# taz.de -- Berufe von Zuwanderern: Abschlüsse sollen zählen | |
> Die Bundesregierung will es 300.000 Zuwanderern ermöglichen, in ihrem | |
> gelernten Beruf zu arbeiten. Das reicht nicht aus, monieren die Grünen. | |
Bild: "Versteckter Schatz im eigenen Land": Plakat einer Einbürgerungskampagne. | |
Die vietnamesische Gynäkologin im China-Imbiss, die türkische Psychologin, | |
die als Kindermädchen arbeitet - sie sollen künftig nicht mehr die Regel | |
sein. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat einen | |
Gesetzentwurf erarbeiten lassen, der es rund 300.000 Menschen ausländischer | |
Herkunft ermöglichen soll, bald wieder in ihrem ursprünglich erlernten | |
Beruf zu arbeiten. | |
Der Gesetzentwurf zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse wird nach | |
Auskunft eines Sprechers voraussichtlich bis Ende des Jahres im Kabinett | |
beraten, das entsprechende Gesetz könnte 2011 in Kraft treten. | |
"Es ist allemal einfacher, den versteckten Schatz im eigenen Land zu heben, | |
als neue Fachkräfte in fernen Ländern zu suchen", zitierte die Financial | |
Times Deutschland am Montag die Ministerin. Mit der Gesetzesvorlage macht | |
Schavan den ersten Schritt, um den von der Wirtschaft beklagten | |
Fachkräftemangel zu begegnen. Schritt zwei soll im November folgen. Dann | |
wollen Union und FDP ein Gesamtkonzept zur Zuwanderung beraten. | |
Obwohl die Wirtschaft über Fachkräftemangel klagt, zählt das, was | |
Einwanderer im Ausland gelernt haben, hierzulande bisher wenig. Wer sich | |
seinen Abschluss anerkennen lassen möchte, muss zunächst den richtigen | |
Ansprechpartner ausfindig machen und dann bis zu drei Jahre auf die | |
Anerkennung des Abschlusses warten. Nur jeder fünfte der 2,8 Millionen | |
Migrantinnen und Migrantinnen mit ausländischen Abschlüssen lässt sich laut | |
Institut der deutschen Wirtschaft in Köln auf diesen Anerkennungsmarathon | |
ein. | |
Das Bundesbildungsministerium möchte die Verfahren vereinfachen und den | |
Zugang dazu erleichtern. Hat derzeit nur ein kleiner Teil der ausländischen | |
Fachkräfte das Recht, ihre mitgebrachten Qualifikationen zertifizieren | |
lassen, sollen künftig alle Menschen einen Anspruch darauf haben, im | |
Ausland erworbene berufliche Fertigkeiten an deutschen Standards messen zu | |
lassen, und zwar nach einheitlichen Kriterien und innerhalb von drei | |
Monaten nach Abgabe aller erforderlichen Unterlagen. Laut Gesetzentwurf | |
sollen formale Zeugnisse durch Arbeitsproben, Gespräche und Prüfungen | |
ergänzt werden können. | |
Mit dem Gesetz möchte Schavan Personal für Medizin- und Erzieherberufe, | |
Ingenieur- und Naturwissenschaften heben. Es gehe nicht darum, dass | |
Ungelernte aus dem Ausland einen deutschen Abschluss erhalten, so das | |
Ministerium. | |
Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, ist | |
skeptisch: "Das ist aber nur ein erster Schritt. Darüber hinaus muss auch | |
die Beratung intensiviert werden, und diese Mittel will die Ministerin | |
kürzen. Auch bei den erforderlichen Anpassungs- und Nachqualifikationen | |
besteht noch dringender Ausbaubedarf." | |
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag lobt den Entwurf vorsichtig. | |
"Wir sehen darin einen durchaus richtigen Schritt", sagt | |
DIHK-Arbeitsmarktexperte Stefan Hardege. Dennoch werde die Erschließung | |
hiesiger Potenziale nicht ausreichen. "Wir brauchen auch eine gesteuerte | |
Zuwanderung ausländischer Fachkräfte." | |
Dafür wirbt auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Er forderte am | |
Montag erneut ein Punktesystem, mit dem Einwanderungswillige etwa nach | |
Deutschkenntnissen, Alter und Qualifikation eingestuft werden. Einer | |
Auswahl nach ethnischen Kriterien erteilte er eine Absage: "Wir entscheiden | |
nach Qualität und nicht nach Region", sagt Brüderle. "Deutschland braucht | |
eine Willkommenskultur." Mit Schavan sieht er sich dabei auf der gleichen | |
Wellenlänge. | |
18 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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