| # taz.de -- Asylpolitik in Bayern: Kampf gegen Essenspakete | |
| > Sie wollen selber entscheiden, was sie essen: Asylbewerber kämpfen in | |
| > Bayern gegen Essenspakete und Sammelunterkünftige. Der Freistaat beharrt | |
| > auf den Sachleistungen. | |
| Bild: Die Wohnsituation in Sammelunterkünften ist menschenunwürdig und löst … | |
| MÜNCHEN taz | Ihr Aufstand sei sinnlos, haben die Vertreter der Regierung | |
| gesagt. Sie waren nach Denkendorf gekommen, um den Streik der Asylbewerber | |
| zu beenden. Doch die Flüchtlinge wollen weitermachen. Seit Dienstag | |
| vergangener Woche verweigern in der Gemeinschaftsunterkunft im | |
| oberbayerischen Denkendorf 19 Asylbewerber die Annahme der Essenspakete, | |
| die ihnen die Behörden zur Verfügung stellen. Ihre Forderung: Sie wollen | |
| Bargeld, um sich ihr Essen selbst zu kaufen, wie die Asylbewerber in | |
| anderen Bundesländern auch. | |
| Das Asylbewerberleistungsgesetz mag in der Bundesrepublik gelten, doch mit | |
| seiner Umsetzung halten es die Bundesländer unterschiedlich. Während Länder | |
| wie Berlin oder Nordrhein-Westfalen den Asylbewerbern die gewährten | |
| Leistungen zu großen Teilen in Geld auszahlen, beharrt Bayern streng auf | |
| dem Sachleistungsprinzip. Bar in die Hand bekommen die Flüchtlinge nur | |
| 40,90 Euro im Monat - als Taschengeld. | |
| Bayerns Auslegung des Bundesgesetzes regelt eine Verordnung von 2002, | |
| unterschrieben vom damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Das Papier | |
| schreibt fast immer die Unterbringung von Asylbewerbern in | |
| Sammelunterkünften vor. Dies, so heißt es in dem Papier, "soll die | |
| Bereitschaft zur Rückkehr ins Heimatland fördern". | |
| Nach Angaben des Sozialministeriums gibt Bayern jeden Monat 676 Euro für | |
| jeden Asylbewerber aus, 238 Euro davon für die Unterbringung in den | |
| umstrittenen Gemeinschaftsunterkünften. Der Bayerische Flüchtlingsrat geht | |
| in einem eigenen Gutachten von weit höheren Kosten aus: 400 bis 500 Euro | |
| für die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. Würde Bayern seine | |
| Asylbewerber, wie andere Länder auch, in Privatwohnungen leben lassen, | |
| könne man jährlich 2,83 Millionen Euro sparen, so der Flüchtlingsrat. | |
| Fester Bestandteil der Asylpolitik nach bayerischer Art sind ebenso die | |
| Essenspakete. Die Flüchtlinge können aus einem beschränkten Sortiment | |
| bestellen und erhalten zwei Lieferungen die Woche. Betroffene berichten | |
| schon seit Jahren von der bescheidenen Qualität der gelieferten | |
| Nahrungsmittel. Obst und Gemüse seien oft überreif, Milchprodukte nahe am | |
| Verfallsdatum. | |
| Laut der bayerischen Verordnung stehen einem alleinstehenden Flüchtling im | |
| Monat Lebensmittel im Wert von 132,94 Euro zu. Als die Regensburger | |
| Bürgerinitiative Asyl vor wenigen Wochen zum Test den Inhalt eines | |
| Essenspakets bei einem örtlichen Discounter nachkaufte, bestätigte sich für | |
| die Aktivisten ein lang gehegter Verdacht: Der reale Wert der Essenspakete | |
| liegt deutlich unter den zugesagten 132,94 Euro. Für ein Nahrungspaket mit | |
| so bodenständigem Inhalt wie 150 Gramm Zwiebeln, 500 Gramm Reis und 100 | |
| Gramm Schnittkäse bezahlten sie auf den Monat gerechnet nur 120,73 Euro. | |
| "Es ist zu befürchten, dass sich Bayern so lange weigert, die Essenspakete | |
| abzuschaffen, bis der Bundestag eine Neuregelung beschließt", meint Stefan | |
| Klingbeil vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Die Asylbewerber aus Denkendorf | |
| wollen dennoch weiter gegen die Essenspakete protestieren und sich ohne die | |
| Lieferungen ernähren. Klingbeil sagt, eine Gruppe wolle den Protest | |
| fortführen, bis sich der Bundestag mit dem Leistungsgesetz befasse. | |
| 18 Nov 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Hübner | |
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