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# taz.de -- Bilanz ein Jahr Schwarz-Gelb: Gesundheitsreförmchen und Lobbyismus
> Eine große Gesundheitsreform sollte es geben, die Beiträge sollten
> sinken. Stattdessen wurden das paritäische System ausgehöhlt und
> fragwürdige neue Regeln geschaffen.
Bild: Philipp Röslers Gesundheitsreform: Als großer Wurf wird sie nicht anges…
BERLIN taz | Die Sorgen bei Kassen und Patientenvertretern waren groß, als
Schwarz-Gelb antrat. Sie wuchsen, als klar wurde, dass überraschenderweise
die FDP das Gesundheitsministerium übernehmen würde. Binnen eines Jahres
sind fast alle ihre Befürchtungen wahr geworden.
Am augenfälligsten ist die Aufhebung der Parität in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Künftig wird der Anteil des Arbeitgebers am
Versicherungsbeitrag bei 7,3 Prozent eingefroren. Die restlichen 8,2
Prozent zahlt dann allein der Arbeitnehmer, ebenso künftige
Beitragssteigerungen. Und die werden zweifelsfrei kommen. Denn bei der
Finanzierung des Gesundheitssystems liegen CDU, CSU und FDP derart
miteinander über Kreuz, dass grundsätzliche Umbauten ausgeblieben sind.
Wie bei früheren Reformen bleiben auch diesmal die steigenden Kosten an den
Beitrags- und Steuerzahlern hängen. Letztere stecken jedes Jahr mehr als 15
Milliarden Euro zusätzlich ins System, um das Defizit bei der Finanzierung
der Kassen auszugleichen.
Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat zwar angekündigt, aus
Einsparungsgründen die Gewinne von Pharmaunternehmen zu kappen. Doch wie
das funktionieren soll, ist bis heute unklar. Denn Röslers Waffen im Kampf
mit der Pharmalobby könnten sich als stumpf erweisen. So schwächt die
Koalition die Macht des unabhängigen Instituts für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG.
Die Kölner Einrichtung soll Medikamente künftig nach politischen, nicht
fachlichen Vorgaben prüfen. Die besagen: Nicht die Firmen müssten mit
Gutachten und Forschungsunterlagen beweisen, dass ihr neues Medikament
einen Zusatznutzen für Patienten hat. Sondern das Institut müsste
nachweisen, dass die Arznei keinen Nutzen bringt.
Ein Ding der Unmöglichkeit und eben deshalb in letzter Minute von Unions-
und FDP-Fraktion in den Gesetzentwurf eingefügt. Angeblich ist es Zufall,
dass dieser Änderungsvorschlag ähnlich lautet wie ein entsprechender
"Vorschlag" des Lobbyverbands vfa.
Politik für Apotheker
Rösler wagt sich ebenso wenig heran an eine wichtige Klientel seiner
Partei: Ärzte und Apotheker. Während die FDP andernorts für
marktwirtschaftlichen Wettbewerb wirbt, schützt sie Apotheken vor
Konkurrenz durch Drogerien und Internetanbieter. Die rund 155.000
niedergelassenen Ärzte im Land bekommen nach mehreren Milliardenzuschlägen
in den vorigen zwei Jahren erneut rund eine Milliarde Euro mehr Honorar pro
Jahr.
Besonders dreist setzte sich der Lobbyeinfluss beim "Gesetz zur Neuordnung
des Arzneimittelmarktes" durch. Industrievertreter forderten: Kassen
dürften ihre Marktmacht nicht mehr nutzen dürfen, um durch Rabattverträge
mit Pharmaherstellern Medikamentenpreise zu drücken. Es geschah.
Die Apotheker klagten, sie müssten ihren Kunden rabattierte Arzneimittel
anbieten statt teurerer und für sie profitablerer Markenprodukte. Diese
Regel fällt. Die Privatversicherungen monierten, der Zustrom neuer
Mitglieder drohe zu versiegen. Bald muss ein potenzieller
Versicherungskunde nur noch ein Jahr auf den Wechsel zu den Privaten
warten, nicht mehr drei Jahre.
Rösler hat vieles geschafft in nur einem Jahr. Nur nicht zum Wohl der
Versicherten.
25 Oct 2010
## AUTOREN
Matthias Lohre
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