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# taz.de -- Migration in Europa: Wer bleiben will, muss arbeiten
> Nach Deutschland kommen immer weniger Menschen, nach Spanien immer mehr.
> In allen Ländern steht eines im Mittelpunkt der Wanderungsbewegungen: die
> Arbeit.
Bild: Illegale Immigranten befinden sich in einem Fischerboot das im Hafen von …
## EUROPA
Theoretisch ist der Rechtsrahmen für gesteuerte Zuwanderung in der EU schon
gesetzt. Im Mai 2009 einigten sich die Mitgliedstaaten nach jahrelangem
Streit auf die sogenannte Blue Card, die der Green Card in den USA
nachempfunden ist. Das EU-Parlament hatte bereits 2008 zugestimmt. Die
Einigung kam aber nur zustande, weil der Kommissionsvorschlag stark
verwässert wurde. Mehrere Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, hätten
sonst ihr Veto eingelegt.
Nach dieser Richtlinie, die bis Mai 2011 in den Mitgliedstaaten umgesetzt
sein muss, kann ein Bewerber aus einem Land außerhalb der EU eine
Arbeitserlaubnis für zwei Jahre bekommen. Sie gilt nur für das Land, wo der
Antrag gestellt wurde. Für eine Verlängerung braucht es einen
Arbeitsvertrag für eine Stelle, deren Gehalt mindestens das 1,5-fache des
Durchschnittsgehalts in dem Land beträgt. Für Branchen, wo dringend
Arbeitskräfte gesucht werden, reicht das 1,2-fache.
Doch die Regelung schafft nur auf dem Papier Klarheit. Es steht den
EU-Ländern frei, die Gehaltsschwelle höher anzusetzen. Dennoch ist die
EU-Kommission überzeugt, dass nun Hochqualifizierte in Scharen nach Europa
kommen werden. Gegenwärtig gehören nach einer Statistik der Kommission aber
nur 1,7 Prozent der Arbeitnehmer aus Drittstaaten zu dieser Gruppe, in den
USA sind es 3,2 Prozent, in Kanada sogar 7,3 Prozent.
## DEUTSCHLAND
Seit 1973 fand keine systematische Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte
mehr statt. Im Jahr 2000 wurde allerdings eine Greencard für ausländische
IT-Spezialisten eingeführt. Dieses Programm wurde inzwischen auf
Hochqualifizierte vieler Branchen ausgeweitet.
Derzeit gilt: Wer einen Arbeitsvertrag mit mindestens 66.000 Euro
Jahresverdienst hat, kann in Deutschland bleiben. Bei denen, die weniger
verdienen, muss der Arbeitgeber nachweisen, dass er die Stelle nicht mit
einem Deutschen oder einem EU-Bürger besetzen kann.
In den letzten Jahren kamen Ausländer überwiegend über den Familiennachzug
ins Land. Seit 2007 müssen Ehegatten aus den meisten Staaten aber einen
Sprachtest bestehen. Erst seit 2000 erhalten hier geborene Migrantenkinder
den deutschen Pass. In den 1980er und 90er Jahren kamen viele Flüchtlinge
nach Deutschland. An die Stelle des 1993 weitgehend abgeschafften
Grundrechts auf Asyl trat die Genfer Flüchtlingskonvention. Über die
EU-Außengrenzen kommen aber kaum noch Flüchtlinge nach Europa.
Wer seit mehr als sechs Jahren nicht aus Deutschland abgeschoben werden
konnte, kann ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten, wenn er bis Ende 2011
einen Job nachweist.
## ITALIEN
Italien braucht immer mehr ImmigrantInnen - die das Land zugleich aber
nicht so recht will. Ganze Sektoren wie die häusliche Pflege, von der
Altenbetreuung bis zum Babysitting, das Bauwesen, die Landwirtschaft, aber
auch Drehereien oder Gerbereien in der Industrie könnten ohne die
zugewanderten Arbeitskräfte sofort zumachen. Die aber kriegen als
Dankeschön neben oft genug miserablen Arbeitsbedingungen und Löhnen auch
noch die hochoffizielle staatliche Schikane geboten.
Das gültige Zuwanderungsgesetz tut so, als seien die Menschen bloß hier, um
zu schuften - und dann wieder abzureisen. Wer den Job verliert, hat sechs
Monate Zeit, eine neue Stelle zu finden, anderenfalls ist er die
Aufenthaltserlaubnis los und wird zum "Illegalen". Aufenthaltsgenehmigungen
gibt es erst mal bloß für ein Jahr, bei unbefristeten Stellen für zwei
Jahre. Nur wer seit mehr als sechs Jahren im Land lebt, darf eine
unbefristete Aufenthaltserlaubnis beantragen.
Neben diese ausländerrechtlichen Schikanen trat in den letzten Jahren aber
die offen politisch motivierte Schikanierung durch viele Kommunen im
Norden. Dort regiert fast überall die fremdenfeindliche Lega Nord und sie
bedeutet den Zuwanderern durch die Verweigerung zum Beispiel von für
Italiener vorgesehenen kommunalen Mietzuschüssen oder anderen
Sozialleistungen, dass sie "unerwünscht" sind. Derzeit gibt es außerdem
eine Debatte über ein Punktesystem. Das ist durchaus bizarr, weil die
meisten Zuwanderer im Schnitt eine bessere Schulbildung als die Italiener
haben.
## Umgang mit Illegalen in ausgewählten EU-Staaten:
Legende: EU-Staaten mit den meisten Illegalen im Vergleich zu Deutschland.
Quelle: eurostat
Die Daten gibt es auch hier als [1][Download].
In Zusammenarbeit mit: Daniela Weingärtner, Rudolf Balmer, Reiner Wandler,
Christian Rath, Michael Braun, Reinhard Wolff
## DÄNEMARK
100 Punkte. Dazu der Nachweis einer Krankenversicherung und eines
Finanzpolsters von rund 10.000 Euro. Dann öffnen sich für
Nicht-EU-AusländerInnen die Grenzen nach Dänemark. Man kann eine Green Card
beantragen und mit dieser auch ohne einen Arbeitsvertrag eine
Aufenthaltserlaubnis für sechs Monate bekommen und sich einen Job suchen.
Hat man den gefunden, gibt's anschließend automatisch eine dreijährige
Aufenthaltserlaubnis.
Die Green-Card-Ordnung wurde von der in Einwanderungsfragen ansonsten
äußerst restriktiven konservativ-liberalen Regierung im Oktober 2007
eingeführt. Das Motto dabei: "Keine freie, aber eine intelligente
Einwanderung". Das Punktesystem soll zeigen, ob der Zuwanderer hinreichende
Chancen hat, tatsächlich einen Job zu finden.
Für eine abgeschlossene Masterausbildung gibt es beispielsweise 50 Punkte.
15 "Jugendpunkte" bekommt, wer jünger als 34 Jahre ist. Eine Ausbildung in
einem EU-Land gibt bis zu 10 Punkte wegen besserer "Anpassungsfähigkeit".
Übt man einen Mangelberuf aus, der auf einer speziellen "Positivliste"
steht und hat bereits einen Arbeitsvertrag, kann man eine
Aufenthaltserlaubnis für sich und die Familie bekommen.
Das gilt auch für Asylsuchende, für die sich Dänemark ansonsten mit einem
Minimalsozialhilfesatz, scharfer Anerkennungs- und rigoroser
Abschiebepraxis so unattraktiv wie möglich macht. Selbst mit dänischem Pass
darf man den Ehegatten nicht einfach nachholen - 28 Jahre Staatsbürger muss
man gewesen sein, bevor das geht. Seit 2001 wurde das Ausländerrecht 14 Mal
verschärft.
## FRANKREICH
Präsident Sarkozy fordert seit Langem eine "Selektion" der Einwanderung
nach der Nützlichkeit für den Arbeitsmarkt (Fachkräfte) oder für das
Ansehen der Republik (Sportler, Künstler, Forscher). Wer von außerhalb der
EU nach Frankreich kommt, um dort zu leben und zu arbeiten, muss einen
Integrationsvertrag unterschreiben.
Auf die 2007 beschlossene Einführung von DNA-Tests bei Anträgen auf
Familienzusammenführung hat der heutige Immigrationsminister verzichtet.
Die, die ihre Familie nachholen möchten, müssen aber unter anderem belegen,
dass sie über ein Einkommen verfügen, das dem 1,2-fachen des Mindestlohnes
entspricht.
Die französische Integrationspolitik sollte seit je die Zuwanderer in
assimilierte Staatsbürger verwandeln. Noch gilt: Wer auf französischem
Boden zur Welt kommt und dort lebt, hat mit 18 Anspruch auf den
französischen Pass.
Dieses Recht wurde indes durchlöchert. Die neueste Auflage schafft
Eingebürgerte auf Bewährung: Wer wegen schweren Verbrechen verurteilt wird,
muss den Pass wieder abgeben. Zudem gibt es neue Mittel zur Ausweisung von
"unerwünschten" Ausländern. Auch EU-Bürger, die wegen "aggressivem Betteln"
oder Diebstählen auffallen oder der Sozialfürsorge zur Last fallen, können
abgeschoben werden.
## IRLAND
Um Einwanderung musste sich Irland früher nie Gedanken machen: Jedes zweite
Kind, das hier geboren wurde, wanderte später aus. Dann kam der
Wirtschaftsboom der 1990er Jahre und mit ihm die Immigranten. Anfangs waren
es vor allem irische Rückkehrer, doch seit 2000 kommen viele Menschen aus
Nicht-EU-Ländern.
Außer Irland haben nur Großbritannien und Schweden den Menschen aus den
neuen EU-Mitgliedern 2004 uneingeschränkten Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt
gewährt.
Allerdings sind Sozialleistungen seitdem von einem ständigen Wohnsitz in
Irland abhängig und die Bedingungen für Nicht-EU-Bürger wurden
restriktiver. Zuvor entschieden die Arbeitgeber, wen sie einstellten. Nun
müssen sie beweisen, dass sie für einen Job keinen geeigneten Iren finden.
Seit 2009 gibt es gar keine Arbeitsgenehmigungen für Jobs mit einem
Jahresgehalt unter 30.000 Euro, Hochqualifizierte sind aber willkommen.
Integrationspolitik gibt es so gut wie gar nicht, aber offener Rassismus
ist selten. Irland hat wieder die höchste Auswanderungsrate in der EU, sie
lieg sogar doppelt so hoch wie im an zweiter Stelle platzierten Litauen.
Und es sind nicht mehr nur die Immigranten, die das Land verlassen, wie zu
Beginn der Rezession. Die Zahl der auswandernden Iren stieg 2010 um 50
Prozent.
## SPANIEN
Spanien versteht sich nicht als Einwanderungsland. Integrationspolitik
gehört zum Arbeits- und Immigrationsministerium und wird von einer
Generaldirektion, die der Staatssekretärin für Immigration untersteht,
betreut.
Das niedrige Profil ist kein Zufall - es dreht sich alles um die Arbeit.
Wer eine Arbeitserlaubnis und einen Job hat, bekommt die
Aufenthaltsgenehmigung verlängert. Wer arbeitslos wird, muss gehen oder
sich illegal durchschlagen.
Immigranten in Spanien leben deshalb ständig mit der Angst, in die
Illegalität abzurutschen. Die Zahl der Illegalen wird seit Jahren auf rund
eine Million Menschen geschätzt. Legalisierungskampagnen zeigen nur
kurzzeitig Wirkung.
Der sozialistische Regierungschef José Luis Zapatero will die Bestimmungen
leicht ändern. Künftig sollen arbeitslose Immigranten bleiben dürfen, falls
ihr/e PartnerIn einen Job hat. Sind beide arbeitslos, müssen sie gehen.
Es gibt nur ein Schlupfloch: Wer belegt, dass er seit zwei Jahren im Land
ist und arbeitet, kann wegen "Verwurzelung in der Arbeitswelt" Papiere
beantragen. Als "sozial verwurzelt" gilt, wer drei Jahre illegal in Spanien
gelebt hat. Auch er kann eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, aber nur,
wenn er einen Job sicher hat.
27 Oct 2010
## LINKS
[1] http://spreadsheets.google.com/ccc?key=0Al_3wL1TZipFdElyRWRKdGczRDhwdTRueGJ…
## AUTOREN
## TAGS
Einwanderungsland
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