# taz.de -- Kultur-Koordination: Orgeln im Umland | |
> Das Bremer Musikfest und die heute beginnenden Niedersächsischen | |
> Musiktage überlappen sich sowohl räumlich als auch zeitlich. Die | |
> Abhängigkeit von Sponsoren beeinflusst immer stärker die | |
> Konzert-Landkarte. | |
Bild: Optisch und akustisch eine echte Umland-Perle: Die Schnitger-Orgel in Gan… | |
Durch den Verdener Dom rauscht Beethovens "Missa Solemnis". Philippe | |
Herreweghe, nicht nur wegen der genialen Fahrigkeit seiner Einsätze getrost | |
als Furtwängler der "historisch informierten Aufführungspraxis" zu | |
bezeichnen, animiert das Orchestre des Champs-Elysées und sein Collegium | |
Vocale Gent zu Höchstleistungen. Kein Zweifel: Der Veranstalter, das Bremer | |
Musikfest, hat Hochkarätiges ins idyllische Aller-Städtchen gebracht. | |
Ebenso nach Emden, Aurich oder Otterndorf im Cuxhavener Land. | |
Das Bremer Musikfest wächst kontinuierlich ins niedersächsische Umland | |
hinein. Dieses Jahr findet bereits die Hälfte der 36 Konzerte im | |
erweiterten Weser/Elbe/Ems-Gebiet bis hinauf nach Wilhelmshaven statt. | |
Selbst Spiekeroog ist mittlerweile "eingemeindet". Wie viel Bremen muss | |
drin sein, damit "Musikfest Bremen" drauf stehen darf? Man habe | |
diesbezüglich noch keine Unter- oder Obergrenze definiert, sagt | |
Festival-Sprecher Carsten Preisler. Derzeit wird rund ein Drittel der | |
niedersächsischen Fläche bespielt. | |
Für Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) ist die regionale Ausdehnung | |
"gelebter Ausdruck des Zusammenwachsens in unserer Metropolregion". Was | |
freilich nicht verhindert, dass es über deren angemessene finanzielle | |
Beteiligung verschiedene Vorstellungen gibt. In seinem Nebenamt als | |
Kultursenator hat Böhrnsen gerade die Musikfest-Zuschüsse gekürzt: Bislang | |
zahlt Bremen 700.000 Euro, die Metropolregion ist mit 80.000 dabei. Etwa | |
das Doppelte will Bremen nun einsparen. | |
Die Metropolregion, deren polypolare Konstruktion in der Betitelung | |
"Bremen-Oldenburg im Nordwesten" zur Geltung kommt, umfasst allerdings nur | |
einen Teil des Musikfest-Radius - und wird ohnehin zu fast einem Drittel | |
von Bremen finanziert. Der Löwenanteil des Festival-Etats von 3,4 Millionen | |
Euro stammt längst von Sponsoren. Die wiederum sind an Konzerten im | |
Einzugsgebiet ihrer jeweiligen Firmensitze interessiert - das Musikfest | |
dehnt sich in dem Maß in die Region aus, wie dort Geldgeber zu finden sind. | |
Andererseits ist zu beobachten, dass Sponsoren aus dem Umland zunehmend | |
auch Konzerte in Bremen unterstützen - ein zuverlässiger Indikator für | |
Expansionsabsichten. Der Oldenburger Energiekonzern EWE etwa, der als | |
Erster beim Musikfest einstieg, übernahm kürzlich die früheren Bremer | |
Stadtwerke. Die Oldenburgische Landesbank wiederum unterfüttert ihren | |
Bremen-Slogan "Jetzt auch hier zu Hause" ebenfalls mit Konzert-Sponsoring | |
an der Weser. Für die Leitung ihrer dortigen Niederlassung hat sie sich den | |
kulturpolitischen Sprecher der Bremer CDU ausgesucht. | |
Das so entstehende finanzielle Engagement ist erfreulich. Es muss auch | |
niemanden sehr stören, dass das Bremer Musikfest faktisch längst ein | |
semi-niedersächsisches ist. Allerdings überlappt es sich nicht nur | |
räumlich, sondern auch zeitlich mit den heute beginnenden Niedersächsischen | |
Musiktagen. Und innerhalb der Metropolregion gibt es durchaus Beispiele für | |
Überschneidungen, die für das Publikum nach hinten losgingen. Die | |
Oldenburger Ballett-Tage und das Tanz Bremen-Festival, die sich terminlich | |
nicht recht koordinieren konnten, schrumpften zu alternierenden Biennalen. | |
Eine Streckung auch des Musikfestes auf einen Zweijahres-Rhythmus ist von | |
der Bremer SPD, die das dortige Kulturressort führt, wiederholt ins | |
Gespräch gebracht worden. | |
Mit Konzerten in Stuhr oder Achim finden Teile der Niedersächsischen | |
Musiktage unmittelbar vor der Bremer Haustür statt. Zum Teil nutzt das | |
Musikfest dieselben Aufführungsorte. Immerhin ist nicht allzu viel | |
Konkurrenz in Sachen Fundraising zu erwarten: Die Musiktage sind eine | |
Eigenveranstaltung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung - lediglich die | |
örtlichen Sparkassen treten als zusätzliche Sponsoren auf. | |
Im Konzept der beiden Festivals spiegeln sich die jeweiligen | |
Finanzierungsstrukturen. In Bremen wurde das Musikfest lange unter dem | |
Aspekt der Wirtschaftsförderung betrachtet; noch immer führt ein Vertreter | |
des Wirtschaftsressorts den Vorsitz im Aufsichtsrat. Dem Musikfest gelingt | |
die Bündelung verschiedener Interessen: Die großen Chor- und Orchesterwerke | |
- ein Schwerpunkt des Programms - funktionieren gleichermaßen als | |
repräsentative Events für Firmenkunden wie für ein anspruchsvolles | |
Fachpublikum. Bei Aufführungen wie dem Verdener Beethoven und vielen | |
anderen kommt mehr Masse und Klasse zusammen, als selbst beim | |
Schleswig-Holstein-Musikfestival üblich. | |
Den Niedersachsen steht nur rund ein Drittel des Bremer 3,4 Millionen-Etats | |
zur Verfügung - womit sie doppelt so viele Konzerte veranstalten. Viele | |
finden in Schulen und exemplarischen Orten wie einem Harzer Landgasthof | |
statt, in der Iberger Tropfsteinhöhle oder im Stahlwerk Georgsmarienhütte. | |
Unter dem Motto "Das Fest" ist viel Ethno und natürlich auch Klassik zu | |
hören, wobei die Musiktage auf besondere Settings wie Renaissance-Tänze in | |
einer Göttinger Disco setzen oder, vergangenes Jahr, das Celler Kunstmuseum | |
komplett verdunkeln, um dort den Hannoverschen Mädchenchor singen zu | |
lassen. Bei meist moderaten Ticketpreisen treten viele "einheimische" | |
Künstler auf - auch die großen NDR-Ensembles. | |
Die Stärke des Bremer Intendanten Thomas Albert wiederum sind | |
konzeptionelle Ideen, die tief in der Musikgeschichte wurzeln. Mit dem | |
dieses Jahr eingeführten Arp Schnitger-Festival hat er einen echten | |
Umland-Coup gelandet: Als eigene Reihe innerhalb des Musikfestes widmet es | |
sich dem aus der Wesermarsch stammenden Barock-Orgelbauer. Dessen | |
Instrumente stehen oft in unscheinbaren Dorfkirchen, aber auch in | |
veritablen "Bauerndomen" wie dem in Lüdingworth bei Cuxhaven. Das Bremer | |
Musikfest, Unterabteilung Arp Schnitger, übernimmt quasi das Erbe des 2003 | |
eingestellten Dollart-Festivals, das die ostfriesischen Orgeln ins | |
Bewusstsein heben wollte. Über 100 Instrumente aus sieben Jahrhunderten | |
machen Ostfriesland und Wesermarsch zu einer der dichtesten | |
Orgellandschaften Europas, zu der Schnitger wesentlich beitrug. Für 2019 | |
ist die Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe anvisiert. | |
Da Klingeln zum Geschäft gehört, ernennt das Musikfest Schnitger zum | |
"bedeutendsten Orgelbauer des Barock" - als hätte es nie eine | |
sächsisch-elsässische Instrumentenbauer-Dynastie namens Silbermann gegeben. | |
Doch die Verabsolutierung der norddeutschen Perspektive macht die | |
Festival-Idee nicht weniger klug und die Konzerte auf Schnitgers | |
Instrumenten nicht weniger eindrücklich: Selbst die Orgeln kleiner | |
Dorfkirchen stattete Schnitger meist mit vollständigem Prinzipalchor aus. | |
Finanziell war das möglich, weil er seinen Auftraggebern immer wieder bis | |
zum Selbstkostenpreis entgegenkam. | |
Doch warum wird dieser "Stradivari unter den Orgelbauern, der Rembrandt | |
unserer Nordwest-Region", wie Intendant Albert Schnitger bezeichnet, unter | |
dem Label des Bremer Musikfestes gewürdigt? Historisch könnte man auf ein | |
schlechtes Gewissen verweisen. Nicht so sehr wegen der verheerenden | |
Kreuzzüge des Bremer Bischofs gegen die Bewohner der künftigen | |
UNESCO-Orgellandschaft. Sondern, weil die Bremer mit ihren eigenen | |
Schnitger-Instrumenten nicht allzu wertschätzend umgingen. Mitte des 19. | |
Jahrhunderts ließen sie die letzte ihrer einstmals neun Schnitger-Orgeln, | |
ein immerhin 50 Register umfassendes Instrument im Dom, schnöde durch einen | |
Neubau ersetzen. | |
In Verden hatte Schnitger auch nicht mehr Glück: Die von ihm dort mühselig | |
reparierte und mit neuem Gebläse ausgestattete Hoyer-Orgel wurde durch | |
unsachgemäße Umsetzung ruiniert. Zugegeben: Beethovens "Missa Solemnis" | |
entwickelt auch ohne Schnitger-Gebläse ein eindrucksvolles Rauschen. | |
3 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
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