# taz.de -- Ruanda-Milizionäre vor deutschem Gericht: Ein historischer Prozess | |
> Mit dem Verfahren gegen zwei ruandische Milizenführer betritt Deutschland | |
> neues Terrain. Erstmals ahnden hiesige Strafbehörden anderswo verübte | |
> Kriegsverbrechen. | |
Bild: Ein Mitglied der von der ruandischen und der kongolesischen Armee bekämp… | |
Am Mittwoch, dem 4. Mai, wird vor dem Oberlandesgericht Stuttgart | |
Rechtsgeschichte geschrieben. Wenn der Kriegsverbrecherprozess gegen die | |
beiden Ruander Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni beginnt, kommt nicht | |
nur erstmals vor einem deutschen Gericht der endlose Terror gegen die | |
Zivilbevölkerung in der Demokratischen Republik Kongo zur Sprache. | |
Erstmals wird auch das deutsche Völkerstrafgesetzbuch angewendet, das 2002 | |
das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag in | |
deutsches Recht überführte und Völkermord, Verbrechen gegen die | |
Menschlichkeit und Kriegsverbrechen weltweit der deutschen Strafverfolgung | |
öffnet. | |
Diese doppelte Premiere macht das Verfahren in Stuttgart einmalig und | |
unvorhersehbar zugleich. Grundlage für die Verfolgung der beiden Führer der | |
ruandischen Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) ist die | |
sogenannte Vorgesetztenverantwortlichkeit, also die Haftung eines | |
Vorgesetzten für kriminelle Handlungen seiner Untergebenen. Ursprünglich | |
zum Umgang mit Staatschefs entwickelt, findet das jetzt auch auf die Führer | |
nichtstaatlicher Kriegsparteien Anwendung, sofern eine Kommandogewalt | |
faktisch besteht. | |
## Im Vordergrund steht die Befehlskette | |
Deswegen geht es vor dem OLG Stuttgart auch nur in zweiter Linie um die | |
Rekonstruktion einzelner FDLR-Überfälle auf kongolesische Dörfer. Im | |
Vordergrund steht die Befehlskette von Deutschland in den Kongo. Wie der | |
Bundesgerichtshof in seinem Beschluss zur Haftprüfung gegen Murwanashyaka | |
vom 17. Juni 2010 ausführt: "Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR | |
eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die | |
Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der | |
höchste Führer der in der DR Kongo operierenden Streitkräfte." | |
Das aber muss jetzt einzeln nachgewiesen werden. In umfangreichen | |
Ermittlungen seit Ende 2008 hat die deutsche Generalbundesanwaltschaft in | |
Deutschland und auch in Ruanda und Kongo Spuren gesucht. Es wurden Opfer | |
und Täter von FDLR-Verbrechen befragt und auch Murwanashyakas E-Mail- und | |
Telefonverkehr angezapft. | |
Dies habe nicht nur ergeben, dass die Beschuldigten "die E-Mail-Accounts | |
nutzen, um selbst Anweisungen zu erteilen", wie der Ermittlungsrichter beim | |
Bundesgerichtshof in einer Stellungnahme im September 2009 ausführte. Es | |
werde auch deutlich, wie die FDLR auf die Vorwürfe gegen sie reagiert: "In | |
diesem Zusammenhang erklärte der Beschuldigte Dr. Murwanashyaka, dass, | |
'wenn man zum Beispiel Frauen, die von FDLR-Kämpfern vergewaltigt wurden', | |
als Zeuginnen suche, man sofort 'mehr als tausend' finde", hieß es. | |
In Bezug auf damals laufende UN-Untersuchungen "bekräftigte der | |
Beschuldigte Dr. Murwanashyaka die Idee, FDLR-Kämpfer als Bauern zu | |
verkleiden, sie gegenüber den UN-Mitarbeitern eine für die FDLR günstige | |
Aussage machen zu lassen und so die UN-Untersuchung zu manipulieren". | |
Das Gericht kann sich also auf etwas gefasst machen. Und zugleich arbeitet | |
der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag an denselben Straftaten - | |
im Verfahren gegen FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana, der nach | |
Murwanashyakas Festnahme dessen Funktion als politischer Kopf der Miliz in | |
Europa übernahm. Am 11. Oktober 2010 wurde Mbarushimana in Paris | |
festgenommen; er wartet jetzt in Den Haag auf das am 4. Juli beginnende | |
Vorverfahren. | |
## Die FDLR hat ein eigenes Gegenermittlerteam | |
Mit Den Haag ist deutlich geworden: Die FDLR bleibt nicht untätig gegen die | |
Verhaftung ihrer Führer. Bei der Hausdurchsuchung von Mbarushimanas Pariser | |
Wohnung während seiner Festnahme im Oktober sei ein Notizbuch entdeckt | |
worden, das die Namen der kongolesischen Zeugen der deutschen | |
Murwanashyaka-Ermittler enthalte, gab die Anklage in Den Haag vor zwei | |
Wochen bekannt. Die FDLR habe außerdem ein eigenes, siebenköpfiges | |
Gegenermittlerteam unter Murwanashyakas Kabinettschef David Mukiza | |
gebildet. Im Februar 2010 bat dieses Team Mbarushimana um 1.000 US-Dollar | |
für "Zeugenkauf". | |
Wie weit der Arm der FDLR reicht, wird auch im parallel laufenden Prozess | |
vor dem Oberlandesgericht Frankfurt gegen den Ruander Onesphore Rwabukombe | |
deutlich. Dieser soll als Bürgermeister während des Völkermordes an über | |
800.000 Tutsi im Jahr 1994 für den Tod mehrerer tausend Menschen | |
verantwortlich sein. | |
Rwabukombe lebte bis vor Kurzem ebenso unbehelligt als Flüchtling in | |
Deutschland wie FDLR-Chef Murwanashyaka. Inzwischen haben Zeugen ausgesagt, | |
dass die beiden in den gleichen Exilorganisationen aktiv gewesen sind. Die | |
deutschen Ermittlungen zu Rwabukombe in Ruanda galten als Testlauf für die | |
späteren Ermittlungen im Fall Murwanashyaka. Und so führt die Spur vom | |
Krieg im Kongo zurück zum Völkermord in Ruanda, dessen Täter bis heute | |
nicht die Waffen strecken. | |
1 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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