# taz.de -- Mietsteigerung um bis zu 80 Prozent: Kreuzberg an der Klimafront | |
> Was darf der Klimaschutz kosten? Was das Klimaschutzgesetz erst noch | |
> beantworten muss, bedeutet für 50 Mietparteien am Carl-Herz-Ufer | |
> Existenzkampf | |
Bild: Genauso wie der Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt, verbrauchen … | |
Vielleicht hätte Angela Merkel erst mal Kreuzberg besuchen sollen. Ende | |
September kündigte die Kanzlerin einen Gesetzesentwurf an, demzufolge eine | |
energetische Sanierung stärker als bisher auf die Miete umgelegt werden | |
kann. Ihre Begründung: "Der Mieter profitiert ja seinerseits auf Dauer | |
auch, weil er viel niedrigere Energiekosten hat." | |
In fünf Häusern eines Blocks in der Baerwaldstraße, dem Carl-Herz-Ufer und | |
der Wilmsstraße hätte die Bundeskanzlerin erfahren können, zu welchen | |
Mietsteigerung bereits die bisherigen Gesetze führen können: Nach einer | |
umfassenden Wärmedämmung und Modernisierung soll die Kaltmiete der 50 | |
Wohnungen um bis zu 82 Prozent steigen. Als die betroffenen Mieterinnen und | |
Mieter ihren Fall am Dienstagabend dem Stadtplanungsausschuss des | |
Bezirksparlaments vortrugen, waren selbst die Abgeordneten von CDU und FDP | |
sprachlos. | |
Sprachlos waren auch die Mieter, als ihnen im Mai eine | |
Modernisierungsankündigung des Eigentümers living up in den Kasten | |
flatterte. Nach einer umfassenden energetischen Sanierung, dem Einbau eines | |
Fahrstuhls sowie einer Strangsanierung sollte eine Mieterin einer 63 | |
Quadratmeter großen Wohnung 641 Euro statt bisher 416 Euro zahlen - eine | |
Mieterhöhung um 225 Euro. Die Kosten der Wärmedämmung würden darin mit 140 | |
Euro monatlich zu Buche schlagen. Gesetzliche Grundlage der Mieterhöhung | |
ist das Bürgerliche Gesetzbuch, das es den Eigentümern erlaubt, 11 Prozent | |
der Modernisierungskosten auf die Miete umzulegen. Eine Lex Merkel hätte | |
den Betroffenen noch einen zusätzlichen Aufschlag verpasst. | |
In einem offenen Brief an den Senat und Kreuzbergs grünen Bürgermeister | |
Franz Schulz teilten die Betroffenen bereits vor dem Termin im | |
BVV-Ausschuss mit, dass die ersten Bewohner ausgezogen seien - ganz im | |
Sinne des Eigentümers: "Der möchte maximalen Profit aus den Häusern | |
schlagen und die Wohnungen als Eigentumswohnungen verkaufen." Am | |
Dienstagabend nun konkretisierten sie ihre Forderungen an den Bezirk. "Wir | |
verlangen eine Umstrukturierungssatzung und einen Sozialplan", sagte | |
Mietervertreter Horst Gedack. | |
Anders als im Fall der Mietenexplosion in der Fanny-Hensel-Siedlung, wo | |
sich Bezirksbürgermeister Schulz als Kämpfer für die Mieterrechte an die | |
Spitze stellte, blieb der Grünenpolitiker am Dienstag erstaunlich | |
emotionslos. "Ich weise darauf hin", erklärte Schulz den Abgeordneten und | |
Mietern, "dass eine solche Ausweisung einer umfassenden städtebaulichen | |
Begründung bedarf." Andernfalls würden die Gerichte eine solche | |
Umstrukturierungssatzung kassieren. | |
Etwas anders sehen das die Linken. "Wir haben mit den Mietobergrenzen im | |
Ostteil gute Erfahrungen gemacht", sagte ihr Bürgerdeputierter, Michael | |
Breitkopf. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht die Mietbegrenzungen 2006 | |
für ungültig erklärt. "Zuvor haben wir aber zehn Jahre damit gearbeitet." | |
Anders als Friedrichshain-Kreuzberg arbeitet der Bezirk Pankow bereits seit | |
2006 mit einer sogenannten Umstrukturierungssatzung. Um soziale Härten zu | |
vermeiden, kann der Bezirk damit die Genehmigung von Baumaßnahmen bis zu | |
einem Jahr aussetzen. Bei der Sanierung der Siedlung Grüne Stadt zeigte | |
sich der Eigentümer daraufhin verhandlungsbereit. Auch deshalb wollen die | |
Abgeordneten aus Friedrichshain-Kreuzberg zur nächsten Sitzung des | |
Stadtplanungsausschusses am 20. Oktober Roland Schröder, den | |
Ausschussvorsitzenden aus Pankow, einladen. | |
Allerdings drängt die Zeit. Bereits am Montag beginnt vor dem Amtsgericht | |
Tempelhof-Kreuzberg der erste Prozess gegen eine Mieterin aus der | |
Wilmsstraße. Weitere Prozesse werden folgen. Der Grund: Der Großteil der | |
Mieter hat der Modernisierungsankündigung vom Mai widersprochen. Die Firma | |
living up will sie nun auf Duldung der Modernisierung verklagen. | |
Die Betroffenen hingegen plädieren auf die Anwendung einer | |
Härtefallregelung - notfalls auch ohne Umstrukturierungssatzung. Darüber | |
hinaus bemängeln sie, dass ein Teil der Modernisierungsarbeiten im Grunde | |
eine Instandsetzung darstelle. Anders als bei Modernisierungen können die | |
Kosten einer Instandhaltungsmaßnahme nicht auf die Miete umgelegt werden. | |
Der Ausgang der Verfahren ist ungewiss. | |
Immerhin, den Abgeordneten aus Friedrichshain-Kreuzberg ist die Brisanz des | |
Themas bewusst. Einstimmig forderte der Stadtplanungsausschuss am Dienstag | |
das Bezirksamt auf, den Erlass einer Umstrukturierungssatzung auf ihre | |
Praktikabilität zu prüfen. Vor dem Hintergrund des geplanten | |
Klimaschutzgesetzes sprach der stellvertretende Ausschussvorsitzende John | |
Dahl von einem "wichtigen Thema". Schließlich soll das geplante Gesetz die | |
Eigentümer ausdrücklich zur energetischen Sanierung ihrer Häuser bewegen. | |
Ob die Mieter da mitgehen oder sich, wie nun in Kreuzberg, zur Wehr setzen, | |
wird auch davon abhängen, wie viel der Klimaschutz kostet. Ähnlich wie | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auch der Geschäftsführer der living up, | |
Lars Deuter, den Mietern eine Energieersparnis versprochen. In der | |
Modernisierungsankündigung heißt es: "Aufgrund der Durchführung dieser | |
zusammenhängenden Gesamtmaßnahmen gehen wir von einer Einsparung von zirka | |
47 Prozent des Wärmebedarfs in Abhängigkeit des individuellen | |
Heizverhaltens aus." | |
Tatsächlich aber dürften die Einsparungen weitaus geringer ausfallen. In | |
einer im August veröffentlichten Studie des Instituts für | |
Wirtschaftsförderung in Halle (IWH) wurde festgestellt, dass Altbauten | |
schon heute weniger Energie verschleudern als Nachkriegsbauten. "Hier | |
liegen die ermittelten Energiepotenziale lediglich bei 10 bis 15 Prozent", | |
heißt es in der Studie. | |
6 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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