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# taz.de -- Übergriffe im Ostkongo: "Sonst töten wir euch"
> Warum blieb die UN-Mission angesichts der jüngsten Massenvergewaltigung
> durch die Hutu-Miliz FDLR untätig? Wegen laufender Verhandlungen. Die
> Miliz nutzt das.
Bild: UN-Soldat im Kongo.
Sie kommen am späten Abend, mit Kalaschnikow, Macheten und Speeren. Sie
verlangen Nahrungsmittel, Seife, Wasser. Dann vergehen sie sich an Frauen
und Mädchen - meist vor den Augen ihrer Angehörigen. Wer sich widersetzt,
wird getötet.
Fast täglich ereignen sich im Ostkongo solche Überfälle der ruandischen
Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Aufsehen
erregen jetzt Berichte über Massenvergewaltigungen während eines
FDLR-Feldzugs entlang einer Fernstraße im Urwalddistrikt Walikale. Um
Luvungi herum sollen die Milizionäre ab dem 30. Juli vier Tage lang 13
Dörfer besetzt und bis zu 179 Frauen vergewaltigt haben. Ein in der Nähe
stationiertes UN-Blauhelmkontingent griff nicht ein.
"Bestrafungsoperation" nennen Ex-FDLR-Kämpfer das. Seit Anfang 2009 jagt
Kongos Armee, zunächst mit ruandischer Unterstützung und dann mit Hilfe der
Blauhelme der UN-Mission im Kongo (Monusco), die FDLR im Dschungel. "Unsere
Situation ist seitdem miserabel", klagt ein ehemaliger Major, der früher im
FDLR-Hauptquartier Kimua Dienst schob. Vor zwei Wochen ergab er sich mit
Frau und Kind den UN-Blauhelmen. Jetzt hockt er im Reintegrationscamp
Mutobo in seinem Heimatland Ruanda. "Wir wurden aus unseren Dörfern und von
unseren Äckern vertrieben. Wir schlafen seitdem im Busch, haben nichts zu
essen, kein Geld und keine Munition mehr." Dafür bestrafen die Kämpfer nun
die Bevölkerung.
Die FDLR-Milizen hinterlassen in den Dörfern Zettel an einen Baum gepinnt
oder an Holzbuden auf dem Markt angeschlagen. "Sagt der Armee, sie soll die
Operationen einstellen, sonst töten wir euch!", steht darauf in
verschiedenen Sprachen.
So findet sich die Bevölkerung gefangen zwischen Milizen und Armee. Denn
auch die kongolesischen Soldaten verlangen oft mit vorgehaltener Waffe
Nahrung. Sie erhalten nämlich keine Rationen, sondern die Regierung zahlt
pro Monat pro Soldat für Verpflegung 18 Dollar, wovon die Kommandeure einen
Teil einstreichen. In einem UN-Bericht heißt es: Rund die Hälfte der
Vergewaltigungen in der Region werde von kongolesischen Regierungssoldaten
begangen.
Zunächst schwächten die Militäroperationen die FDLR. Selbst ihr
Militärhauptquartier auf den Hügeln von Kimua musste die Miliz aufgeben,
nach sieben Jahren. Im Juni durchbrachen Regierungseinheiten die beiden
Verteidigungsringe um die Hügel. FDLR-Militärchef Sylvestre Mudacumura
musste fliehen. Wochenlang verkroch er sich in den Wäldern. Doch die Armee
konnte sich nicht halten, zu schwierig ist das Gelände. Sie zog ab. Seit
Ende Juli sitzt Mudacumura wieder in Kimua.
Immerhin: 1.369 FDLR-Kämpfer haben dieses Jahr bereits ihre Waffen
abgegeben und wurden nach Ruanda repatriiert. 2.500 bis 3.000 sind übrig,
schätzt Gregory Gromo Alex, Chef des UN-Entwaffnungs- und
Repatriierungsprogramms (DDRRR) in Goma - halb so viel wie vor zwei Jahren.
Doch die Zahl steige wieder: "Jeder Kommandeur sucht derzeit nach
Verstärkung."
In der DDRRR-Zentrale im Monusco-Hauptquartier am Seeufer in Goma klingelt
regelmäßig die Notruf-Hotline für FDLR-Kämpfer, die sich freiwillig ergeben
wollen. Die Anrufe gibt es meist mitten in der Nacht, erzählt ein
Kongolese, der viele davon entgegennimmt. Viele Aufgabewillige hätten Frau
und Kinder im Schlepptau.
Diskrete Vermittler
Um diese Frauen und Kinder zu retten, schaltete sich im Juni die
italienische Katholikengemeinde Sant Egidio ein, als diskreter
Friedensvermittler weltweit bekannt. Weil FDLR-Präsident Ignace
Murwanashyaka in Deutschland in Haft sitzt, sprachen die Italiener mit
FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana in Paris. Das Ziel: 15.000 bis
20.000 Frauen und Kinder der FDLR nach Ruanda bringen.
Mbarushimana war damit zunächst einverstanden. Am 4. August trafen sich
Unterhändler mit Kongos Regierung, zwei Tage später mit UN-Vertretern in
Goma, um den Transport und die Unterbringung der FDLR-Angehörigen zu
organisieren.
Genau in diesem Zeitraum war die FDLR in den Wäldern von Walikale auf dem
Vormarsch. Sie gewann ihr Hauptquartier Kimua zurück und konnte schließlich
reihenweise Dörfer besetzen und massenhaft vergewaltigen.
Offiziell verneinen UN-Offizielle jeglichen Zusammenhang zwischen den
Gesprächen und dem Stillhalten gegenüber der FDLR damals. "Die
UN-Operationen gegenüber Rebellen sind von den Verhandlungen unabhängig",
sagt DDRRR-Chef Alex.
Fakt ist aber: Kongos Regierungseinheiten waren zuvor aus dem Gebiet
abgezogen. Damit war auch jegliches UN-Eingreifen unmöglich: Die
Blauhelmsoldaten im Kongo operieren militärisch nur in Unterstützung der
Regierungsarmee. Auf eigene Faust fahren sie lediglich Patrouille, auch im
FDLR-Gebiet. Heute sagt Monusco-Sprecher Madnodje Mounoubai, die
Bevölkerung habe die UN-Patrouillen nicht über die Vergewaltigungen
informiert: "Zu dem Zeitpunkt, als wir die Dörfer patrouillierten, hatten
wir keine Informationen von der Bevölkerung oder lokalen Autoritäten
erhalten." Doch sind Patrouillenfahrten von Soldaten, die keine gemeinsame
Sprache mit den Kongolesen haben, nicht geeignet zum Sammeln von
Informationen.
Am 6. August traf SantEgidio-Unterhändler Pater Matteo in Goma
DDRRR-Offizielle und Regierungsvertreter, am Tag danach reiste er in den
Busch zu FDLR-Übergangspräsident Gaston Iyamuremye, um die Übergabe der
Zivilisten endgültig zu klären. Zur Überraschung aller verkündete
Iyamuremye: FDLR-Exekutivsekretär Mbarushimana habe aus Paris angerufen und
die Aktion abgeblasen. Zuerst müssten die Militäroperationen gegen die FDLR
eingestellt werden, habe er verlangt.
Wenn DDRRR-Chef Alex über Mbarushimana spricht, rauft er sich die letzten
Haare von seinem fast kahlen Kopf. Der langjährige UN-Mitarbeiter kennt den
Ruander aus den Tagen des Völkermords im April 1994, als aufgehetzte
Hutu-Milizen in Ruanda bis zu 800.000 Menschen, meist Tutsi, bestialisch
ermordeten. Damals arbeitete Alex in der Nahrungsmittelverteilung der UNO,
Mbarushimana war Computerexperte beim UN-Entwicklungsprogramm UNDP.
Als seine ausländischen Kollegen evakuiert wurden, ernannte sich
Mbarushimana selbst zum UNDP-Büroleiter. In Ruandas
Generalstaatsanwaltschaft liegt heute eine dicke Akte über ihn: Er soll
Listen seiner Kollegen erstellt haben, die er mit der Kategorie "Tutsi" und
"Hutu" versah. Bewaffnet und in Uniform habe er Morde an Tutsi dirigiert.
Alex erinnert sich, wie Mbarushimana einmal in sein Büro in Kigali
stolperte und verkündete: "Wir werden sie alle auslöschen!" Mehrfach
schickte Alex Berichte nach New York - etwa über UNDP-Personaldirektor
Florence Ngirumpatse, der zwölf Tutsi-Kinder in seinem Haus versteckte.
"Als wir dort mit den Blauhelmen eintrafen, um sie zu retten, waren sie
bereits tot", erzählt Alex. Er glaubt, Mbarushimana habe die Funkberichte
nach New York abgefangen.
Befehle aus Paris
Sechzehn Jahre nach dem Genozid stehen sich die beiden ehemaligen Kollegen
nun erneut gegenüber. Alex mit seinen Bemühungen, die FDLR zu entwaffnen -
und Mbarushimana in seiner derzeitigen Funktion, die FDLR zu führen. Nach
dem Genozid arbeitete er weiter für die UNO: in Angola, im Kosovo, wo er
2001 verhaftet wurde. Ein UN-Ermittler befragte Zeugen in Ruanda, 24
bekundeten, er habe die Ermordung von 32 Menschen befohlen oder selbst
ausgeführt. Doch das UN-Ruanda-Tribunal befand, Mbarushimana gehöre nicht
zu den "großen Fischen" und stellte 2002 das Verfahren ein. Mbarushimana
verklagte daraufhin die UN erfolgreich auf Zahlung seines noch ausstehenden
Gehalts.
Heute lebt er als anerkannter Flüchtling in Paris. Der
FDLR-Exekutivsekretär unterzeichnet Pressemitteilungen, laut FDLR-Statut
ist er für Kommunikation und Administration zuständig. Faktisch hat er seit
der Verhaftung des Präsidenten Murwanashyaka das Oberkommando.
Zweimal täglich kommuniziert FDLR-Militärchef Mudacumura aus dem Kongo mit
Paris. Dazu steigt er von seiner Hütte in Kimua den Hügel hinauf. Seine
Leibwächter schleppen Dieselgenerator, Inverter und Computerausrüstung den
steilen Hang hinauf. "Dort oben gibt es guten Handyempfang, mit dem wir
auch online gehen können", berichtet einer, der täglich den Generator
schulterte. "Per Skype und E-Mail tauschen Mudacumura und Mbarushimana
zwischen Kongo und Paris die neuesten Entwicklungen und Strategien aus."
Auf ähnliche Weise kommuniziere Mbarushimana auch mit Interimspräsident
Iyamuremye, auf einem nicht weit entfernten Hügel. "Iyamuremye wird von
Paris aus manipuliert", schimpft ein Unterhändler der gescheiterten
Gespräche.
Dazu kommt: Iyamuremye hat nur übergangsweise die Führung in der FDLR, er
ist nicht offiziell Präsident. Denn die FDLR-Führung ist davon überzeugt,
dass Murwanashyaka und Musoni bald aus deutscher Haft entlassen werden.
"Wann kommt unser Chef endlich frei?", fragen Ex-FDLR-Kämpfer im
Demobilisierungscamp in Ruanda. Sie lachen kopfschüttelnd über den Hinweis,
Murwanashyaka drohe ein Kriegsverbrecherprozess in Deutschland. "Er hat
doch viele Freunde in Europa", sagen sie.
29 Aug 2010
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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