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# taz.de -- Debütalbum von Janelle Monáe: Da weiten sich einem die Ohren
> Die 24-jährige Janelle Monáe ist die Sensation des Jahres. Auf ihrem
> Debütalbum "The ArchAndroid" macht sie furchtlose Tanzmusik jenseits von
> R-&-B- und HipHop-Klischees.
Bild: Fühlt sich als das integrative Herz, das vereint und zusammenbringt: Jan…
Nein, bescheiden ist sie nicht. Die zierliche Frau mit der monströsen
Afrotolle weiß sehr genau, was sie kann, und das lässt sie einen im
Gespräch auch spüren. Mit gerade einmal 24 Jahren hat Janelle Monáe ein
Debütalbum hingelegt, das man ohne Vermessenheit mit den großen
Konzeptwerken von Stevie Wonder oder Prince vergleichen kann und das schon
jetzt als Pop-Höhepunkt des Jahres gefeiert wird. Die Konkurrenz wird es
schwer haben, etwas daran zu ändern.
Als Szenario dient ihr die ambitionierte Geschichte um einen Androiden aus
dem Jahr 2719 namens Cindy Mayweather, der dort mit organischen Komponenten
aus Janelle Monáes geklauter DNA unterwegs ist, um die Bewohner der Stadt
Metropolis zu befreien und ihnen Liebe zu bringen. Ausgerechnet Fritz Langs
Science-Fiction-Klassiker muss für Janelle Monáes eigene Version des
Afrofuturismus herhalten, in der sie als Androide posiert, mit dem
Unterschied, dass sie die Menschen retten soll, statt sie ins Verderben zu
stürzen. Und natürlich kommt auch Janelle Monáe irgendwie selbst aus jener
fernen Zeit, um von den Erlebnissen ihres Alter Ego zu singen und zu
erzählen.
Utopien im All
Zukunfts- und Weltraumszenarien gehören seit Sun Ras Cosmic Jazz zum
Inventar der afroamerikanischen Musik: seien es Afrika Bambaataas
robotereskes Kraftwerk-Tribut "Planet Rock", die subaquatischen
Sklavenmutanten des Detroiter Electroduos Drexciya oder George Clintons
Weltraumausflüge mit seinem Funkkollektiv Parliament-Funkadelic - irgendwie
war der "andere" Raum der Science Fiction immer schon utopischer Ort des
schwarzen, entfremdeten Amerikas. Musikerinnen wie Missy Elliot oder Kelis
bedienen sich ebenfalls der Androiden-Ikonografie, spielten in diesem
Kosmos aber bisher eher Nebenrollen. Janelle Monáe steht mit ihrem
retrofuturistischen Großentwurf da ziemlich für sich.
All das sollte nicht davon ablenken, dass es ihre Musik ist, die "The
ArchAndroid" zur wahren Überraschung macht. Auf knapp 70 Minuten bekommt
man zwei überwältigende [1]["Suiten"] serviert, in denen von Entfremdung
oder Kälte einerseits und viel Liebe andererseits erzählt wird. Von R & B
kann man in diesem Zusammenhang nur noch als Klammer sprechen, viel zu weit
ist der Bogen gespannt, in dem nicht nur HipHop und Soul, sondern auch
Folk, Indierock und Klassik mühelos Platz finden, kunstvoll zu einem
flirrenden Ganzen verarbeitet, dass sich einem die Ohren weiten. Wo andere
kombinationswillige Künstler schon mal Dinge nebeneinander stellen, die man
besser für sich gelassen hätte, verknüpft Janelle Monáe einfach so ziemlich
alles an Musik, was ihr gefällt, ohne in prätentiöse Posen zu verfallen.
Was hier zusammenwächst, blüht umso schöner auf.
Dabei ging es Janelle Monáe gar nicht explizit darum, ihre Einflüsse auf
ihrem Debütalbum zu verarbeiten. "Ich bin von vielen verschiedenen Genres
beeinflusst, ich mag einfach großartige Musik. Ich erkenne sie, wenn sie
großartig ist, und schrecke nicht vor ihr zurück." In erster Linie sei sie
ehrlich, alles weitere komme dann von selbst zusammen. Auch dass sie als
Inspiration für die einzelnen Stücke so unterschiedliche Personen und Dinge
wie Salvador Dalí, Muhammad Alis Fäuste, Sergej Rachmaninow, James Brown
oder den Golem nennt, passt da durchaus ins Programm. Und wenn sie in einem
Song wie [2]["Locked Inside"] ein paar Takte aus Stevie Wonders Song
[3]["Golden Lady"] entlehnt, ist das ein sehr schönes Zitat, genau an der
richtigen Stelle.
Zu ihren Unterstützern zählt ausgerechnet der Künstlerimpressario Sean
Combs, besser bekannt als P. Diddy oder Puff Daddy. Für Janelle Monáes
Label Wondaland Arts Society hat Combs die Promotion übernommen, doch sie
beeilt sich zu erklären, er leite nur die "Projektkampagne" und habe mit
"dem kreativen Input nichts zu tun". Was man ihr gern glauben will, mehr
als abgehalfterten SUV-HipHop hätte man dem Herrn kaum mehr zugetraut, ein
Album wie dieses schon gar nicht. Deutlich passender erscheint die enge
Kooperation mit Big Boi von Outkast, den sie in ihrer Wahlheimat Atlanta
kennen lernte und für den sie schon auf dem Soundtrack zu "Idlewild" sang.
Beide verbindet ein Interesse an musikalischen Abenteuern, bei Janelle
Monáe ist der Entdeckergeist noch stärker ausgeprägt.
Das Zauberwort für ihr Album ist Integration. Ihre Musik soll Leute
glücklich machen oder zum Tanzen bringen, und das über alle Grenzen hinweg.
"Ich glaube, dass all diese Gefühle durch Musik entstehen können und dass
Musik die Menschen einander näherbringt. Sie kann Nationalitäten,
Geschlechter, einfach jeden zusammenführen - durch ein Konzert oder einen
Song." Janelle Monáe glaubt an die integrative Kraft der Musik, an ihre
Fähigkeit, Gefühle zu wecken, gute wie schlechte, und solche, zu denen wir
schon lange keinen Kontakt mehr hatten. Genau diese verschütteten Gefühle
will sie mit ihrem Album, das sie als "Emotion Picture" charakterisiert,
bei den Hörern wieder freilegen. Sie selbst habe diese Gefühle bei der
Arbeit an der Platte erlebt. "Ich bin durch einen transformativen Prozess
gegangen und wurde beim Aufnehmen furchtloser, so dass man die
unterschiedlichen Eigenschaften meiner Stimme hören kann."
Mit ihrer Stimme, die in Normalstellung hell und klagend zugleich klingt,
kann sie einen im Konzert zu Tränen rühren, so beinahe geschehen bei ihrem
kurzen Auftritt während der Modemesse "Bread & Butter" in Berlin, wo sie
trotz brüllender Hitze im Freien eine souveräne Figur abgab. Von einem
Augenblick zum nächsten wechselt sie dann von folkartiger Schlichtheit zu
ganz großer Torch-Song-Dramatik, selbst Indie-Gekeife beherrscht sie
spielerisch.
Braucht es da überhaupt den futuristischen Überbau? Tut der mehr, als die
Musik in eine Traditionslinie zu stellen? Allerdings, denn "Metropolis" ist
als Zitat sehr bewusst gewählt. Als Janelle Monáe den Film zum ersten Mal
sah, hatte sie ein Schlüsselerlebnis: "Ich habe die Neufassung mit dem
wiedergefundenen Material gesehen und las da den Satz, in dem es heißt:
,Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.' Und ich dachte: Das
bin ich, das bin ich, das bin ich, ich bin das Herz! Ich will diejenige
sein, die vereint, die uns zusammenbringt."
Eine Uniform für die Arbeit
Für diese Mission ist sie auf der Bühne stets in dasselbe Outfit mit weißer
Bluse und schwarzer Hose gekleidet, gelegentlich ergänzt um Smoking-Sakko
und große schwarze Krawatte. Die "Uniform" ist mit Absicht gewählt, denn
auch hier hat Janelle Monáe eine Botschaft, und zwar an die arbeitende
Bevölkerung: "Um ihnen Ehrerbietung zu erweisen. Sie tragen täglich
Arbeitsuniformen und halten die Welt am Laufen, also mache ich dasselbe."
Sie weiß, wovon sie spricht, ihre Mutter in Kansas war Pförtnerin, der
Vater arbeitete bei der Müllabfuhr.
Doch auch die militärischen Uniformträger werden mit dieser Geste bedacht,
und hier bekommt das Bild von Janelle Monáe als großer Mittlerin einen
Riss: "Da sind Leute in Übersee, die dafür kämpfen, dass wir sicherbleiben,
weißt du. Es ist, damit sie etwas Ermutigung bekommen und wissen, dass ich
sie sehe und verstehe." Die Sicherheit, die von US-amerikanischen (und
deutschen) Soldaten in "Übersee" verteidigt wird, "unsere"
Wohlstandssicherheit mithin, ist freilich ein heikles Gut, beruht sie doch
gerade auch auf der Unterdrückung und Ausbeutung jener Länder, in denen
"unsere" Leute kämpfen. Spätestens hier stößt ihr Integrationswille an
nationale Grenzen. Das mit dem Vereinen muss man ihr wohl noch einmal
erklären.
22 Jul 2010
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=xsDViDcxVzg
[2] http://www.youtube.com/watch?v=rbF5s9G-6_s&feature=related
[3] http://www.youtube.com/watch?v=NA6OCGLCUec
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Feminismus
HipHop
Musik
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