# taz.de -- Halbzeitbilanz im Atom-Spiel: 3:2 für die Flügelkämpfer | |
> Der Castor-Transport ist in Dannenberg - Halbzeitpause in einem Spiel, | |
> das die Staatsgewalt gewinnen wird. Doch noch liegen die Atomkraftgegner | |
> in Führung. Ein Spielbericht. | |
Bild: Wie gerne würden wir jetzt hören: "Aus! Aus! Das Spiel ist aus!" | |
Das gibt es ja bekanntlich nur selten: Dass ein packendes Spiel schon nach | |
der Halbzeitpause in die Verlängerung geht. Kurz nachdem der | |
niedersächsische Rumpelverein Hannover 96 in der Fußballbundesliga am | |
Wochenende mit 4:0 eine haushohe Schlappe gegen Borussia Dortmund | |
einstecken musste, machen die Amateursportler aus dem Wendland es ihnen | |
vor. | |
Die zweite Hälfte im Atom-Fight, so viel lässt sich sagen, wird nur mit | |
einigen Stunden Verspätung beginnen können. Es ist Halbzeit im Wendland und | |
mit der Halbzeit ist auch ein Seitenwechsel verbunden. Während der Atommüll | |
derzeit von der Schiene auf die Strecke verladen wird und stundenlang | |
stillsteht, lautet die Zwischenbilanz: 3:2 für die Atomkraftgegner. | |
Denn kampfstark hatten sich Atomkraftbewegte mit aktivem Pressing bereits | |
in der Aufwärmphase in Frankreich und Süddeutschland immer wieder in den | |
Strafraum bewegt und gingen dann am Samstag durch einen mächtig-friedlichen | |
Gewaltauftritt in Dannenberg in Führung. Auf einem kaum | |
kreisklassetauglichen Acker waren 50.000 Menschen zur größten | |
Anti-Castor-Demonstration der deutschen Geschichte aufgelaufen. Keine | |
Frage: 1:0. | |
Kurze Zeit später dann, Sonntagfrüh, drangen frisch eingewechselte | |
Castorstürmer über die Seitenflügel der Schienenstrecken zum zweiten | |
Treffer. Bis zu 4.000 Menschen, darunter rund 200 Autonome, hatte die | |
Initiative Castor Schottern mobilisiert – und mit der bewährten | |
Fünf-Finger-Taktik auch stolze Vorstöße in den Gleisbetten realisiert. | |
Trotz hässlicher Fouls von Vermummten am Rande und einiger Platzverweise. | |
An manchen Stellen drangen friedliche Schotterer vor, an einer Stelle | |
buddelten sie auf einer Strecke von 150 Metern am Schotter rum. Zack, bumm, | |
peng: 2:0. | |
Die Polizei drang aber auf Ausgleich, ging mit harten Abwehrkämpfen gegen | |
die vorpreschende Bewegung vor. Sie setzte auf druckvolles Spiel, kämpfte | |
mit aller Entschlossenheit in breiter Front. Schlagstöcke und Tränengas, | |
Wasserwerfer, Pfefferspray machten die Gegner mürbe – das war der Anschluss | |
in der Mitte der ersten Hälfte. Glasklar: 2:1. | |
Der weitere Verlauf war dann erneut klar dominiert von den | |
Atomkraftgegnern. Besonders beachtlich: Als bis zu 5.000 Öko-Fans in einem | |
Waldstück bei Harlingen auf die Schienen drangen – und dort entschlossen | |
ausharrten. Parallel dazu sperrten Bauern die Zufahrtswege ab. Kein | |
Durchkommen für die Polizei, keine Chancen im Spielverlauf. Und da stand | |
es: 3:1. | |
Doch es kam die Quittung. Nach über zwölf Stunden auf den Gleisen setzte | |
die Polizei zum Gegenschlag an. Mit einer entschlossenen | |
Mann-zu-Mann-Deckung transportierte sie alle Sitzblockierer einzeln ab, | |
sperrte sie dann in einem extra errichteten Wiesen-Knast ein. Nach 19 | |
Stunden Sitzblockade war die Strecke wieder frei, die Castoren konnten | |
routiniert passieren. Natürlich: 3:2, Anschlusstreffer. | |
Damit geht die Polizei stark ermüdet, aber auch mit einem stolzen Abgang in | |
die Pause eines Schlagabtausches, den sie noch nie verloren hat. Zwar | |
wärmen sich derzeit bei Temperaturen knapp über null Grad vor dem | |
strahlenverwöhnten oberirdischen Zwischenlager in Gorleben rund 1.200 | |
Menschen für die zweite Halbzeit auf. Dann soll der Transport auf der | |
Straße ins Zwischenlager Gorleben gebracht werden. | |
Doch dass am Ende stets die Polizei gewinnt, ist eine gute Tradition beim | |
größten Protestspiel des Jahres. Vor dem Anpfiff im Wendland ist die | |
Stimmung gut, die Laune heiter. Dagegen hört man aus der Politik: Kaiser | |
Franz Beckenbauer soll unglücklich sein. Beim FC Bayern, bemängelte der | |
Ehrenpräsident des Fußballrekordmeisters nicht zu Unrecht, ist "keine | |
Harmonie in der Mannschaft". | |
8 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Jörn Alexander | |
Martin Kaul | |
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