# taz.de -- Debatte Gentests an Embryonen: Der weite Weg zum Kind | |
> Der schwarz-gelbe Streit über die Präimplantationsdiagnostik geht an der | |
> Wirklichkeit vorbei. Kein Wunder: Es geht um interne Machtspielchen. | |
Bild: Abbildungen von Eizellen mit Spermien nach einer künstlichen Befruchtung. | |
Schwangerschaft, siebter Monat, eine Routineuntersuchung. Die Hebamme hört | |
keine Herztöne. Der Ultraschall in einer Spezialklinik bringt Gewissheit, | |
das Kind im Bauch ist tot. Was folgt, ist das, was oft beschönigend als | |
"Spätabtreibung" bezeichnet wird: künstliche Einleitung, Wehen, Presswehen, | |
das ganze Programm. Im vollen Bewusstsein, dass das Kind, welches hier zur | |
Welt kommt, nicht atmen, nicht schreien, sondern einem genommen werden | |
wird. Später kommen noch Abstillen und Rückbildung hinzu. Ein paar Jahre | |
später dann das zweite Kind: Es kommt zwar lebend zur Welt, stirbt aber | |
nach wenigen Tagen. | |
Zerbrochene Paare | |
Es gibt Paare, die zerbrechen an der Frage nach dem Warum. Einige immerhin | |
finden eine Antwort: Wenn ein Defekt im Erbgut der Eltern, der auf das Kind | |
übertragen wurde, die Ursache für das Sterben war, dann können Ärzte das | |
heute nachweisen. Und sie können noch mehr: Sie können die | |
Wahrscheinlichkeit, dass eine neuerliche Schwangerschaft für diese Paare | |
als Tragödie endet, mit Hilfe einer sogenannten Präimplantationsdiagnostik | |
(PID) geringhalten. Dazu stellen sie im Labor künstlich Embryonen her, | |
untersuchen sie in der Petrischale auf den fraglichen Gendefekt und | |
pflanzen nur die gesunden Embryonen in die Gebärmutter ein. | |
Für Frauen, die sich dafür entscheiden, heißt das: Hormonbehandlung, | |
manchmal über Monate, Vollnarkosen, psychischer wie physischer | |
Ausnahmezustand. Die Chancen, nach dieser Prozedur schwanger zu werden, | |
liegen bei 25 bis 30 Prozent. Wer unterstellt, PID werde von | |
rücksichtslosen Egoisten in Anspruch genommen, die sich ihr "Designerbaby" | |
kreieren wollten oder gar mit werdendem menschlichen Leben | |
"experimentieren", ist entweder zynisch - oder unwissend. | |
Man kann finden, dass ein noch so legitimer Kinderwunsch Grenzen haben | |
muss. Man kann sogar zu dem Schluss kommen, dass bereits die Frage, ob es | |
richtig sei, krankes Leben von vornherein auszusortieren, ein Armutszeugnis | |
sei für eine Gesellschaft, die sich "Die Würde des Menschen ist | |
unantastbar" ins Grundgesetz geschrieben hat. Ja, der Staat ist | |
verpflichtet, menschliches Leben zu schützen. Und ja, die | |
naturwissenschaftliche Definition gilt: Menschliches Leben beginnt mit der | |
Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Nur mit der Präimplantationsdiagnostik | |
hat das wenig zu tun. Die PID selektiert nicht nach "lebenswert" und "nicht | |
lebenswert". Sie gibt Auskunft darüber, was lebensfähig ist - und was | |
todgeweiht. Sie hilft, Erbkrankheiten frühzeitig zu erkennen und damit Leid | |
zu verhindern: indem sie Schwangerschaften, die tödlich enden würden, erst | |
gar nicht entstehen lässt. | |
PID ist keine Selektion | |
Schwangerschaften, die auszutragen übrigens keiner Frau in Deutschland | |
abverlangt würde: Der Embryonenschutz ist längst relativiert. Wenn während | |
der Schwangerschaft mit Hilfe der - bei uns seit Jahren erlaubten - | |
Pränataldiagnostik im Mutterleib festgestellt wird, dass das Kind schwer | |
krank ist, dann kann die Schwangerschaft beendet werden, sogar bis kurz vor | |
der Geburt. Das ist legal und gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, und | |
das, obwohl die Pränataldiagnostik nicht unerhebliche Fehlerquoten hat. | |
Illegal und inakzeptabel soll es dagegen nach Auffassung einiger Politiker | |
sein, zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt Präimplantationsdiagnostik | |
anzuwenden, deren einziges Behandlungsziel eine intakte Schwangerschaft | |
ist. Natürlich ist der Begriff "tödlich" relativ, natürlich bleibt die | |
Frage, nach welchen Erbkrankheiten die PID suchen darf - auch nach solchen, | |
die erst nach Jahren ausbrechen? | |
An dem grundsätzlichen Wertewiderspruch aber ändert das nichts: Warum darf | |
ein künstlich gezeugter Embryo im Reagenzglas nicht untersucht werden, | |
während ein Embryo im Mutterleib jederzeit untersucht werden darf? Nach | |
dieser Logik genießt ein drei Tage alter Embryo einen höheren Schutz als | |
eine Frau oder ein Fötus mit schlagendem Herzen. | |
PID ist in vielen europäischen Ländern seit bald 20 Jahren erlaubt und hat | |
dort weder zu einer ungehemmten Massennachfrage geführt, die die PID-Gegner | |
hierzulande befürchten, noch zu empirisch nachgewiesener, wachsender | |
gesellschaftlicher Diskriminierung behinderter Menschen. Auch die viel | |
beschworenen Versuche, mit Hilfe der PID angeblich Menschen nach Maß | |
züchten zu wollen, sind ausgeblieben: Zur Bestimmung von Augen- oder | |
Haarfarbe taugt PID in Ermangelung des dazu nötigen Wissens schlicht nicht. | |
Wohl aber dazu, die Aussicht zu steigern, dass ein Leben mit Kindern, das | |
sich einige verzweifelt wünschen, überhaupt beginnen kann. | |
Schicksalsschläge kommen später immer noch genug. | |
Blaue Augen nicht auf Wunsch | |
Der Einstieg in den Abschied von der humanen Gesellschaft steht nicht zu | |
befürchten. Angela Merkel weiß das besser als andere: Sie ist | |
Naturwissenschaftlerin. Dennoch hat die Kanzlerin sich für ein Verbot der | |
PID ausgesprochen. Merkel muss das aufgebrachte konservative Lager in ihrer | |
Partei besänftigen. Zudem darf es in der zerstrittenen schwarz-gelben | |
Regierung als Affront gewertet werden, wenn ausgerechnet die FDP als | |
kleiner Koalitionspartner vehement ihre Forderung nach einer | |
Liberalisierung der PID vertritt, während das CDU-Grundsatzprogramm die | |
Diagnostik für unzulässig erklärt hat. | |
Die PID-Diskussion ist eine Scheindebatte. Sie blendet den tatsächlichen, | |
weiter reichenden Regulierungsbedarf in Fragen der medizinischen Ethik aus. | |
Das Embryonenschutzgesetz datiert von 1990. Die gesellschaftliche | |
Wirklichkeit und der medizinische Fortschritt seither sind andere. Man muss | |
deswegen nicht alles erlauben, was grundsätzlich möglich wäre. Aber man | |
muss sich dazu verhalten. | |
Der Gesetzgeber hat sich davor bislang gedrückt; jetzt hat ihm der | |
Bundesgerichtshof die Entscheidung abgenommen und die PID für zulässig | |
erklärt. Das sagt viel über den Zustand des Parlaments aus. | |
Ein kategorisches Verbot jedenfalls löst keine Probleme, sondern | |
verschließt sich der Frage, die eine der schwierigsten überhaupt ist, aber | |
von Gesellschaft und Politik beantwortet werden muss: Wie weit gehen wir | |
für ein Kind? | |
25 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## TAGS | |
Wissenschaft | |
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