Juristen aus Großbritannien, Trinidad und Malaysia erstellt | |
haben, eine Meinung bilden. Anschließend soll die Kommission eine | |
Empfehlung für den Sicherheitsrat aussprechen. | |
Die UN-Kommission wird geleitet vom ehemaligen Premier Neuseelands, | |
Geoffrey Palmer, sein Stellvertreter ist der frühere Präsident Kolumbiens, | |
Álvaro Uribe. Außerdem sind noch jeweils ein türkischer und ein | |
israelischer Diplomat vertreten. | |
Es ist jedoch absehbar, dass die Kommission nach diesen Vorlagen nicht zu | |
einer gemeinsamen Einschätzung kommen wird. Zudem ist die Chance, durch | |
eine neutrale Untersuchung des Zwischenfalls die Beziehungen zwischen | |
Israel und der Türkei wieder zu verbessern, bereits schon jetzt vertan. | |
Auch parallele direkte Kontakte zwischen türkischen und israelischen | |
Regierungsvertretern brachten keine Annäherung. Nach türkischen Angaben | |
hätte Israel zwar zunächst Kompromissbereitschaft gezeigt, sich dann aber | |
von den Gesprächen komplett zurückgezogen. Als ob das alles noch nicht | |
reicht, droht auch noch neues Ungemach. Die islamische Hilfsorganisation | |
IHH, die den letzten Schiffskonvoi organisiert hatte, will im Mai erneut | |
versuchen, die Gaza-Blockade zu durchbrechen. | |
28 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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