# taz.de -- Roma-Familie droht Abschiebung: Ein Leben auf Abruf | |
> Safeta lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Sie muss eine Arbeit finden, | |
> sonst droht ihr samt Tochter die Abschiebung nach Bosnien. Dort wären sie | |
> fremd, würden als Roma diskriminiert. | |
Bild: Protest fürs Bleiberecht: Damit Safeta bleiben kann, muss sie Arbeit fin… | |
BERLIN taz | Safeta kniet auf dem weißen Wohnzimmerteppich und blättert | |
durch eine Plastikmappe. Das kleine Wohnzimmer ist hell und freundlich. | |
Staub oder Krümel wird man selbst unter dem Sofa nicht finden, und die | |
Falten der transparenten Vorhänge sind so gleichmäßig drapiert, als würde | |
ein Fotoshooting für ein Einrichtungsmagazin bevorstehen. | |
Nur die aus der Verankerung gerissenen Schubladengriffe verraten, dass ihre | |
Qualität nicht einmal dem Alltagsgebrauch standhielt. In der Plastikmappe | |
hat Safeta ihre Schulabschlüsse, Bescheinigungen über Deutschkurse und eine | |
Weiterbildung als Erziehungshelferin in Folien sortiert. Der Ordner ist ihr | |
wertvollster Besitz. Er soll die 34-jährige Mutter sowie ihre 14-jährige | |
Tochter Samanta davor bewahren, in das Land zurückgeschickt zu werden, das | |
Safeta voll Schrecken verlassen hat und in das Samanta nicht will. | |
Safeta wurde in Bosnien geboren. Sie ist eine muslimische Romni. Weil sie | |
Roma sind, wurde ihre in Tuzla ansässige Familie diskriminiert - sie flohen | |
1995 nach Deutschland. Während der Balkankriege zwischen 1990 bis 2000 sind | |
schätzungsweise mehrere zehntausend Roma aus Exjugoslawien nach Westeuropa | |
geflüchtet. 30.000 von ihnen leben nach UN-Angaben in Deutschland - | |
allerdings nur geduldet, immer mit der Angst, abgeschoben zu werden. | |
Das betrifft insbesondere Roma aus Bosnien-Herzegowina, da es seit 1996 ein | |
Rücknahmeabkommen gibt. Darüber hinaus plant die Bundesregierung die | |
Rückführung von 10.000 Roma in das Kosovo, darunter 5.000 Kinder. Etwa zwei | |
Drittel von ihnen sind in Deutschland geboren. | |
Safeta kam 1995 nach Deutschland. Damals dauerte der Bürgerkrieg schon drei | |
Jahre, die Situation in Tuzla wurde immer brenzliger. Die muslimischen | |
Nachbarn beschimpften und bedrohten Safetas Familie. "Sie sagten, das ist | |
nicht euer Land, ihr könnt hier nicht leben", erinnert sich Safeta. Und | |
fragt: "Aber wo sollen wir denn leben? Wir haben ja kein Land." | |
Die drei verbliebenen Roma-Familien verschanzten sich gemeinsam in dem Haus | |
in Tuzla. Nachts wachte einer der Erwachsenen an der Tür. Manchmal flogen | |
Steine gegen die Fenster und auf das Dach. Irgendwann kamen bosnische | |
Soldaten, sie wollten, dass Safetas Bruder als Soldat das Land verteidigt. | |
Weil er sich weigerte, kam er ins Gefängnis. Als nach zwei Monaten eine | |
serbische Granate in das Gefängnis einschlug, konnten die Gefangenen | |
fliehen. Zwei Tage später verließ die Familie Bosnien. Sie brauchte fünf | |
Monate, um nach Berlin zu kommen, mit dem Bus, per Autostopp, zu Fuß. Sie | |
schliefen neben der Straße, in Ställen, im Wald. In Berlin erhielten sie | |
eine Duldung für drei Monate. Danach hangelten sie sich von Verlängerung zu | |
Verlängerung. Kettenduldung. | |
In Berlin lernte Safeta einen serbischen Rom kennen. Ein paar Monate später | |
heirateten sie, Safeta bekam eine Aufenthaltserlaubnis. Das Paar zog in | |
eine Wohnung am Ostkreuz, und eigentlich sah alles so aus, als würde es | |
jetzt gut werden. Ein paar Monate später kam Samanta zur Welt. Samanta hat | |
einen bosnischen Pass, aber einen serbischen Familiennamen. Die Ehe | |
zerbrach, und erst als Safeta mit Samanta erstmals nach der Trennung nach | |
Bosnien reiste, um ihre kranke Mutter zu besuchen, wurde ihr die | |
problematische Situation bewusst. | |
An der Grenze holten sie bosnische Soldaten aus dem Bus: "Wo hast du das | |
Kind geklaut?" fragten sie. "Du bist aus Bosnien, und das Kind hat einen | |
serbischen Namen." Zwei Tage ließen sie Safeta an der Grenze warten, dann | |
erst durfte sie auf eigenes Risiko nach Tuzla reisen. "Dort versteckte ich | |
den Pass meiner Tochter, und wir blieben nur im Haus." In Deutschland | |
zurück, versuchte sie den Namen ihrer Tochter zu ändern. Vergeblich, weil | |
sich ihr Exmann weigerte. | |
Samanta ist jetzt 14 Jahre alt. Wie ihre Mutter legt sie Wert auf | |
sorgfältig gezupfte und nachgezeichnete Augenbrauen. Sie geht in die | |
Röntgen-Schule, eine dreizügige Realschule in Berlin-Neukölln, 83 Prozent | |
der Schüler dort haben einen Migrationshintergrund. Sie spricht Deutsch und | |
versteht weder Bosnisch noch Romanes, die Sprache der Roma. Wenn sie mit | |
ihrer Großmutter in Tuzla telefoniert, muss Safeta ihr übersetzen. Bosnien | |
ist ein fremdes Land für sie, wo sie Angst hat, dass jemand sie nach dem | |
Nachnamen fragt. | |
"In meiner Schule achtet die Lehrerin sehr darauf, dass Nationalitäten | |
keine Rolle spielen", erzählt Samanta. Diese Toleranz ist auch ihrer Mutter | |
wichtig - bei Nationalität wie Religion. Safeta und Samanta sind Muslime, | |
aber nicht streng gläubig. Vorrangig verstehen sie sich als Roma. Zwar | |
feiern sie das höchste islamische Fest Bayram, besuchen aber nicht die | |
Moschee. Auf einer Elternversammlung sagte Safeta zu den anderen Müttern: | |
"Wenn meiner Tochter Schweinefleisch schmeckt, soll sie es essen." | |
Samanta jobbt nebenbei als Näherin und will später einmal als Bürokraft | |
arbeiten. Dass sie Deutschland jemals verlassen muss, kann sie sich nicht | |
vorstellen. "In Bosnien haben wir keine Zukunft. Dort stehen die Roma auf | |
der untersten gesellschaftlichen Stufe. Sie können nicht in die Schule | |
gehen und bekommen keine Arbeit. Meine Tante hat eine Ausbildung als | |
Krankenschwester, aber findet keine Arbeit." | |
Im Februar 2011 läuft Safetas befristete Aufenthaltsgenehmigung ab. Ihr | |
Aufenthaltsrecht ist abhängig davon, ob sie Arbeit hat und ihren | |
Lebensunterhalt bestreiten kann. Nach einem Deutschkurs und einer | |
schulischen Weiterbildung als Erziehungshelferin arbeitete sie als | |
Reinigungskraft und in mehreren Kindergärten als Erziehungshelferin, für | |
1,50 Euro pro Stunde oder auch ganz umsonst während eines Praktikums von | |
drei Monaten. Doch kein Kindergarten hat sie länger angestellt. Mutter und | |
Tochter leben von Hartz IV, 550 Euro müssen sie allein für Miete und Strom | |
zahlen. | |
Safetas Anwalt Alain Lingnau hat ihre Bemühungen verfolgt: "Da habe ich | |
einen gewissen Respekt. Seitdem sie eine Arbeitserlaubnis hatte, hat sie | |
immer etwas gemacht. Sie bemüht sich die ganze Zeit." Unter der | |
Kettenduldung in der Anfangszeit durfte Safeta nicht arbeiten. Eine | |
mögliche Abschiebung sieht der Anwalt negativ: "Politisch kann ich das | |
nicht nachvollziehen, schon wegen der Tochter: Wir werden hier in ein paar | |
Jahren Fachkräftemangel haben. Aber auch menschlich kann ich das nicht | |
verstehen. Die Tochter ist ja faktisch Inländerin." | |
Der Platz vor dem grauen Mietshaus, in dem Safeta und Samanta wohnen, ist | |
nicht asphaltiert, die Autos parken im festgetretenen Schlamm. Es sind | |
ohnehin nur ein paar wenige. Auf dem Bordstein davor steht ein | |
ausrangierter Plastikledersessel. Eine Straße in Neukölln, an der sich ein | |
Wohnblock an den anderen reiht. Was in den Augen anderer vielleicht trist | |
erscheinen würde, ist für die beiden das Glück, das sie nicht mehr hergeben | |
wollen. Sie wohnen im Hochparterre. Kein Foto hängt an der Wand. Kein Bild. | |
"Ich habe keine Fotos aus Tuzla, ich möchte nicht an diese Zeit erinnert | |
werden. Mit meiner Heimatstadt habe ich nur schlechte Erfahrungen gemacht." | |
Safeta hat noch eine letzte Möglichkeit, bis zum 15. Dezember eine | |
Arbeitsstelle nachzuweisen, damit sie und Samanta nicht abgeschoben werden. | |
Die Jugendselbsthilfeorganisation von Roma und Nichtroma, Amaro Drom, | |
möchte ihr eine Stelle als Erziehungshelferin für Roma-Kinder vermitteln. | |
Vorsichtig schiebt Safeta die Papiere wieder in die Plastikfolien. Sie sind | |
ihre letzte Chance, damit ihre Tochter nicht in einem Land leben muss, das | |
in ihrem Namen den Feind sieht. | |
19 Nov 2010 | |
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Schwerpunkt Flucht | |
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