# taz.de -- Bofinger über G20 und die Weltwirtschaft: "Die deutsche Politik is… | |
> Deutschland muss etwas für die Gesundung der Weltwirtschaft tun, fordert | |
> der Ökonom Peter Bofinger. Staat und Wirtschaft sollten vor allem mehr | |
> Geld investieren. | |
Bild: Gebt mehr Geld aus! fordert der Wirtschaftsweise Bofinger. | |
taz: Herr Bofinger, vor dem G-20-Gipfel hat die US-Notenbank entschieden, | |
abermals 600 Milliarden Dollar in die Wirtschaft zu pumpen. Führt uns das | |
geradewegs in die nächste Finanzkrise? | |
Peter Bofinger: Das halte ich insgesamt für wenig wahrscheinlich. In den | |
USA ist der Immobilienmarkt noch immer sehr schwach. Die Preise sinken | |
eher, als dass sie steigen. Anders ist die Lage in manchen Schwellenländern | |
wie China. Dort haben die Immobilienpreise inzwischen eine bedenkliche Höhe | |
erreicht. Es würde mich überraschen, wenn dabei keine neue Finanzblase | |
entstünde. | |
Warum sind übertriebene Preiserhöhungen zum Beispiel bei Immobilien | |
gefährlich? | |
Weil es sehr lange dauert, bis neue Immobilienprojekte am Markt ankommen | |
und in der Zwischenzeit keine Rückmeldung durch das Preissystem | |
stattfindet. Am Ende droht die Implosion - Preisverfall, | |
Bankenzusammenbrüche, zunehmende Arbeitslosigkeit. Die US-amerikanische | |
Immobilienkrise der letzten drei Jahre lässt grüßen. | |
Was können Staaten wie China gegen die Dollarschwemme tun? | |
China hat das Problem, dass es sich dazu entschlossen hat, den Wert seiner | |
Währung an den Dollar zu binden. Es muss deshalb seine Leitzinsen künstlich | |
niedrig halten, ähnlich wie die Fed. So bläht das billige Geld die | |
chinesische Blase weiter auf. Würde Peking die Zinsen erhöhen, strömte noch | |
mehr Kapital ins Land. China steckt in einer Zwickmühle. | |
Die G 20 ist eigentlich angetreten, diese Probleme zu lösen. Warum | |
funktioniert das nicht? | |
Die G 20 ist bisher unfähig, eine vernünftige Koordination zu | |
bewerkstelligen. Die Finanzmärkte sind global organisiert, aber die Politik | |
der Staaten orientiert sich überwiegend an den nationalen Interessen. Wir | |
erleben eine egoistische Politik in einer hochgradig vernetzen | |
Weltwirtschaft. Auch die deutsche Wirtschaftspolitik ist autistisch. | |
Ausnahmsweise sieht es in Deutschland mal gut aus, die Leute finden wieder | |
Arbeit. Wieso sprechen Sie da von Autismus? | |
Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist zwar erfreulich. Aber | |
was macht die Regierung? Sie hat die Schuldenbremse erfunden. Hätten die | |
USA und China während der Krise eine ähnliche Sparpolitik betrieben, wäre | |
die Weltwirtschaft zusammengebrochen. | |
Jetzt jedoch liegt die Finanzkrise hinter uns. Die Staaten haben riesige | |
Schuldenberge aufgehäuft - auch Deutschland. Hohe öffentliche Schulden, | |
noch mehr billiges Geld - diese Strategie birgt doch enorme Risiken. | |
Natürlich muss die Bundesregierung versuchen, die Neuverschuldung | |
allmählich zu verringern. Aber sie darf darüber nicht vergessen, zu | |
investieren. Der Spielraum dafür ist jetzt vorhanden, denn die | |
Steuereinnahmen steigen wieder. | |
Die US-amerikanische und die französische Regierung werfen Deutschland vor, | |
andere Staaten durch zu hohe Exporte zu schädigen und zu wenig für unsere | |
Entwicklung im Innern zu tun. Ist dieser Vorwurf berechtigt? | |
In Deutschland wird tatsächlich zu wenig investiert. Wegen der angespannten | |
öffentlichen Finanzen hat sich der Staat im vergangenen Jahrzehnt sehr | |
zurückgehalten. Verkehrsinfrastruktur, transnationale Bahnlinien, | |
Lärmschutz - es gibt viele Aufgaben, die nicht erledigt worden sind. Weil | |
die Reallöhne nicht stiegen, konnten außerdem die Privathaushalte keine | |
großen Sprünge machen. Darunter haben die Investitionen in private | |
Immobilien gelitten. Und auch die Unternehmen haben weniger Geld in neue | |
Anlagen gesteckt als früher. | |
Was schlagen Sie vor? | |
Ein Investitionsprogramm für die öffentlichen Infrastruktur. Auch sollte | |
die Abgeltungsteuer auf Zinseinnahmen abgeschafft und wieder eine | |
Versteuerung zum individuellen Steuersatz eingeführt werden. | |
Warum? | |
Durch den niedrigen Satz von 25 Prozent werden heute Gewinne aus | |
Finanzgeschäften begünstigt. Investitionen in Produktion und | |
Dienstleistungen haben dagegen einen Nachteil, weil für deren Erträge | |
höhere Steuersätze gelten. Auch die Grundsteuer auf den Erwerb privater | |
Immobilien sollte man überdenken. Würde der Staat sie in den ersten Jahren | |
stunden, wirkte das als Anreiz, mehr Eigentumswohnungen und Häuser zu | |
bauen. Als starkes Land muss Deutschland seine Verantwortung wahrnehmen und | |
mehr für die Gesundung der Weltwirtschaft tun. | |
11 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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