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# taz.de -- Frankreichs Migrationspolitik: Diskriminierung jetzt per Gesetz
> Mit einer europaweit beispiellosen Verschärfung der Einwanderungs- und
> Aufenthaltsgesetze macht Sarkozy Stimmung. Die Dauer der Abschiebehaft
> wird auf 45 Tage verlängert.
Bild: Eine Roma-Familie wird vom Flughafen Lille-Lesquin aus nach Rumänien abg…
PARIS taz | Frankreich dürfte in Kürze über die schärfsten Gesetze gegen
EU-Bürger innerhalb der Union verfügen. Nach der heftigen Kritik an der
Ausweisung von knapp 9.000 Roma in den vergangenen Monaten will die
französische Regierung jetzt die Rechtsgrundlage für derartige Aktionen neu
schaffen. In einer mit 107 Artikeln vollgestopften Gesetzesvorlage möchte
Einwanderungsminister Eric Besson bisherige Lücken füllen. Ohne bestimmte
ethnische Zielgruppen zu nennen, wünscht Besson unter anderem, dass
EU-Bürger wegen "Missbrauchs der Rechts auf Kurzaufenthalte" oder falls sie
"der Sozialfürsorge in ungebührlicher Weise zur Last fallen" abgeschoben
werden können. Aus Frankreich raus sollen auch Europäer und andere seit
mehr als drei Monaten wohnhafte Ausländer, welche durch wiederholte
Diebstähle, "aggressives Betteln" oder die "illegale Besetzung öffentlicher
oder privater Grundstücke" die öffentliche Ruhe und Ordnung bedrohen. Eine
Rückkehr nach Frankreich oder in die EU wird denjenigen für mindestens drei
Jahre untersagt, die einen Ausreisebefehl nicht befolgt oder die Frist zur
freiwilligen Ausreise verletzt haben.
Es ist die fünfte Gesetzesänderung zum Thema Einwanderung innerhalb von
sieben Jahren. Nach einer markigen Rede von Präsident Nicolas Sarkozy zum
Thema Einwanderung und Kriminalität wurde der ursprüngliche Text jedoch
deutlich verschärft. Besonders umstritten ist die Regelung, dass
eingewanderten Franzosen künftig die Staatsangehörigkeit entzogen werden
soll, wenn sie einen Polizisten oder anderen Amtsträger angreifen oder
töten. Bislang wird diese Zusatzstrafe praktisch dadurch außer Kraft
gesetzt, dass es verboten ist, einen Franzosen in einen Staatenlosen zu
verwandeln. Nach Ansicht mancher Juristen widerspricht dieser Vorstoß der
französischen Verfassung, nach der alle Bürger ungeachtet ihrer Herkunft
vor dem Gesetz gleich sind.
Zur Rechtfertigung der Roma-Abschiebungen hatte der französische
Innenminister Brice Hortefeux Ende August gesagt: "Man kommt nur nach
Frankreich, wohnt und lebt dort, wenn man dazu eingeladen ist oder die
Erlaubnis erhalten hat." Dass in Paris das Parlament nun seit gestern auf
Antrag der Regierung zwei Tage vor einer Diskussion der EU-Kommission über
ein mögliches Verfahren gegen Frankreich wegen diskriminierender Verletzung
der Bestimmungen über den freien Personenverkehr, wird nicht unbemerkt
bleiben. Nach unbestätigten Berichten ist eine Mehrzahl der EU-Kommissare
der Meinung, dass ein Verfahren gegen Frankreich eingeleitet werden soll.
Allerdings sollen auch andere Staaten wegen ähnlicher Vertragsverletzungen
auf die Anklagebank. Natürlich werden Besson und Hortefeux einmal mehr
sagen, die Verschärfung der Immigrationsgesetze wie die Räumung von
hunderten von Lagern seit Juli sei "nicht gegen die Roma gerichtet, weil
sie Roma sind".
Auch sonst zieht die Regierung die Schraube an: Die Dauer der Abschiebehaft
wird von 32 auf 45 Tage verlängert. Es soll auch nicht mehr vorkommen, dass
die Grenzpolizei vor richterlichen Beschlüssen kapitulieren muss wie im
Januar, als 130 Kurden aus Syrien auf Korsika strandeten und ihre
Verwahrung in Abschiebezentren für illegal erklärt worden ist. Für solche
Flüchtlingsgruppen sollen bis zur Entscheidung über ihren Verbleib
spezielle Übergangszonen geschaffen werden. Wer zukünftig durch eine
arrangierte "graue Heirat" in betrügerischer Weise die Einbürgerungsgesetze
umgeht, riskiert nunmehr eine hohe Geldbuße und eine Strafe von sieben
Jahren Gefängnis.
28 Sep 2010
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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