| # taz.de -- Abschluss der Buchmesse: Ein argentinischer Meteorit | |
| > Argentienien war nicht nur auf der Buchmesse präsent, sondern in der | |
| > ganzen Stadt. Manchmal gegen den Widerstand alter Funktionäre des Landes. | |
| Bild: Die Besucher reisen ab, die weltweit größte Buchmesse endete am Sonntag. | |
| Vor viertausend Jahren ging auf die heutige nordargentinische Provinz Chaco | |
| ein Meteoritenschauer nieder. "Dann verzehrte Feuer das Land, und Flammen | |
| umgaben die Bäume, Pflanzen, Tiere und Menschen", schrieben | |
| Jesuitenprediger, die im 18. Jahrhundert vom "Sturz der Sonne aus dem | |
| Himmel" hörten, in der Mythologie der Mocoví-Indianer. | |
| Fast zwei Jahrhunderte später, 1962, entdeckte ein Bauer beim Pflügen | |
| seines Ackers ein 1.998 Kilo schweres Bruchstück eines Meteoriten. | |
| Wissenschaftler schnitten es in zwei Teile. Eines kam zur Untersuchung in | |
| die USA, das andere blieb in Buenos Aires. Wiedervereinigt ist es nun in | |
| einer Ausstellung der Künstler Guillermo Faivovich und Nicolas Goldberg im | |
| Frankfurter Portikus zu sehen. | |
| Wie ein Meteorit schien auch der Historiker und Schriftsteller Osvaldo | |
| Bayer in Halle 5.1 der argentinischen und südamerikanischen Aussteller auf | |
| der Frankfurter Messe einzuschlagen. Der Argentinier sollte dort am Freitag | |
| seinen Film "Awka Liwen" vorstellen und in Auszügen präsentieren. | |
| Argentinische Verbandsfunktionäre suchten dies hinter den Kulissen zu | |
| verhindern, aus Buenos Aires musste daraufhin aus der Umgebung der | |
| Präsidentin zugunsten Bayers interveniert werden. | |
| Bayer wurde mit dem Buch "La Patagonia rebelde" bekannt, dessen Verfilmung | |
| 1974 mit dem Silbernen Bären auf den Berliner Filmfestspielen ausgezeichnet | |
| wurde. Der heute 83-Jährige ist einer der unbeugsamsten Aufklärer und | |
| Humanisten seines Landes. Die Zeit der Diktatur von 1976 bis 1983 | |
| verbrachte er im deutschen Exil. Das Dokumentarfilmprojekt "Akwa Liwen" | |
| berichtet von der kolonialen Ausrottung der indianischen Nationen auf dem | |
| Territorium des heutigen Argentiniens und der Landnahme riesiger Flächen | |
| durch wenige Offiziere und deren Familien. | |
| Für Bayer zieht sich das historisch begangene Unrecht relativ ungebrochen | |
| bis in die Gegenwart. Argentinien erlebte nie eine grundlegende Landreform, | |
| und der von trainierter Gewalt geschützte, oligarchische Großgrundbesitz | |
| war eine Säule der Diktatur. Willkür, Enteignung, die Entrechtung ganzer | |
| Menschengruppen wie der Indígenas sind eine Konstante in der Geschichte, | |
| eine, die erst jetzt und langsam breiter hinterfragt wird. Neue | |
| argentinische Romane wie die Ricardo Piglias ("Ins Weiße zielen") oder | |
| Eduardo Belgrano Rawsons ("Die Predigt von La Victoria") versuchen für die | |
| historischen und in die Jetztzeit ragenden Konflikte anspruchsvolle | |
| Erzählformate zu finden. | |
| Die argentinische Gesellschaft befindet sich kulturell und politisch in | |
| einem riesigen Umbruch. 2005 hob die Regierung Kirchner die | |
| Amnestiegesetzgebung auf, argentinische Militärs müssen sich nun für ihre | |
| Gewaltexzesse der Jahre 1976 bis 1983 vor Gericht verantworten. Auch die | |
| materiellen Nutznießer der damaligen Verbrechen bleiben nicht mehr | |
| unangetastet. Mit dem Staatsbankrott 2001/2002 haben die früheren | |
| Autoritäten neben der moralischen auch ihre politisch-ökonomische | |
| Glaubwürdigkeit restlos verspielt. | |
| Die argentinische Präsenz war in Frankfurt auch dank großzügiger | |
| Übersetzungsprogramme und staatlicher Kulturförderung unübersehbar, ebenso | |
| unüberhörbar auf den Straßen und den vielen Veranstaltungen außerhalb des | |
| Messegeländes in der Stadt. Der Direktor der Frankfurter Buchmesse, Juergen | |
| Boos, sprach deshalb zu Recht vom "literarischsten Auftritt" eines | |
| Gastlandes seit vielen Jahren. | |
| Erfreulich gesellt sich da auch die Vergabe des Literaturnobelpreises an | |
| den peruanischen Autor Mario Vargas Llosa hinzu. Dieser große | |
| lateinamerikanische Erzähler steht für den fortgesetzten Versuch, | |
| politische und ästhetische Dringlichkeit zu vereinen. Daran ändert auch | |
| sein Spätwerk nichts. Doch den Neostalinisten im Literaturkritikergewande | |
| geht es auch weniger um eine Kritik etwa an paternalistischen Redundanzen | |
| als um den streitbaren Politiker Vargas Llosa selbst. | |
| Die konservative Wende, seine Kritik an Kuba oder dem totalitären Teil der | |
| peruanischen Linken hat man ihm dort nie verziehen. Doch sein Gesamtwerk | |
| ist vielschichtig genug, um auch das auszuhalten. Nach den zuletzt so | |
| manches Mal esoterisch anmutenden Entscheidungen aus Stockholm, ist die | |
| Wahl des Peruaners auch für die Argentinier ein gutes Signal. | |
| 10 Oct 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
| Andreas Fanizadeh | |
| ## TAGS | |
| Nachkriegsliteratur | |
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