# taz.de -- Streit um "Stuttgart 21": Grünes Gutachten, Schwarzmalerei | |
> Verfassungsrechtler Meyer hält die Finanzierung des Großprojekts für | |
> verfassungswidrig. Minister Ramsauer wird der Falschaussage bezichtigt. | |
> Und Merkel meint: Ohne Bahnhof kein Vorankommen. | |
Bild: Auf Tuchfühlung mit einem "Stuttgart 21"-Gegner: CDU-Fraktionschef im ba… | |
STUTTGART/KARLSRUHE dpa/dpad/afp/rtr | Die Finanzierung des umstrittenen | |
Bahnprojekts Stuttgart 21 durch das Land Baden-Württemberg ist nach einem | |
Gutachten im Auftrag der Grünen verfassungswidrig. Sowohl der | |
milliardenteure Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs wie auch die ICE-Trasse | |
nach Ulm seien ausschließlich Bundesaufgaben. Baden-Württemberg habe nicht | |
das Recht, das Projekt mitzufinanzieren, betonte der Verfassungsrechtler | |
Professor Hans Meyer von der Berliner Humboldt-Universität am Montag in | |
Stuttgart. Die Grünen im Landtag sehen sich in ihrer langjährigen | |
Auffassung bestätigt. | |
Nach dem Grundgesetz sei die Co-Finanzierung durch Land und Stadt vor allem | |
deshalb verboten, damit sich reiche Länder keine Bundesinvestitionen kaufen | |
könnten, sagte Meyer. Land, Stadt und Region finanzieren das 4,1 Milliarden | |
Euro teure Vorhaben Stuttgart 21 etwa zu je einem Drittel. Das Land steuert | |
zu den 2,9 Milliarden Euro für die ICE-Trasse nach Ulm 950 Millionen Euro | |
bei. Da die Verträge nichtig seien, könne etwa das Land sein Geld | |
zurückfordern oder gar nicht erst weiter zahlen, sagte Meyer. | |
Nach den Worten von Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann zeigt das | |
Gutachten aus Berlin einmal mehr, wie unseriös der Bahnprojekt geplant sei. | |
Sollten die Grünen nach der Landtagswahl im März 2011 das Sagen haben, | |
werde man das Geld nicht zahlen beziehungsweise zurückfordern. | |
Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Bahnprojekt werden | |
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) offenbar vom Bundesrechnungshof | |
(BRH) Falschaussagen vorgeworfen. Dies berichtet die Stuttgarter Zeitung | |
und zitiert dabei aus einem Brief von BRH-Vizepräsident Norbert Hauser an | |
den Haushalts- und Verkehrsausschuss des Bundestages vom 8. November. Darin | |
bestreitet Hauser, dass der Rechnungshof sein Einvernehmen zu den | |
Finanzierungsverträgen für "Stuttgart 21" und die Neubaustrecke | |
Wendlingen/Ulm erklärt hatte. Dies hatte der Bundesverkehrsminister in | |
einem Bericht vom 28. September an den Bundestag zu der Kostensteigerung | |
für das Gesamtprojekt "Stuttgart 21" behauptet. | |
Die Zeitung zitiert Hauser mit den Worten, der BRH habe nie sein | |
Einvernehmen zur Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarungen beider | |
Vorhaben erklärt. Vielmehr sehe Hauser die Kritik der Rechnungsprüfer an | |
den Projekten durch die Kostensteigerung "grundsätzlich bestätigt". | |
Laut den neuen Berechnungen der Deutschen Bahn von Ende Juli gibt es bei | |
der geplanten Neubaustrecke eine Kostensteigerung von 865 Millionen Euro. | |
Damit steigen die Gesamtkosten der Neubaustrecke auf rund 2,89 Milliarden | |
Euro. Dadurch kostet das Gesamtprojekt "Stuttgart 21" rund sieben | |
Milliarden Euro. | |
Merkel: Juchtenkäfer darf nicht instrumentalisiert werden | |
Unterdessen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder einmal vor Nachteilen | |
für Deutschland durch die Verhinderung von Großprojekten gewarnt. Wenn | |
durch das Bahnprojekt "Stuttgart 21" bis zu 17.000 neue Arbeitsplätze | |
entstehen, dann stärke das Baden-Württemberg und Deutschland, sagte Merkel | |
am Montag auf dem CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe. Das Projekt sei in | |
deutschem Interesse. Deutschland müsse mehr und nicht weniger für eine | |
moderne Infrastruktur tun. | |
Es könne nicht sein, das Juchtenkäfer und Kammmolche herhalten müssen, um | |
Großprojekte zu verhindern, sagte Merkel. Man dürfe nicht die Risiken in | |
den Vordergrund stellen, "so kommen wir nicht voran". Es sei auch nicht | |
richtig, demokratisch legitimierte Entscheidungen plötzlich wieder in Frage | |
zu stellen. "Das lassen wir nicht zu". | |
Sie sei für Bürgerbeteiligung und Transparenz, sagte Merkel weiter. Sie | |
dankte mit Blick auf "Stuttgart 21" dem Schlichter Heiner Geißler, der | |
ebenfalls am Parteitag teilnahm. Das schaffe Vertrauen und mache Projekte | |
nachvollziehbar. Auf eine demokratische Entscheidung müsse aber Verlass | |
sein. Für eine Arbeitsteilung nach dem Motto, erst entschieden Politiker | |
und Parlamente, dann kämen Demonstrationen und daraufhin werde ein Projekt | |
eingestampft, sei sie nicht zu haben. | |
Zuvor hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus "Stuttgat | |
21" auf dem Parteitag in Karlsruhe verteidigt. "Stuttgart 21" sei eine | |
"Jahrhundertchance" für Baden-Württemberg und den Schienenverkehr | |
insgesamt, sagte Mappus. "Man kann nicht in China den Transrapid und den | |
ICE verkaufen wollen, wenn man in Baden-Württemberg mit der Bimmelbahn | |
durch die Gegend fährt." | |
Erneut übte er scharfe Kritik an den Grünen. "Deutschland darf nicht zur | |
Dagegen-Republik werden", sagte Mappus, der vor einer Landtagswahl im | |
kommenden März steht. Er wandte sich gegen das "Modell der | |
Grünen-Stimmungsdemokraten", die zurzeit jeden Protest in Deutschland | |
aufsaugten. | |
Ungeachtet der Worte von Merkel forderten vor dem Tagungsgebäude des | |
CDU-Parteitags Demonstranten einen Volksentscheid über "Stuttgart 21". Mit | |
dem Projekt versenkten Mappus und Merkel "Steuergelder in einem sinnlosen | |
Milliardengrab", erklärte das Kampagnennetzwerk Campact, das mit zu der | |
Kundgebung aufgerufen hatte. Das Geld werde dringender für den Ausbau des | |
Nahverkehrs und die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene | |
gebraucht, kritisierte Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz. | |
Bautz forderte, die CDU müsse "endlich einen Kurswechsel einleiten und | |
einen Volksentscheid über das hoch umstrittene Projekt ermöglichen." Er | |
verwies in diesem Zusammenhang auf eine repräsentative Emnid-Umfrage vom 7. | |
Oktober, wonach sich bundesweit mehr als 50 Prozent der CDU-Wähler für | |
einen Baustopp und einen Volksentscheid ausgesprochen hätten. | |
Das umstrittene Projekt "Stuttgart 21" sieht vor, den bisherigen | |
Stuttgarter Kopfbahnhof als Durchgangsbahnhof in den Untergrund zu | |
verlegen. Die Kritiker warnen vor hohen Kosten, negativen ökologischen | |
Folgen und Sicherheitsgefahren. Derzeit laufen Vermittlungsgespräche unter | |
Leitung des Schlichters Heiner Geißler. | |
15 Nov 2010 | |
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