# taz.de -- Roma in Frankreich: Vom Zirkushimmel gefallen | |
> Zwei Musikern des Cirque Romanès droht die Abschiebung. Für seinen | |
> Direktor haben die Schikanen System. Er wirft den Behörden den | |
> Fehdehandschuh hin. | |
Bild: Protest gegen die Ausweisung tausender Roma. | |
PARIS taz | "Hereinspaziert, meine Damen und Herren!" Erwachsene bezahlen | |
20 Euro, Kinder die Hälfte für das neue Zirkusprogramm mit dem Titel "Les | |
tziganes tombent du ciel" ("Die Zigeuner fallen vom Himmel herab"). | |
Einladend erklingt aus dem festlich beleuchteten Hintergrund osteuropäisch | |
anmutende Musik mit Klarinette, Geige, Akkordeon und Kontrabass. Es gibt im | |
Cirque Romanès keine spektakulären Raubtiernummern oder eine | |
Elefantenparade, dafür viel Poesie und eine nostalgische Manegenatmosphäre | |
mit einer Fröhlichkeit, die zwar professionell, aber ansteckend ist. | |
Wie seit 17 Jahren üblich hat der Zigeunerzirkus auch in diesem Herbst in | |
Paris sein Winterquartier aufgeschlagen. Die Stadt hat der Truppe wieder | |
ein brachliegendes Grundstück am Rand unweit der Ringautobahn | |
"Périphérique" bei der Porte de Champerret zur Verfügung gestellt. Nur das | |
dunkelrote Zirkuszelt ragt sichtbar über den mit Plastik, Blech und | |
Brettern verstärkten Metallzaun hinaus, der wie eine Palisade eines | |
Gallierdorfs wirkt. Dahinter stehen einige dunkelgrüne Wohnwagen mit der | |
Aufschrift Cirque Romanès. Sie dienen in dieser Welt von Fahrenden als | |
Unterkunft, als Büro, Kasse, Materiallager und als Ort des geselligen | |
Zusammenseins. | |
"Madame Délia liest die Zukunft aus den Linien Ihrer Hand … bis zum | |
Ellbogen hinauf", steht - mit viel Selbstironie - auf einem der Wohnwagen. | |
Délia ist nicht nur Wahrsagerin, sondern vor allem eine Sängerin aus | |
Rumänien, und die Freundlichkeit in Person. Wenn sie lacht, glänzen zwei | |
Goldzähne aus ihrem Gesicht. Sie ist die Frau des Zirkusdirektors, | |
Alexandre Romanès. Der trägt keinen Zylinder und Frack, aber hat ständig | |
einen schwarzen Filzhut auf. Ihn amüsiert der Vergleich mit dem belagerten | |
Asterix-Dorf. "In meiner Familie sind wir seit zweihundert Jahren | |
Franzosen, eine Carte d'identité (Personalausweis) aber hat keiner von | |
uns", sagt er stolz. | |
Der 59-Jährige stammt aus der bekannten französischen Zirkusfamilie | |
Bouglione, Romanès ist sein Künstlername, seit er sich zuerst als | |
Straßenmusiker und Artist und danach mit einem eigenen Zirkus selbständig | |
gemacht hat. Natürlich ist dieses Pseudonym auch eine Anspielung auf die | |
Roma-Ursprünge der Familie. Jetzt mehr denn je, weil die französische | |
Regierung den neu ankommenden Roma-Familien aus Rumänien und Bulgarien das | |
Leben besonders schwer mache. Und echte Schwierigkeiten mit den Behörden | |
bekommt jetzt auch der Franzose Romanès, und das ist für ihn | |
"selbstverständlich überhaupt kein Zufall". Er sieht einen klaren | |
Zusammenhang mit den "Angriffen auf die Roma" allgemein in Frankreich. | |
Als Alexandre Romanès mit seiner Truppe aus Schanghai zurückkam, wo er bei | |
der Weltausstellung Frankreich kulturell repräsentieren durfte, stieß er | |
beim Durchsehen der Post auf ein Behördenschreiben und fiel aus allen | |
Wolken. Bei einem Besuch der Arbeitsinspektion sei festgestellt worden, | |
dass ein minderjähriges Mädchen vor Publikum auftrete. "Meine zehn Jahre | |
alte Rosa macht eine Nummer mit Hula-Hoop-Reifen und einer Schlange, die | |
gar keine echte Schlange ist, alles völlig ungefährlich," stellt Romanès | |
klar, der nach seiner Tochter ruft, damit man sich selber davon überzeugen | |
kann, wie wohlbehalten sie ist. | |
Anscheinend habe es für ihre Nummer eine Sondererlaubnis gebraucht. Noch | |
nie hätte jemand bisher danach gefragt, obschon doch seit jeher die Kinder | |
der Zirkusfamilien mit anpacken und auftreten. Im amtlichen Schreiben wird | |
darauf hingewiesen, dass die Inspektion behindert worden sei. Er wäre ein | |
wenig laut geworden, räumt Romanès ein, aber es sei ja auch nicht normal, | |
dass man bei einer solchen Kontrolle gleich mit Polizeieskorte vorfahre. | |
Viel schwerwiegender ist, dass zwei seiner Roma-Musikern aus Rumänien und | |
Bulgarien wegen Nichtbeachtung des Mindestlohns offiziell die | |
Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Romanès widerspricht heftig. Der Violinist | |
und der Akkordeonist, um diese beiden geht es, hätten beide Gagen, die mehr | |
als das Doppelte des gesetzlichen Minimums betragen. "Ohne sie ist die | |
Vorstellung tot", sagt Romanès. Arbeitsverbot hin oder her - die | |
Aufführungen haben am 6. November wieder begonnen. "On verra!" ("Wir werden | |
ja sehen!") Der Zigeunerzirkusdirektor wirft der Bürokratie und der | |
Regierung den Fehdehandschuh hin. | |
Denn erstens ist er überzeugt, dass er notfalls vor Gericht Recht bekommen | |
wird, und zweitens weiß er viele Menschen hinter sich. Mehr als 18.000 | |
Leute, unter ihnen die Sängerin Jane Birkin und die Schauspielerin Josiane | |
Balasko, haben eine Solidaritätserklärung unterschrieben. Da die Musiker | |
aus Rumänien und Bulgarien stammen, liegt die Vermutung nahe, dass der | |
Beamteneifer etwas mit den beflissenen Roma-Abschiebungen durch die | |
französischen Behörden zu tun hat, was von Immigrationsminister Eric Besson | |
entschieden dementiert wird. Die Stadt Paris hat dem Zirkus Romanès dagegen | |
für nächstes Jahr bereits wieder ein Gelände für die Wintersaison in | |
Aussicht gestellt. | |
Alexandre Romanès erzählt, er habe erst als 20-Jähriger dank einer Freundin | |
lesen und schreiben gelernt. Der renommierte Belletristikverlag Gallimard | |
hat bereits zwei Bände seiner kurzen Gedichte oder poetischen Gedanken | |
publiziert, die er während der Tourneen durch Europa notiert hat. In seinem | |
Vorwort schickt Romanès voraus, dass die Literatur nicht zur Tradition der | |
"Gitans" gehöre. Weil er aber so das Wort ergreift, ist er in Frankreich zu | |
einem Sprecher einer Gemeinschaft geworden, die seiner Meinung nach "die | |
Kurve in die Neuzeit verpasst hat, weil die Grundlagen unserer | |
wirtschaftlichen Aktivitäten und damit auch unserer Mentalität verschwunden | |
sind. Gesellschaftlicher Erfolg, der Erste, Schönste und Stärkste sein, die | |
Mode, der Sport, der Urlaub, Diplome, all das macht keinen Sinn für einen | |
Gitan oder Zigeuner." | |
Und er erinnert sich an einen Alten, der ihm erklärt habe, warum er als | |
Zigeuner nicht Soldat sein wollte: "Wie kann ein Mann einen anderen töten, | |
den er nicht einmal kennt?" In ähnlicher perplexer Weise schaut Romanès | |
heute von außen auf eine kranke Gesellschaft, die meint, es werde ihr | |
besser gehen, wenn sie die Ärmsten und Schwächsten angreift. | |
Nicht nur für die Roma aus Rumänien und Bulgarien, sondern auch für die | |
Gitans und die Manouches, die meist seit Generationen französische | |
Staatsbürger sind, ist das Klima in Frankreich rauer und das Nomadenleben | |
komplizierter geworden. "Wie zufällig befinden sich diese Gelände, auf | |
denen man uns ,parkt', meist zwischen einer Autobahn und der | |
Müllverbrennungsanlage", beschwert sich Alexandre Romanès. "Wenn ich von | |
Lille nach Marseille fahre, werde ich fünf oder sechs Mal kontrolliert." | |
Für seinen sechs Meter langen Zirkuswohnwagen braucht er im Unterschied zu | |
den Touristen eine Spezialgenehmigung. Der mit ihm befreundete und auch aus | |
einer Gitan-Familie stammende Regisseur Tony Gatlif, der gerade einen Film | |
("Liberté") über das Leben der Zigeuner in einem französischen Dorf während | |
des Zweiten Weltkriegs gedreht hat, schrieb kürzlich in Le Monde: "Das Volk | |
der Zigeuner verlangt nichts, nichts außer ein wenig Respekt, um nicht mehr | |
wie Menschen zweiter Kategorie behandelt zu werden." | |
13 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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