# taz.de -- Proteste im Wendland: Ausflug ans Gleisbett | |
> Tausende Berliner sind zu den Anti-Castor-Protesten ins Wendland gereist. | |
> Viele beteiligen sich am Schottern - nicht nur junge Menschen, sondern | |
> auch ein 71-Jähriger. | |
Bild: Auch wenn diese Frage immer noch nicht mit "nein" beantwortet wird, hat d… | |
Es ist schon wieder dunkel und kalt, als am Sonntagabend die Schotterer aus | |
den Wäldern in ihr Zeltlager nach Köhlingen zurückkehren. Ihr wohl ältester | |
Mitstreiter versorgt sich erst Mal mit wärmender Vokü, Gemüsesuppe. "Ganz | |
in Ordnung" sei es gelaufen, sagt Herbert Thiel*, 71-jähriger Kreuzberger. | |
Zwar sei er zum Schottern an die Gleise gelangt, den Castor hat er damit | |
aber nicht aufgehalten. | |
Atomkraft sei eigentlich nicht sein Thema, sagt Thiel. Momentan beschäftige | |
er sich eher mit Community Gardening. Aber nachdem Schwarz-Gelb den | |
Atomkonsens aufgekündigt habe müsse jetzt Widerstand geleistet werden. "Und | |
zwar effektiv." | |
Ausgerüstet mit Bauhandschuhen und grauer Wollmütze hat sich Thiel am | |
Sonntag um fünf Uhr morgens bei Minusgraden in einer 200-köpfigen | |
Schotterergruppe auf den Weg gemacht. Wie neun andere Großtrupps zieht sie | |
kilometerweit durch Wälder und matschige Pferdekoppeln zu den Gleisen, auf | |
denen wenig später der Castor nach Dannenberg rollen soll. Polizisten | |
werden abgeschüttelt, und irgendwann auf einem Feld ist die Lücke da: | |
Gemächlich, aber zielstrebig, klettert Thiel immer wieder kurz ins | |
Gleisbett, wühlt Schottersteine beiseite. Natürlich habe er Angst vor der | |
Polizei gehabt, sagt er kurz darauf. "Aber ich hatte wohl einen | |
Altersbonus." Er sei blessuren-frei durch den Tag gekommen. | |
Thiel ist einer von vielen Berlinern, die sich bei den Großprotesten im | |
Wendland tummelten. Max Ludwig*, 24-jähriger Student und Aktivist der | |
linksradikalen Gruppe Avanti, steht zwischen den 30 weißen Großzelten und | |
zwei blau-roten Zirkuszelten im Camp Köhlingen. Mehrere hundert Berliner | |
sind hier untergekommen. Es ist das Camp für Castor-Protestler aus dem | |
Norden der Republik. Für die Radikaleren. Köhlingen ist das Schotter-Camp, | |
inoffiziell. | |
Max Ludwig ist zum ersten Mal im Wendland. Seit Monaten war er an den | |
Protestvorbereitungen beteiligt, koordinierte Fahrten von Berlin ins | |
Wendland. 22 Busse seien allein über seine Koordinationsgruppe abgefahren, | |
sagt Ludwig, mit über 1.500 Berlinern. "Am Ende hätten wir noch fünf Busse | |
mehr füllen können." Viele andere sind privat, per Zug oder mit Bussen der | |
Grünen oder Umweltgruppen ins Wendland gereist. Sie bevölkern am Samstag | |
die Groß-Kundgebung in Dannenberg oder beteiligen sich an Sitzblockaden, | |
einige auch noch am Montag. | |
"Der Klimakonflikt ist eine der zentralsten Fragen heute", sagt | |
Neu-Castor-Protestler Ludwig. Darum sei er hier. Beeindruckend sei die | |
Vorbereitung, die penibel geplante Organisation der Proteste gewesen. Vor | |
allem der Schotterer. "Das habe ich so noch nirgends erlebt." Tatsächlich | |
hält der Aktionskonsens der Schotterer am Sonntag. Keine Eskalation - Ziel | |
sind die Gleise, nicht Polizisten. In den Wäldern wird immer wieder kurz | |
gehalten, um sich über das weitere Vorgehen abzustimmen. Als die Schotterer | |
die Schienen erreichen, teilen sie sich in zwei Gruppen auf: Der "Schutz" - | |
gepolstert mit Heu und Schaumstoff unter den Jacken, mit Planen und | |
Luftmatratzen - hält die Schlagstöcke der Polizisten ab, während die | |
anderen schottern. Auf Signal wird sich wieder in die Wälder verstreut, um | |
Festnahmen zu entkommen. | |
"Hinter dem heutigen Tag steckt monatelange Vorbereitung", sagt Jens | |
Friedrich von der Berliner "Interventionistischen Linken". Seit zehn Jahren | |
engagiert er sich gegen Castor-Transporte, diesmal als einer der | |
Organisatoren des Schotterns. Viele Gruppen, die sich bisher anderen Themen | |
gewidmet hatten, hätten das Wendland neu für sich entdeckt, sagt Friedrich. | |
"Da haben sich neue Bündnisse geschmiedet, die künftig zusammen Einiges | |
bewegen werden." | |
Werner Fink, 51 Jahre, bis vor 15 Jahren Kreuzberger, dann Allgäuer, gehört | |
zu den gestandeneren Schotterern in Köhlingen. Eine neue Qualität hätten | |
die Castor-Proteste diesmal gehabt, sagt Fink. Viele "Alte", die er noch | |
aus Kreuzberg kenne, habe er jetzt wiedergesehen - nachdem man seit Jahren | |
nichts mehr politisch zusammen gemacht habe. Und: "Viele sind inzwischen | |
mit ihren Kindern da, der Protest geht in die nächste Generation." | |
*Name geändert | |
9 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Castor-Reaktionen in Frankreich: Medienbluff der Atomkraftgegner | |
Die Castorblockade ist nicht länger ein rein deutsches Thema. Auch in | |
Frankreich findet der Protest gegen die Atomkraft zunehmend Raum in der | |
Berichterstattung. | |
Halbzeitbilanz im Atom-Spiel: 3:2 für die Flügelkämpfer | |
Der Castor-Transport ist in Dannenberg - Halbzeitpause in einem Spiel, das | |
die Staatsgewalt gewinnen wird. Doch noch liegen die Atomkraftgegner in | |
Führung. Ein Spielbericht. | |
Sitzblockade in Gorleben: Kein Pfefferspray | |
Fabian macht zum ersten Mal bei einer Castor-Blockade mit. Gerade Anfängern | |
wie ihm wollen die Organisatoren einen unterstützenden Rahmen bieten. | |
"Krass drauf sein", sei kein Ziel. |