# taz.de -- Reform der Krankenversicherung: Auf Kosten der Versicherten | |
> Arbeitgeber, Sozialverbände und Gewerkschaften kritisieren die geplante | |
> Reform zur Finanzierung der Krankenversicherung als "ineffizient und | |
> ungerecht". | |
Bild: Gesundheitsreformen heißen jetzt "Patientenausplünderungsgesetze". | |
Mehr Bürokratie, Verwaltungsaufwand, Personalkosten - sowie Skepsis, ob die | |
Ziele der Gesundheitsreform jemals erreicht werden: Die Kritik von | |
Krankenkassen, Sozial- und Arbeitgeberverbänden an der von | |
Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) geplanten Reform zur Finanzierung | |
der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fiel am Montag in Berlin harsch | |
aus. | |
Der Versicherungsexperte der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände | |
(BDA), Volker Hansen, sagte bei einer Anhörung im Bundestag, die "echte | |
Abkopplung der Krankheits- und Arbeitskosten" bleibe aus, obwohl die | |
Arbeitnehmer und Steuerzahler künftige Kostensteigerungen allein tragen | |
sollen. Der vom Arbeitseinkommen erhobene Zusatzbeitrag sei so "ineffizient | |
und ungerecht" wie ein normales Beitragsplus. Weitere Einkommensarten wie | |
Kapitaleinkünfte oder Mieten müssten mit einbezogen werden, forderte der | |
Sozialverband VdK. | |
Röslers Reform sieht eine Beitragserhöhung von derzeit 14,9 auf 15,5 | |
Prozent ab 2011 vor. Alle weiteren Verteuerungen sollen ausschließlich | |
durch Kopfpauschalen, also einkommensunabhängige Zusatzbeiträge, finanziert | |
werden. Diese müssen von den Versicherten allein bezahlt werden und sind | |
nach oben offen. Übersteigt der durchschnittliche Zusatzbeitrag zwei | |
Prozent des Einkommens des Versicherten, dann erhält dieser die Differenz | |
durch einen Ausgleich aus Steuermitteln zurück. | |
Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di bezeichnete das als | |
"Patientenausplünderungsgesetz". Die Reform ist nach Angaben des | |
Gesundheitsministeriums nötig, um das Loch von etwa neun Milliarden Euro | |
bei der Gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr zu stopfen. | |
Der BDA-Experte Hansen warnte vor mehr Bürokratie, weil alle 3,5 Millionen | |
Betriebe für die Abwicklung des Sozialausgleichs verantwortlich sein | |
sollten. Die Bundesagentur für Arbeit beklagte, für das | |
Sozialausgleichsverfahren für Arbeitslose seien ein "nicht marginaler | |
Verwaltungsaufwand" und "erhebliche Zusatzkosten" nötig. Die Deutsche | |
Rentenversicherung Bund sprach von sieben Millionen Euro zusätzlichen | |
Personalkosten jährlich und appellierte, der Sozialausgleich solle über die | |
Krankenkassen abgewickelt werden. | |
Doch diese ließen durchblicken, dass sie schon genug andere Sorgen hätten. | |
So beklagte die Krankenkasse BKK, die schon jetzt Zusatzbeiträge erhebt, | |
"eine Nichtzahlerquote von 20 bis 30 Prozent". Und Doris Pfeiffer, | |
Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, rechnete vor, dass den Kassen | |
künftig Verluste in Höhe von 200 bis 400 Millionen Euro drohten, weil | |
gesetzlich Versicherte künftig sehr viel schneller in die private | |
Krankenversicherung wechseln dürfen. | |
Angesichts steigender Kosten im Gesundheitswesen prognostizierte Markus | |
Lüngen, kommissarischer Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie der | |
Universität Köln, flächendeckende Zusatzbeiträge von knapp vier Euro | |
monatlich ab 2012. Und: Bei jährlichen Kostensteigerungen von knapp zwei | |
Prozent, so Lüngen, hätte "in 15 Jahren jeder gesetzlich Versicherte | |
Anspruch auf den Sozialausgleich". | |
25 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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