# taz.de -- Die PKK im Nordirak: "Keine Armee kann uns besiegen" | |
> Der Konflikt zwischen der Türkei und den kurdischen Rebellen im | |
> Kadil-Gebirge ist eskaliert. Erstmals werden wieder Stellungen der PKK | |
> bombardiert. Hunderte Familien müssen fliehen. | |
Bild: Auf Truppenbesuch an der Grenze zum Nordirak: der türkische Premierminis… | |
AUS DEN KANDIL-BERGEN taz | Die Familie von Shamal Mina hatte sich auf | |
einen ruhigen Fernsehabend eingerichtet, als plötzlich Kampfjets über ihr | |
einsames Gehöft in den Kandil-Bergen donnerten. Der Vater von Shamal wollte | |
noch unbedingt den Generator abstellen. Aber Shamal drängte zur Eile. | |
"Nichts wie weg hier", habe er gesagt. Mit seiner Frau, dem 14 Monate alten | |
Sohn und den Eltern rannte Shamal zum Auto und fuhr, so schnell es ging, | |
davon. Keinen Augenblick zu früh. Minuten später bombardierte die türkische | |
Luftwaffe das Gehöft. | |
Nach eigenen Angaben hat das türkische Militär Anfang Juli mehrere | |
mutmaßliche Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Hakurk- und | |
Kandil-Gebiet im Nordirak bombardiert. Die Luftangriffe in den | |
Kandil-Bergen sind die jüngste Eskalation in dem schier endlosen Konflikt | |
mit den Rebellen aus dem Nachbarland. | |
Zwei Tage später steht die Familie Mina vor den Trümmern ihrer Existenz. | |
Mitten durch das Gehöft zieht sich ein breiter Krater. Überall liegen | |
Steinbrocken, verbogene Eisenteile, zersplitterte Holzbalken und | |
Glasscherben, der teure Generator ist komplett ausgebrannt. In der Luft | |
hängt der Geruch von verwesenden Tierkadavern. | |
Kampf bis zu Ende | |
Die Zerstörung ist Wasser auf die Mühlen der PKK. "Die Angriffe auf | |
Zivilisten beweisen, dass die Türkei alle Kurden vernichten will", sagt | |
Sozdar Avesta. "Wir werden dagegen bis zum bitteren Ende kämpfen." In einem | |
Versteck in den Kandil-Bergen schließt die Stellvertreterin von | |
Rebellenchef Murat Karayilan eine Neuauflage des einseitigen, vor vor vier | |
Wochen aufgekündigten Waffenstillstands der Rebellen aus. Nur wenn die | |
Türkei ihre Militäroperationen einstelle und die Regierung ihre Vorschläge | |
für eine Lösung des Konflikts auf den Tisch lege, sei die PKK zu einer | |
neuerlichen Feuerpause bereit, sagt Avesta. | |
Vor einem Jahr noch hatte die PKK die Niederlegung der Waffen in Aussicht | |
gestellt. Für die Lösung des Kurdenkonflikts brauche es keine Waffen, | |
sondern politische und rechtliche Maßnahmen, sagte Karayilan damals im | |
Gespräch. Gleichzeitig schien in der Türkei eine neue Ära anzubrechen. Die | |
Regierung in Ankara lockerte das kurdische Sprachverbot, doch die | |
"kurdische Initiative" von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verlief | |
im Sand. Hunderte, teils gewählte kurdische Politiker wanderten ins | |
Gefängnis. "Die Türkei betreibt einen politischen Genozid an uns Kurden", | |
sagt Avesta. "Das können wir nicht länger hinnehmen." | |
Seit Beginn des Guerillakriegs vor bald 26 Jahren unterhält die PKK Basen | |
im Nordirak. Vor elf Jahren, nachdem PKK-Chef Abdullah Öcalan aus Syrien | |
ausgewiesen und festgenommen worden war, verlegte sie ihr Hauptquartier in | |
den Kandil. Massiv erhebt sich die Bergkette von irakischer Seite bis in | |
den Iran und und ins Dreiländereck mit der Türkei. Hoch oben auf den | |
Gipfeln liegt selbst jetzt im Hochsommer noch Schnee. In den Tälern haben | |
Bauern Obst- und Nussbaumgärten angelegt. An den steilen Abhängen in den | |
niedrigeren Regionen sprießen grüne Traubenbüsche. Je höher man kommt, | |
desto karger wird es, und irgendwann endet auch die letzte Schotterpiste. | |
Ob irakische, iranische oder jetzt eben türkische Kurdenrebellen, sie alle | |
haben im letzten halben Jahrhundert im und um den Kandil gekämpft. Ein | |
idealeres Rückzugsgebiet gibt es für eine Guerilla kaum. | |
Vor drei Jahren hat auch die iranisch-kurdische PJAK (Partei für ein Freies | |
Leben in Kurdistan) ihre Basen in dem unwegsamen Berggebiet aufgeschlagen. | |
Viele der PJAK-Rebellen haben bis zur Parteigründung vor drei Jahren | |
aufseiten der PKK gekämpft. Eine direkte Verbindung zwischen beiden | |
Gruppierungen bestreitet die PKK-Kommandantin Avesta. Gleichzeitig | |
behauptet sie aber, die PJAK habe auf Drängen der PKK ihre Angriffe in Iran | |
eingestellt. | |
Wie die PKK verübte die PJAK im Frühjahr eine Reihe von Überfällen im | |
Nachbarland. Kaum kündigte die PKK aber ihren Waffenstillstand auf, nahm | |
Iran die Grenzregion unter Artilleriefeuer. Getötet oder verletzt wurde | |
niemand, aber Dorfbewohner klagen, dass mehrere Häuser zerstört wurden und | |
sie ihre Ernte verloren. Mehrere hundert Familien flohen vor dem ständigen | |
Beschuss. Unter brütender Hitze hausen sie jetzt in einem Zeltcamp in der | |
Nähe der Kreisstadt Rania. Es sind nicht die ersten Angriffe des Iran. Aber | |
noch nie sei es so schlimm gewesen wie in diesem Jahr, sagt die alte Khajij | |
Rasul. Wie viele der Flüchtlinge ist sie wütend auf die kurdische | |
Regionalregierung in Erbil. "Immer treffen die Angriffe uns", sagt die alte | |
Frau. "Aber unsere Regierung tut nichts." | |
Nach Angaben von Kamal Kirkuki, Parlamentspräsident von Kurdistan, sind | |
iranische Truppen im Dreiländereck bei Hajji Omran zwei Kilometer tief auf | |
irakisches Territorium eingedrungen und halten einen drei Kilometer breiten | |
Streifen besetzt. "Wir haben dagegen protestiert", sagt Kirkuki im | |
Gespräch. "Aber weder die Amerikaner noch die Europäer haben darauf | |
reagiert." | |
Für Iraks Kurden kommen die Angriffe zu einem kritischen Zeitpunkt. Die | |
Regierungsbildung in Bagdad kommt nicht von der Stelle, und in wenigen | |
Wochen ziehen die Amerikaner ihre letzten Kampfeinheiten ab. Ranghohe | |
kurdische Politiker fürchten, dass sowohl die Türkei als auch Iran das | |
Vakuum nutzen wollen, um den kurdischen Teilstaat zu schwächen. "Das ist | |
ein abgekartetes Spiel", sagt ein Vertrauter von Regionalpräsident Masud | |
Barzani. "Erst greifen uns die Iraner an und jetzt die Türken. Sie wollen | |
uns mit allen Mitteln in ihren Krieg hineinziehen." | |
Mit beiden Ländern unterhält der kurdische Teilstaat enge | |
Wirtschaftsbeziehungen. Während Erdogans "kurdische Initiative" in der | |
Türkei nicht vom Fleck kam, hat sich Ankara in den letzten Monaten in | |
großen Schritten auf Iraks Kurden zubewegt. Im Herbst besuchte | |
Außenminister Ahmet Davutoglu erstmals Erbil, Anfang Juni folgte eine | |
mehrtägige Visite von Barzani in der Türkei. Das Wirtschafts- und | |
Handelsvolumen zwischen beiden Seiten hat laut Kirkuki im letzten Jahr fast | |
7 Milliarden Dollar erreicht. Vor wenigen Tagen weilte eine große türkische | |
Handelsdelegation in Erbil. Kirkuki setzt darauf, dass der Ausbau der | |
Wirtschaftsbeziehungen die politischen Konflikte entschärft. Die Türkei | |
habe heute eine weise Führung, die erkannt habe, dass der Konflikt mit den | |
Kurden nur friedlich und demokratisch gelöst werden könne, sagt Kirkuki. | |
"Wir werden alles tun, um sie dabei zu unterstützen." | |
Lob für Barzani | |
Die beiden Regierungsparteien haben in den letzten Jahren den | |
Bewegungsradius der Rebellen stark eingeschränkt und das Kandil-Gebiet für | |
Journalisten gesperrt. Unter amerikanischer Vermittlung trifft sich | |
regelmäßig ein gemeinsamer Sicherheitsausschuss. Eine Beteiligung am Kampf | |
gegen die PKK oder die PJAK schließt Kirkuki jedoch aus. "Wir werden uns | |
nicht an einem bewaffneten Konflikt beteiligen", sagt Kirkuki. Von der PKK, | |
aber auch der PJAK fordert er mehr Geduld. "Die Beendigung des | |
Waffenstillstands war ein großer Fehler", sagt Kirkuki. "Am Ende müssen sie | |
sich an den Tisch setzen und verhandeln." | |
In ihrem Versteck in den Kandil-Bergen hat Avesta überraschend viel Lob für | |
Barzani bereit. Barzani mache eine gute Politik, sagt Avesta. "Er tritt für | |
eine friedliche Lösung ein. Das begrüßen wir." Dabei macht sie deutlich, | |
dass sich auch die PKK-Rebellen nicht in ein innerkurdisches Blutvergießen | |
ziehen lassen wollen. "Wir werden keine andere kurdische Partei angreifen", | |
sagt Avesta. Ihre Basen im Kandil räumen oder die Angriffe in der Türkei | |
einstellen werde die PKK indes nicht. Dabei stellen sich die Rebellen auf | |
einen Zweifrontenkrieg mit der Türkei und Iran ein. "Der Krieg wird | |
eskalieren", sagt Avesta. "Aber keine Armee der Welt kann uns besiegen. | |
Solange es Kurden gibt, so lange gibt es auch uns." | |
Wie viele PKK-Kämpfer sich in den Kandil-Bergen aufhalten, ist unklar. Aber | |
kaum ein Weg führt an ihnen vorbei. Oft tauchen sie wie aus dem Nichts auf | |
und verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Die Zufahrtswege | |
kontrollieren sie freilich mit Checkpoints, an denen die Parteifahnen wehen | |
und meist ein großes Bild von Öcalan in irakisch-kurdischer Stammestracht | |
prangt. | |
Auf die PJAK oder PKK lässt unter den Bergbauern kaum einer etwas kommen. | |
"Sie sind Kurden wie wir", sagt Kadir Mina in den Ruinen seines Gehöfts. | |
"Ich habe mir diesen Hof in 16 Jahren harter Arbeit aufgebaut", sagt Mina. | |
Vor vier Jahren ist sein Sohn Shamal aus England zurück und investierte das | |
im Exil verdiente Geld in den Hof. "Wir glaubten an die Zukunft", sagt der | |
Vater. "Aber die Perser, Araber und Türken wollen uns vernichten. Dagegen | |
kämpft die PKK, das ist gerecht." | |
15 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
## TAGS | |
Kirkuk | |
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